Dienstag, 20.12 Uhr, Hamburg, Jarrestraße: Mein Sohn und ich sind auf dem Heimweg von unserem Lieblings-Vietnamesen. Es gibt diese Momente, in denen man stolz ist, Vater eines fast 20-Jährigen zu sein. Nämlich dann, wenn er mich in meinem ureigensten Terrain schlägt – in diesem Fall: „digitale Transformation“.
Mein Sohn: „Guck mal, da kommt ein Moia“
Ich: „Ein was?“
Sohn: „Ein Sammeltaxi, ich glaube die sind von VW“.
Der Erwachsene staunt nicht schlecht, als der schwarz-goldene Van lautlos vorbei gleitet.
„Vollelektrisch“, schlaumeiert der Spross, der sich aktuell zum Programmierer ausbilden lässt.
Dienstag, 20.46 Uhr, Beethovenstraße: Moia wird gegoogelt. Ich bin nur noch gelegentlich in Hamburg, daher ist mir die Launch-Kampagne entgangen. Tatsächlich hat das VW-Start-up per Plakat nach Fahrern gesucht. Die Hamburger selbst dürften den Start des Dienstes am 15. April wohl nicht übersehen haben. Die Autos selbst kann man nicht übersehen, auch wenn es bislang nur 100 in der Millionenstadt gibt. In Hannover (nahe Wolfsburg!) rollen die Vans ebenfalls und bieten Ridesharing, eine Mitfahrgelegenheit, an.
Mittwoch, 9.12 Uhr, Beethovenstraße: Die App ist übers heimische Wlan in Sekundenschnelle aufs Android-Phone geladen. Die Benutzerführung könnte intuitiver nicht sein. Persönliche Daten eingeben, Kreditkarte hinterlegen (einziges Zahlungsmittel bisher) und natürlich den Standort freigeben. In zwei Minuten bin ich für Moia einsatzbereit. Die App fragt mich, ob sie die ermittelte Anschrift als Startadresse eintragen soll. Man kann mehrere solcher Adressen eintragen, dann wird die Fahrtbuchung noch einfacher.
10.42 Uhr: Ich habe fertig gefrühstückt und den ersten Artikel geschrieben. Jetzt geht es ins Büro. Die App wird gestartet und es erscheint sofort die Karte mit dem Standort und der Frage nach einem Ziel. Ich will zur Feldstraße. Das dauert um diese Zeit – egal mit welchem Verkehrsmittel – immer eine halbe Stunde, inklusive entweder Weg zur Haltestelle oder Parkplatzsuche.
Die App fragt, ob ich jetzt fahren will oder in fünf oder in zehn Minuten. Ich entscheide mich für „jetzt“ und hier zeigt die Moia-App echten Niedersachsen-Humor: „Dein Moia kommt um 10.52“. Ergo in genau zehn Minuten.
10.47 Uhr: Ich hole noch kurz ein Brötchen beim Bäcker und stelle mich an die Straße. Moia holt einen nicht immer vor der Haustür ab, sondern lenkt den Fahrgast auch mal zur nächsten Straßenecke zum Einsteigen. So lassen sich die Routen optimieren, vor allem in Vierteln mit vielen Einbahnstraßen, wie in Altona.
In meinem Fall möchte Moia, dass ich auf die andere Straßenseite wechsele. Das ist lustig, denn dort gibt es nur einen Bauzaun und eine Großbaustelle. Außerdem ist die Beethovenstraße zur Zeit Einbahnstraße. Da nutzt es wenig, wenn ich auf der linken Seite der Fahrbahn stehe. Ich bleibe trotzig stehen.
10.50 Uhr: Das Moia-Icon erscheint in der Karte. Das Fahrzeug ist in der Nähe. Ich muss grinsen, weil das Auto eine falsche Abzweigung nimmt, die eben nur funktioniert, wenn hier keine Baustelle ist.
10.51 Uhr: Prompt kommt die Nachricht in der App: „Sorry, wir sind spät dran. Dauert noch drei Minuten“. Mein Journalistenherz freut sich: Es ist eine Kunst, gute Fehlermeldungen in Software zu hinterlegen. Viele übersehen, dass das auch eine Art Dialogmarketing ist. Der Moia-Ton ist freundlich, sympathisch.
10.55 Uhr: Da rollt der Elektro-Van die Straße hinauf. Ich mache drei Fotos. Er stoppt direkt vor mir und die Schiebetür gleitet elektrisch beiseite. Die Tür ist riesig, so könnte man auch bequem mit Gepäck einsteigen, wenn man welches hätte. Das ist vor allem dann praktisch, wenn der nachfolgende Verkehr nicht am Moia vorbei kommt. Es geht einfach schneller.
10.56 Uhr, Bachstraße: Wir rollen. Wir, das sind „MF“, „FP“ und Kemal (Name geändert). Kemal ist der überaus nette Fahrer, der sich zuerst einmal für die Verspätung entschuldigt. Es mag nach Klischee klingen, aber ich glaube nicht, dass ich so etwas in den letzten Jahren mal von einem Taxifahrer gehört habe.
