Das Gespräch führten Georg Altrogge und Johannes Ceh
Die Gesprächspartner:
Matthias Riedl ist Co-Founder von DCMN, dem Growth Marketing Partner für digitale Unternehmen und Start-ups. Zuvor war Riedl bei E-Commerce-Ventures und in der Musikindustrie tätig. DCMN gehört zu den zehn am schnellsten wachsenden Unternehmen in Deutschland.
Christoph Kastenholz ist CEO und Co-Founder der Pulse Group, der weltweit marktführenden Agentur im Influencer- Marketing mit Büros in Hamburg, Mailand, London und New York. Seit der Gründung 2014 ist Pulse zum Marktführer der Branche herangewachsen.
Dr. Andreas Antrup, Managing Director von Zalando Marketing Services (ZMS) und Vice President Advertising, studierte Business Administration an der WHU Otto Beisheim School of Management und promovierte an der University of Edinburgh.
Florian Herschke ist seit 2009 für die Marke Jochen Schweizer, zuletzt als Geschäftsführer und CFO der Jochen Schweizer Mydays Group, tätig. Als Marktführer für Erlebnisgeschenke im deutschsprachigen Raum ist die Gruppe mit den Marken Jochen Schweizer, Mydays, Hip Trips und Spontacts aktiv.
Vor 20 Jahren herrschte in vielen Unternehmen noch die Einstellung vor: „Ein guter Vertrieb braucht kein Marketing.“ Gibt es solche Glaubenssätze heute noch?
Kastenholz: Das hieße ja, Marketing und Vertrieb wären vollständig separiert. Für uns im Influencer-Marketing gibt es diese Grenzen so nicht. Es ist nicht mehr Kommunikation, die auf dritter Ebene passiert, sondern eine Diskussion der Konsumenten im Markt untereinander, die sich unabhängig bewegen und selbst entscheiden, wo sie kaufen. Konkret sind es bei uns die Testimonials, die Produkte empfehlen und damit die Attraktivität der Marke steigern. Der Kunde kauft am Ende dann aus eigenem Antrieb, ohne dass es einen direkten Verkäufer braucht. Es wäre also eher andersherum: „Gutes Marketing braucht keinen Vertrieb.“
Herschke: Jochen Schweizer ist schon sehr nach dem Prinzip Multi-Channel aufgestellt, und da würde ich auch sagen, die Grenzen zwischen „Was ist ein Vertriebskanal?“ und „Was ist ein Marketingkanal?“ sind eigentlich schon lange verschwommen. Wir holen den Kunden dort ab, wo er abgeholt werden möchte. Und wo er dann letztendlich kauft, ist eigentlich schon egal.
Riedl: Als wir 2010 mit DCMN anfingen, kannten wir solche Parolen nicht. Uns ging und geht es um den gesamtheitlichen Erfolg eines Kunden. Was dafür notwendig ist, das wird gemacht. Ob der Schlüssel dazu Kanalintegration, Prozessoptimierung oder eine Werbekampagne ist, ist eine nachgelagerte Frage. Wir haben solche starren Einteilungen später bei Kunden kennengelernt, fanden diese aber immer kontraproduktiv.
Antrup: Die Medienwelt ist viel komplexer und fragmentierter geworden als Radio, TV und Print. Mechanismen greifen ineinander. Ich glaube, dass es extrem schwer bis unmöglich ist, heutzutage reines Brandbuilding anzuwenden.
Das klingt erst mal nach großer Freiheit. Aber nach welchen Regeln geht man vor?
Antrup: Wenn man einen Vertrieb mit B-to-B-Perspektive hat, dann will man bei den großen Tickets auch darauf zurückgreifen. Selbst Google oder Facebook brauchen einen Vertrieb. Bei solchen Playern könnte man fragen: Warum brauchen die eigentlich Marketing? Ich meine: Weil sie bei einem großen Teil ihrer Kundschaft dabei sind, ihr Geschäftsmodell zu optimieren. Aber nicht nur bei den GAFA-Unternehmen, auch im kleineren Bereich: Sobald du wahrnehmbar anstatt ersetzbar sein willst, brauchst du eine Marketingunterfütterung.
Ein spannender Aspekt, schließlich steht in Marketing und Werbung das Geschäftsmodell meist im Hintergrund. Hier scheint es aber Dreh- und Angelpunkt zu sein.
Antrup: Ich will es mal so formulieren: Wenn wir im B-to-B den eigentlichen Revenue in der persönlichen Beziehung machen, dann hat das Marketing ja nicht die Funktion eines Revenue-Treibers, wie man es aus B-to-C kennt. Stattdessen hat es die Funktion, die Einordnung und den Stellenwert deines Angebots im Geschäftsmodell des Kunden zu ändern.
Riedl: Ein wichtiges Thema ist dabei Education. Früher sagte man Marketing, für mich passt Education viel besser: Neue Themen und neue Ansätze, wie zum Beispiel Events oder radikale Organisationsmodelle, müssen breit in den Markt getragen werden, damit eine kritische Masse über diese nachdenkt. Daraus ergeben sich dann ganz viele Optionen, an denen der Vertrieb anknüpfen kann, vor allem im B-to-B-Bereich. Ein fertiges Produkt verkaufen zu wollen, reicht nicht mehr aus. Es braucht Inspiration, eine Story, eine Mission für den Kunden. Entwicklungen wie Influencer-Marketing sind deshalb so spannend, weil sie diese Themen noch mehr zusammenbringen.
Und wahrscheinlich auch nicht nur die Themen, sondern auch ein Mensch, der sich persönlich einbringt?
Kastenholz: Der Mensch bringt sich ein, und das immer transparenter. Es gibt eben nicht mehr diese Abschottungen, Konsumenten reden untereinander direkt über Themen, dem sind Marken ausgeliefert. Viele sehen es als Risiko, dass Konsumenten online über ihre Produkte erzählen können, was sie möchten. Wie kontrolliert man das? Allerdings darf man nicht vergessen, dass das nicht erst dann passiert, wenn ich als Marke eine Social-Media- Präsenz aufbaue, sondern schon vorher und generell immer möglich ist. Umso wichtiger ist es, die Diskussionen rund um meine Marke aktiv zu steuern und hier teilzunehmen.
Jochen Schweizer gibt es schon aus der Prä-Social-Media-Zeit. Wurde diese Kundenamplifizierung auch vorher aktiv vorangetrieben?
Herschke: Aktiv damals vermutlich weniger, aber es gehörte schon immer zu uns. Wenn man die Kunden fragt, woher sie uns kennen, ist vor allem das direkte Umfeld immer ein starker Treiber gewesen. Bekannte und Freunde waren im Grunde genommen die ersten Influencer der damaligen Zeit. Jetzt haben wir natürlich ganz neue Möglichkeiten, unsere Geschichte über explizite Kanäle zu erzählen und aktiv mit Kunden in den Austausch zu gehen.