Von Steffen Wischmann
Neue Sonnencreme gesucht? Ab in den Drogeriemarkt um die Ecke. Ein Verkäufer oder eine Verkäuferin hilft dabei, das richtige Produkt auszuwählen, während ein Roboter einen Gang weiter die Regale wieder auffüllt. Was noch nach Zukunftsmusik klingt, wird in Wahrheit bereits erprobt. Das Forschungsprojekt „Knowledge4Retail“ (K4R) will die analoge und digitale Welt miteinander verbinden, um den stationären Einzelhandel attraktiver zu machen.
Mit dem ambitionierten Vorhaben begegnet K4R einer Entwicklung, die im Rahmen der Coronapandemie noch einmal um ein Vielfaches beschleunigt wurde: Einzelhandelsfilialen haben mit Kund*innenschwund zu kämpfen, weil sich immer mehr Menschen mit dem Komfort des Onlineshoppings angefreundet haben. Doch der Einzelhandel bietet mit seiner hohen Beratungsqualität und der Möglichkeit, Produkte zu erleben, auch Vorteile gegenüber dem Onlinehandel. Und eben diese Vorteile gilt es in Kombination mit digitalen Lösungen zu nutzen, um ein einzigartiges Einkaufserlebnis vor Ort zu schaffen. „Knowledge4Retail“ wird im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.
Das Projekt, das von Konsortialpartnern wie der team neusta GmbH, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, der Universität Bremen und dm-drogerie markt ins Leben gerufen wurde, zielt darauf ab, eine Open-Source-Plattform zu entwickeln, die die Entwicklung und Nutzung von KI und Robotik im Einzelhandel vorantreibt. Händler*innen sollen mithilfe der Plattform nicht nur die Möglichkeit erhalten, ihre On- und Offline-Shopping-Optionen deutlich enger miteinander zu verzahnen, sondern auch ihr Sortiment besser an den Bedürfnissen der Kundschaft ausrichten zu können.
Virtuelle Kopie der Filiale
Per App können Kund*innen zum Beispiel schneller den Weg zu einem bestimmten Duschgel in ihrem Drogeriemarkt finden. Dafür kommen sogenannte digitale Zwillinge zum Einsatz, die virtuelle Kopien der Filialen auf Basis von Sensoren, Daten aus ERP-Systemen, Geodaten oder digitalen Produktkatalogen erstellen.
Beim Stöbern durch die Filiale werden die Kunde*innen auf Wunsch in der App mit Informationen zu den Produkten in den Regalen versorgt – vom Mikroplastik in der Handcreme bis hin zu den Nährwerten eines Müsliriegels. Gleichzeitig vereinfacht die Technologie zahlreiche Prozesse für die Filialbetreiber*innen, indem große Datenmengen zur Analyse herangezogen werden. Die gesammelten Daten laufen in einem digitalen Ökosystem zusammen, wo KI-Anbieter neue Anwendungen entwickeln oder bestehende KI-Methoden verbessern können.
Durch sie erhalten Händler*innen einen wesentlich umfangreicheren Einblick darüber, unter welchen Bedingungen bestimmte Waren von Kund*innen gekauft werden und wie sich der Absatz eventuell steigern lässt. KI-Methoden können das Kaufverhalten gezielt untersuchen und zum Beispiel Optimierungsvorschläge zu Sortiment, Preis oder der Platzierung von Waren erarbeiten. Serviceroboter können derweil autonom durch die Filialen navigieren und Inventurtätigkeiten und die Befüllung der Regale stärker automatisieren.
So bleibt den Filialmitarbeiter*innen mehr Zeit für die Kundenberatung – und der entscheidende Vorteil des stationären Einzelhandels wird somit stärker ausgeschöpft. Auch Regal- und Kühlschranksysteme, die ihren Warenbestand selbstständig erkennen, verwalten und verkaufen, werden im Rahmen von K4R schon entwickelt und erprobt.
Erste Roboter-Prototypen fahren bereits
In einer Drogeriefiliale, die in der Universität Bremen nachgebaut wurde, werden bereits die ersten Roboterexemplare getestet. Der hüfthohe Serviceroboter namens „Donbot“ steuert autonom durch die Gänge und setzt Laserscanner, 3-D-Kamera, Sensoren und seinen Leichtbauarm ein, um die Regale zu scannen und Waren in Einkaufskörbe zu legen. Bis er tatsächlich im Einzelhandel eingesetzt werden kann, ist allerdings noch einiges an Forschung nötig, denn Serviceroboter werden sich letztendlich nahtlos in das dynamische Filialgeschehen integrieren müssen.
Dazu müssen sie auch beweglichen Hindernissen wie Kund*innen sowie Einkaufswagen ausweichen können, und zwar ohne das Einkaufserlebnis der Kundschaft einzuschränken. Bis der Serviceroboter „Donbot“ dazu in der Lage ist, wird es noch eine Weile dauern – doch die Zukunft des stationären Einzelhandels ist vorgezeichnet.
Drei Fragen an Roman Melcher, Geschäftsführer für das Ressort IT/dmTECH bei dm-drogerie markt
Herr Melcher, warum beteiligt sich dm am Forschungsprojekt „Knowledge4Retail“ (K4R)?
K4R dient unter anderem dazu, digitale und analoge Elemente miteinander zu verbinden. Es unterstützt uns zudem dabei, Optimierungsbedarfe im Bereich der Logistik innerhalb unserer dm-Märkte zu erkennen und innovative Lösungen zu entwickeln, die unser Unternehmen zukunftsfähig machen.
Was bedeutet die Kooperation für die dm-Märkte vor Ort konkret?
Wir testen den Einsatz der mobilen Sensoren von Ubica. Über Nacht erfassen diese selbstständig die Standorte aller Produkte im dm-Markt und einige weitere Informationen. Alle Informationen werden zentral gespeichert, sodass ein digitales Abbild des jeweiligen dm-Marktes erzeugt wird. Mithilfe der Lösungen, die wir in K4R erforschen, werden unter anderem diese Sensordaten ausgewertet und weiterverarbeitet.
Welche langfristigen Ziele hat dm-drogerie markt im Rahmen der Zusammenarbeit?
Die gemeinsame Forschung im K4R-Konsortium bietet zum Beispiel die Grundlage, innovative Service-Angebote zu entwickeln. Denkbar sind zum Beispiel individuelle Produktempfehlungen oder die Navigation bis zum Artikel im Regal.
Dieser Text erschien zuerst im Handelsjournal 4-2022.