Das Gespräch führten Georg Altrogge und Johannes Ceh
Vor 20 Jahren gewann ein Freund von mir als Werbetexter einen Cannes-Löwen und marschierte danach eine Woche lang mit einem Tschakka-Schrei stolz durch München. Heute lachen wir beide darüber. Kennen Sie solche Erfahrungen?
Arno Lindemann: Zu Beginn meiner Karriere bei Springer & Jacoby haben wir den ersten bronzenen Löwen gewonnen, da hat die ganze Agentur tatsächlich so gefeiert. Heutzutage ist das Ganze viel inflationärer geworden: Eine Agentur, die nicht mindestens 15 Löwen gewonnen hat, möglichst goldene, wird in den Medien fast gar nicht mehr erwähnt. Als wir vor zehn Jahren unsere eigene Agentur gegründet haben, war klar: Wir müssen schnell in die Top Ten. Da schauen die Kunden nun mal drauf. Wir haben Kapazitäten freigeschaufelt parallel zum Tagesgeschäft, um diese Extrameile zu gehen. Dabei wurden Teams eingesetzt, die eigentlich für bezahlte Kunden arbeiten. Das kann richtig in die Kosten gehen.
Kunden zahlen nicht für diese Arbeit?
Lindemann: Natürlich versuchst du, deinen Kunden die Arbeit zu verkaufen. Wir sagen: Das ist eine Sonderidee, die erweitert den Horizont. Da zeigen wir mal unabhängig vom Briefing, was machbar ist mit der Marke. Doch auch das muss wieder in Relation gesetzt werden: Wenn ein Kunde bereit ist, uns für die gesamte Produktion einer solchen Sonderidee neben unseren eigenen Aufwänden zum Beispiel 50 000 Euro dazuzugeben, weil wir als Agentur und die Produktionen bereit sind, quasi umsonst dafür zu arbeiten, dann haben wir als Agentur beim nächsten Briefing die Herausforderung zu erklären, dass eine vom Kunden gebriefte Arbeit nun aber ein Vielfaches kostet. Wir schießen uns quasi selber ins Knie.
In diesem Jahr ist Blood Actvertising ausgestiegen, hat dazu aufgerufen, nicht bei Awards wie dem ADC-Festival einzureichen. Was war die Motivation?
Norman Störl: Ich finde, die Branche entwertet sich selbst, und Kreativ-Awards leisten ihren Beitrag dazu. Um genau zu sein: Es ist der Umgang mit Awards. Die Frage ist: Gibt es nicht was Sinnvolleres zu tun mit eurem Geld, als das in diese Awards zu pumpen? Als ich den Job angefangen habe, war ich inspiriert von Anzeigenstrecken in Stern und Spiegel, die auch Awards gewonnen haben, und dachte: Wow. Wer hat das gemacht? Irgendwann wurde das Business-Problem vom Ideenerstellen entkoppelt. Es entstand ein ungleicher Wettbewerb: Arbeiten aus Briefings, die durch x Tests, Prozesse und Gremien gehen mussten, wurden mit gedopten Prototypen verglichen. Ein solcher Vergleich entwertet bereits die Arbeit, welche aus einem Briefing und dem Tagesgeschäft heraus entstand. Wir müssen aufpassen, dass die Branche sich nicht selber unglaubwürdig macht.
Lindemann: Auf der anderen Seite sind Marken und Awards eine Währung für die Mitarbeiter von Agenturen. Unsere Agentur hat das intensiv erlebt, als wir eine Award-Pause gemacht haben und dafür Zeit und Geld zwischenzeitlich in unser eigenes e-health Start-up investiert haben. Da bekamen wir von einigen Bewerbern zu hören: „Das ist nett mit den Start-ups, aber ich will den Ruhm. Ich will das schon. Ich will bei einer Kreativagentur sein.“ Die Währung ist das Kreativ-Ranking. Wenn du da nicht drin bist, ist es keine Kreativagentur. Hier wünsche ich mir von der Fachpresse, dass sie sich nicht nur auf Löwen und Nägel fokussiert, sondern auch mal schaut: Was machen kleine Büros und Agenturen, die sich nicht in den Award-Zirkus einkaufen, denn sonst so gutes Zeug? Kaum welchen gelingt es, eine Kreativboutique zu sein und einen Glamour für Mitarbeiter herzustellen, wenn sie nicht in den Award-Rankings sind.
Awards sind ein Spiel, bei dem manche Leute sich nicht mehr gut fühlen seit längerer Zeit. Das Video von Blood Actvertising hat dem eine Stimme gegeben. Sogar den Slogan vom ADC gekapert. Aus „Füttere deine Kreativität“ wurde „Deine Kreativität füttert“. Wie ist das beim ADC aufgenommen worden?
Stephan Vogel: Als Kompliment. Wer persifliert wird, ist der Marktführer. Auf die Kleineren einzudreschen, ist unsportlich. Aber es gab wirklich eine Zeit, wo der Umgang mit dem Award-System pervertiert ist und wo große Dinge für den kleinen Kondom-Shop vollbracht und eingereicht wurden. Das hat sich verbessert. In den letzten Jahren haben wir in allen Jurys darauf geachtet, dass die relevanten, großen Arbeiten für Marken in die Medaillenränge kommen. Sodass diese Scams nicht mehr so die Chancen haben, wie das vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war.
Lindemann: Das Perfide ist: Ja, es gibt nicht mehr die kleinen Kondomanzeigen, die gewinnen. Aber es gibt jetzt extrem aufwendig „getunte“ Einreichungen. Da werden sogar Firmen und deren Ideen gekauft oder Technische Universitäten benutzt. So entsteht der Eindruck: Das kann ja gar keine Fake-Kampagne gewesen sein. Das muss ja echt sein.