„MF“ ist mein Mitfahrer. Er stellt sich nicht vor, aber sein Kürzel ist genauso wie meines auf dem Bord-Display zu sehen. Es steht neben der Zieladresse und der geschätzten Ankunftszeit.
10.58 Uhr, Winterhuder Weg: Kemal fragt, warum ich das Auto fotografiert habe. Ich antworte, ich sei Journalist und würde darüber schreiben. Er überlegt kurz und dann fragt er mich, warum wir Journalisten immer alles so negativ sehen müssen. Immer wenn Journalisten mit ihm sprechen, fragen sie, ob Taxifahrer ihren Job verlieren wegen Moia. „Aber wir sind doch keine Konkurrenz“, sagt er.
„MF“ und ich schauen uns an und lachen laut. Nein, mit diesem riesigen Platzangebot, dieser Freundlichkeit und dem aktuellen Einstiegs-Sonderangebot von fünf Euro pro Fahrt ist Moia eher konkurrenzlos.
Fun-Fact: „MF“ ist wie ich Schwabe. Und dass wir uns in der Luxuskarosse zu Sonderangebotskonditionen begegnen, hat etwas Bezeichnendes.
11.08 Uhr, Steindamm: „MF“ kennt sich sehr gut aus mit E-Mobilität. Wir diskutieren technische Details wie Akku-Größe und Ladezeiten. Kemal ist in seinem Element: „Ich darf euch das nicht sagen, aber glaubt mir, das Ding lädt so schnell, dass ihr das nicht glauben würdet.“
Wir duzen uns. Und wir reden vom Moment des Einsteigens bis zum Ende der Fahrt. Moia nennt sich selbst „Social Movement“. Ich fand das ziemlich anmaßend, als ich es gelesen habe, aber für diese Fahrt stimmt es auf jeden Fall.
11.12 Uhr, Amsinckstrasse: „MF“ hat sein Ziel erreicht und steigt aus. Natürlich ist die Fahrt bereits per App bezahlt. Kein Wechselgeld, keine Quittung, einfach aussteigen und „Tschüß“ sagen. Kurz bleibt „MF“ mit seinem iPhone-Kabel an der Ladebuchse hängen und lacht. Jeder Sitz hat eine und ein kleines herausziehbares Minitischchen, auf dem man das Mobilgerät ablegen kann. Wlan gibt es auch, aber dafür habe ich gar keine Zeit, bei der ganzen Kommunikation.
11.18 Uhr, Holstenwall: Ich liebe diese erhöhte Sitzposition im Van mit Rundumblick und viel Platz. Der Moia hat sechs Sitzplätze für Passagiere, schicke weiße Ledersitze mit guter Beinfreiheit und Platz für Taschen und Rucksäcke dazwischen.
Das Display zeigt: „FP“ – Feldstraße – 4 Minuten.
Kemal weist darauf hin, dass die App noch viel besser wird und das bald noch viel mehr Moias in Hamburg herumfahren werden. Wenige Stunden später wissen wir, dass das Verwaltungsgericht dieses „viel mehr“ als insgesamt 200 definiert hat und dass Moia meint, das Oberverwaltungsgericht möge doch bitte nochmal darüber nachdenken.
„Die App hat leider noch keine Trinkgeld-Funktion“, bemängelt der Fahrer. Clever, der Kemal, für den der Moia-Job der erste richtige Fahrerjob ist. Ein paar Mal sei er Limousine gefahren, aber nichts Festes. „Und Taxi“? Mit weit geöffneten Augen schaut er mich entsetzt an, als habe ich das Wort ausgesprochen, das nicht genannt werden darf.
11.22 Uhr, Feldstraße: Pünktlich wie eine schwäbische Eieruhr fährt die Edelkarosse vor meinem Büro vor. Ich krame zwei Euro aus der Hosentasche, weil es ja noch keine Trinkgeld-Funktion gibt, steige beschwingt aus und belästige einen halben Tag lang jeden mit der Geschichte von meiner schönen Fahrt zur Arbeit.
11.26 Uhr, Feldstraße: Beim ersten Abrufen meiner E-Mails ist die Rechnung von Moia schon dabei. Fünf Euro mit einer ausgewiesenen Mehrwertsteuer von 80 Cent.
Mittwoch, 14.13 Uhr, Feldstraße: Ich schlage der absatzwirtschaft vor, ein Stück über Moia zu machen, und erzähle der liebenswerten Chefredakteurin von meinen Erlebnissen. Sie ärgert sich, dass sie im falschen Stadtviertel wohnt, beauftragt aber freudig einen kleinen Text.
Donnerstag, 12.46 Uhr, Intercity 2217 nach Köln: Die Moia-App mag nicht starten, weil der Standortfinder mich und das Internet nicht finden kann.
Gott sei Dank habe ich noch etwas zum Nörgeln gefunden. Ich nehme Kemals Hinweis auf die Misanthropie der Presse durchaus ernst, aber mal ganz ehrlich: Für Friede-Freude-Eierkuchen habe ich mir diesen Beruf nicht ausgesucht. Ich werde noch häufiger Moia fahren. Erstens, weil ich unbedingt noch ein paar Fehler im System finden muss. Und zweitens, weil es verdammt viel Spaß gemacht hat.