Chinas Technologie-Konzerne haben es plötzlich eilig, ihr Geld unters Volk zu bringen. Lei Jun, Gründer des Smartphone-Herstellers Xiaomi, übertrug Aktien im Wert von umgerechnet 1,8 Milliarden Euro in eine Stiftung für wohltätige Zwecke. Der Internet-Händler Pinduoduo kündigte an, 1,3 Milliarden für die Entwicklung der ärmeren ländlichen Regionen Chinas bereitstellen zu wollen. Und der Internet-Gigant Tencent machte sogar umgerechnet 6,5 Milliarden Euro an Spenden locker.
Gebetsmühlenartig versichern die Konzerne, dass sie voll und ganz hinter der neusten Kampagne von Staats- und Parteichef Xi Jinping stehen, der „allgemeinen Wohlstand“ erreichen will. Die Pekinger Führung hat genug von „irrationaler Kapitalexpansion“ und „barbarischem Wachstum“. Gemeint sind damit vor allem die privaten Tech-Giganten und ihre reichen Gründer.
Chinesische Tech-Konzerne erleben schwieriges Jahr
Über Jahre profitierten die Unternehmen davon, dass Peking sie kaum regulierte. So wuchsen Konzerne wie Alibaba, Tencent und Baidu heran, die ihren US-Vorbildern Amazon, Facebook oder Google das Wasser reichen können. Doch während die US-Konkurrenten an der Börse weiter neue Höchststände erklimmen, haben Investoren chinesischer Tech-Aktien bisher ein desaströses Jahr erlebt. Mehr als drei Billionen US-Dollar wurden nach Schätzung der US-Bank Goldman Sachs an den Märkten ausgelöscht.
Der Wind begann sich bereits im vergangenen Herbst zu drehen, als zuerst Alibaba-Gründer Jack Ma ins Visier der politischen Führung geriet. Damals hielt der reichste Mann Chinas in Shanghai eine folgenschwere Rede, in der er den von staatlichen Banken dominierten Finanzsektor des Landes als veraltet und rückständig kritisierte. Der ungewöhnlich forsche Angriff hatte zur Folge, dass der Börsengang der Alibaba-Finanztochter Ant Group plötzlich abgeblasen werden musste.
Neue Regeln für Tencent & Co.
Seitdem nimmt sich Peking einen Sektor nach dem nächsten vor. Getroffen hat es etwa den Essenslieferdienst Meituan. Die Regierung kündigte an, die Regulierung des Marktes für Essenslieferungen drastisch zu verschärfen. So müssen Zusteller künftig wenigstens das örtliche Mindesteinkommen verdienen und versichert werden. Tencent ist unter anderem von neuen Regeln betroffen, wonach Minderjährige in China nur noch drei Stunden pro Woche mit Online-Spielen verbringen dürfen. Bei Bytedance, dem Eigner der populären Video App Tiktok, hat sich die Regierung durch den Kauf von Anteilen gleich einen Posten im Vorstand gesichert.
Ebenfalls unter Druck geriet der chinesische Fahrdienst-Vermittler und Uber-Konkurrent Didi. Nur Tage nach seinem Börsengang in New York verbot Peking dem Konzern, seine Apps weiterhin in chinesischen App-Stores anzubieten, weil „schwerwiegende Verstöße“ im Umgang mit personenbezogenen Daten festgestellt worden seien.
Künftig sollen chinesische Tech-Firmen vor einem Börsengang im Ausland erst eine Genehmigung einholen müssen, wenn sie über sensible Daten verfügen. Praktisch könnte dieser Schritt bedeuten, dass so gut wie keine chinesische Internet-Firma mehr in den USA an die Börse gehen kann.
Peking will aufräumen und umverteilen
Die von Peking beschlossenen Maßnahmen sind zwar nicht unbedingt im Interesse der Konzerne – für die Gesellschaft können sie jedoch durchaus positive Effekte haben. Alibaba darf Händler etwa nicht mehr dazu zwingen, Produkte exklusiv auf den eigenen Plattformen anzubieten. So soll mehr Wettbewerb ermöglicht werden. In sozialen Medien applaudierten zudem viele Nutzer der Entscheidung, gegen ausufernden Nachhilfeunterricht vorzugehen, mit dem einige wenige Online-Anbieter viel Geld verdienten. Die Bedürfnisse der Kinder blieben dabei jedoch auf der Strecke.
Professionelle Investoren sind sich uneinig, wie es weitergeht. „Ich sehe kein Ende des regulatorischen Crackdowns“, sagte etwa Paul Pong von der Investment-Gesellschaft Pegasus dem Finanzdienst Bloomberg. Andere Analysten zeichnen ein optimistischeres Bild der Lage. Bei vielen Konzernen sprudelten die Gewinne trotz der neuen Regeln schließlich immer noch.
In Peking stehen die Zeichen weiter auf aufräumen und umverteilen. Mehrere große Staatsmedien verbreiteten so zustimmend den radikalen Kommentar eines Internet-Bloggers. „Dies ist eine Transformation von kapitalzentriert zu menschenzentriert“, schrieb der Autor in seiner Lobeshymne zum derzeitigen Crackdown und fügte hinzu: „Der Kapitalmarkt wird kein Paradies mehr für Kapitalisten sein, um über Nacht reich zu werden.“
Von Jörn Petring, dpa