Vogel: Absolut, die Einreicher sind schlauer geworden. Es gibt den Satz: Wenn es keine Olympiade gäbe, würde niemand in unter 10 Sekunden die 100 Metern laufen. Aber es steht nirgends geschrieben, dass es ein Ranking geben muss. Das ist die deutsche Fachpresse. Die englische und amerikanische Fachpresse ermittelt eine Agency of the Year nicht nach sturem Zusammenzählen von Gold, Silber, Bronze in 15 Wettbewerben, sondern sie nutzen andere, sinnvollere Parameter wie Neugeschäftserfolge, Wachstum, sichtbare große Projekte und Kampagnen etc. Aber im Grunde ist der ADC dazu da, kreative Qualität sichtbar zu machen. Das ist genau die Chance, welche die Agentur von Arno (LLR) zum Start als kleine Agentur genutzt hat. Mit exzellenter Arbeit kann eine kleine Agentur wie jeder andere aufs Goldtreppchen oder vielleicht sogar den Grand Prix holen.
Larissa Pohl: Das Problem sind die Rankings, die gibt es sonst nirgendwo. Bei Schauspielern werden auch nicht Golden Globes und Oscars zusammengefasst zu einem Ranking einer Zeitschrift oder eines Senders. Der Effie selber ist aus allen medienkreierten Rankings raus und steht für sich selbst, was ich eine großartige Entlastung finde.
Ist die Art und Weise, wie der ADC das Award-Business managt, noch zeitgemäß?
Vogel: Wir haben den Wettbewerb in den sechs Jahren, in denen ich ADC-Präsident bin, kontinuierlich verbessert und den Realitäten des Marktes angepasst. Die Kategorienvermehrung spiegelt keine Profitabsicht wider, sondern das, was im Markt passiert. Der ADC ist ein eingetragener Verein ohne Profitabsicht. Unser Ziel ist es, dass wirklich alles, was an Kommunikation draußen existiert, im Wettbewerb abgebildet wird. Darüber hinaus muss jede Agentur ihren eigenen Umgang mit Awards finden.
Pohl: Der Effie steht als Referenz für effektive Kommunikation über unterschiedliche Kategorien hinweg. Es werden echte Arbeiten eingereicht, die am Markt stattgefunden haben. Wir bewerten den Mitteleinsatz und die Effektivität der Idee. Das zeigt die Business-Relevanz. Es gibt eine hohe Korrelation zwischen Kreativität und Effektivität – immer wieder. Dieses Muster wiederholt sich, andere laufen aus als Copycats fremder großer Ideen wie etwa der zwölfte Firmen-Sneaker. Aber ich habe den Eindruck, es gibt neben der Award-Diskussion eine andere separate Diskussion, die hier gerade parallel geführt wird: die Pitch-Kultur. Für welche Aufgaben und Rahmenbedingungen gehe ich als Agentur ins Rennen?
Störl: Ich finde schon, das gehört zusammen, denn da gibt es die Erwartungshaltung von Kunden, die denken, ich bin ein kreativer Kunde. Also kann ich eine Leistung zu einem geringeren Budget anfordern. Und dann sagt der nächste: „Ich will das auch.“
Pohl: Es ist eine Haltungsfrage unabhängig vom Pitch. Der Pitch ist noch mal was ganz anderes als die Arbeit mit Bestandskunden. Im Bestandsgeschäft haben wir mal ausgerechnet, was – rein zeitlich – bei einer regulären Kampagne tatsächlich für die Kreativleistung bleibt. Neben Abstimmungen, Entscheidungsfindungen sind das vielleicht noch 20 Prozent für die reine Kreativleistung. Diese wichtigste Zeit wird von vorne und von hinten eingequetscht von Verwaltung, Projektmanagement, vom Osterurlaub des Chefs etc. 80 Prozent, die man deutlich verschlanken könnte zugunsten der Kreativleistung. Ich glaube, dass neue Prozesse auch einen massiven Impact auf die Qualität haben, und sehe das auch positiv bei vielen unserer Kunden.
Störl: Ich möchte noch mal Stephan Vogel widersprechen. Ich finde nicht, dass der kreative Muskel nur in Award-Shows trainiert wird. Unsere Branche ist ständiger Wettbewerb: um Talente, Mandate, Marktanteile. Wenn wir sagen, Kreativität ist unser Hebel, dann muss diese auch dort exzellent sein, wo sie stattfindet.
Vogel: Wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen. Aus der Denke der Kroeber-Riels dieser Welt, die predigen und zeigen, dass man im Marketing erfolgreich sein kann mit einem vollkommen unkreativen Produkt. Eine Zeit, in der man mit Geld Attention und Marktanteile über Massenmedien kaufen konnte. In der digitalen Medienwelt sind alle gezwungen, neu zu denken, neu zu agieren. Nach Jahrzehnten unkreativer Werbung hat Procter & Gamble seine Leute 2002 nach Cannes geschickt. Sechs Jahre später wurden sie Advertiser of the Year. Auch Konzerne haben heute eine Kreativagenda.
Lindemann: Das waren die Zeiten von Villariba und Villabajo oder Dr. Best, der nicht aufhörte, die schon 800-mal optimierte Zahnbürstenform weiter zu optimieren.
Vogel: Und genauso wurde geworben. Penetration. Wenn du nicht schnell genug wegschalten kannst, bist du diesem Zeug ausgesetzt. Wir Kreativen haben immer gesagt: „Nehmt die Menschen draußen ernst, penetriert, langweilt und unterfordert sie nicht.“
Teil II der Diskussion gibt’s bei der absatzwirtschaft am morgigen Dienstag.