Von Marcus Karst, Senior Vice President Corporate Marketing, Claas
Wenn alle Welt auf Digitalisierung setzt, wir Marketingleute uns nur noch mit Big Data, Data Analytics und Chatbots beschäftigen und selbst Teenager sich mit Instagram-Filtern und Hochglanz-Photoshop-Korrekturen mindestens so gut auskennen wie Agentur-Profis, droht die echte Realität hinter all den Bits und Bytes einer künstlichen Welt zu verschwinden. Vor diesem Hintergrund werden Authentizität und Dialog zwischen Menschen zumindest in B-to-B-Branchen wie der unseren zum Vorteil.
Digitalisierung sorgt für blindes Vertrauen
Die Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung im Marketing beschert, sind unbestritten gut, wichtig und wertvoll. Digitale Systeme und Lösungen, die unsere Arbeit erleichtern oder sogar noch besser machen, sind nicht mehr wegzudenken und seit langer Zeit selbstverständlicher Bestandteil. Die Digitalisierung bietet uns oftmals die Möglichkeit, Dinge nahezu perfekt zu erledigen – indem sie uns beispielsweise komplexe Rechenarbeit abnimmt, bei der wir Menschen mitunter doch zu Fehlern neigen.
Die digital optimierte Realität hat also zweifellos ihren festen Platz in unserem Alltag verdient. Wenn mich Amazon freundlich daran erinnert, dass ich mal wieder Zahnpasta bestellen soll, oder mein Auto selbstständig einen Werkstatttermin bucht, liegen die Vorteile klar auf der Hand. Diese und ähnliche Funktionen bieten ein Markenerlebnis, das die Kunden überzeugt, sie eng an ein Unternehmen bindet und das sich damit auszahlt. Hier hilft uns die Digitalisierung mit ihrer Zuverlässigkeit, Rechenstärke und Perfektion.
So steht am Ende eines von der künstlichen Intelligenz erledigten Prozesses ein Ergebnis, das wir häufig nicht mehr infrage stellen. Es entsteht zuweilen blindes Vertrauen.
Ungeschönte analoge vs. geschönte digitale Realität
Was aber, wenn immer mehr Menschen ein Unbehagen entwickeln, wenn mit der Digitalisierung die Gefahr einhergeht, dass die ungeschönte analoge hinter einer geschönten Realität verschwindet? Nicht umsonst blüht in diesen Zeiten des pandemischen Lockdowns nicht nur der Online-Handel, sondern auch eine längst vergessen geglaubte Tätigkeit: Spazierengehen.
Die Menschen halten sich wieder vermehrt dort auf, wo es keine künstlichen Filter gibt. Sie spazieren dort, wo der Himmel nicht immer blau, das Wetter unberechenbar und die Temperatur nicht beeinflussbar ist.
Die mittlerweile offenbar etablierte Vorgehensweise des Retuschierens, Maskierens und Filterns steht in einem derart starken Kontrast zur Realität, dass Authentizität in all ihren Facetten einen echten Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Insbesondere dort, wo es um erhebliche finanzielle Werte und damit verbunden Vertrauen in der Geschäftsbeziehung geht.
Spagat zwischen Naturliebe und ökonomischen Interessen
Wenn man sich mal beim Kauf der Zahnpasta vertut, spielt das keine Rolle. Man kauft sich beim nächsten Mal einfach eine andere. Wenn es um Investitionsgüter geht, kann eine falsche Entscheidung die berufliche Existenz gefährden.
Das gilt auch und insbesondere in unserer Branche. Bei Claas haben wir es mit einer besonderen Zielgruppe zu tun: Menschen, die seit Jahrzehnten hoch digitalisiert arbeiten, sich mit Gesetzen und Verordnungen, den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen müssen. Eine Zielgruppe, die einen riesengroßen Spagat zwischen Bodenhaftung, Naturliebe und ökonomischen Interessen vollziehen muss und eine unvergleichliche Bindung zur Natur und zu echten Dingen wie Wetter und Tieren hat: Landwirtinnen und Landwirte in aller Welt.
Wie erreicht man diese Zielgruppe, die ihre Arbeit leidenschaftlich liebt und zu Recht stolz auf ihr Tagwerk ist?
Botschaften müssen „echt“ sein
Nehmen wir das Beispiel Bildwelten: Was zeigt man diesen Natur- und Digital-Profis, die auf den ersten Blick sehen, wenn etwas nicht der „guten fachlichen Praxis“ entspricht? Nur die Realität abzubilden wäre sicherlich nicht immer attraktiv genug, denn dann zeigen wir unseren Kunden ausschließlich das, was sie ohnehin den ganzen Tag lang sehen. Ebenso lassen sich komplexe technische Dinge oft nicht ausreichend informativ in der reinen Wirklichkeit abbilden.
Was ist also zu tun, wenn wir immer authentisch und glaubwürdig kommunizieren wollen? Wir müssen eindeutig sein. Unsere Kunden müssen die jeweilige Botschaft auf den ersten Blick klar und zweifelsfrei zuordnen können. Denn nur dann ist die Botschaft „echt“ und kann nachvollzogen werden.
Gefährliche Grauzone
In einer Grauzone befindet man sich, wenn sich eine Darstellung nicht weit genug von der Realität abhebt, um als etwas Illustratives oder bewusst Übertriebenes kategorisiert werden zu können. Im Bereich der Landwirtschaft könnte dies vielleicht ein Getreidefeld sein, das in eine Landschaft hineinretuschiert wurde, die zwar gut aussieht, aber eine Klimazone darstellt, in der kein Getreideanbau möglich ist. Das ginge zulasten der Glaubwürdigkeit. Bewegen wir uns aber eindeutig genug aus dieser Grauzone heraus und übertreiben dermaßen, dass kein Zweifel an einer bewussten Verkünstlichung bestehen kann, sind wir auf der sicheren, glaubwürdigen Seite.
Das Künstliche muss die Ausnahme bleiben
Wir zeigen die Welt unserer Kunden so, wie sie ist. Manchmal idealisiert, aber immer eine mögliche Realität. Damit entsteht eine „Grundehrlichkeit“ in unserer Bildwelt und in unserer Kommunikation. Ist mehr Aufmerksamkeit nötig oder wollen wir etwas Besonderes zeigen, greifen wir zur Übertreibung oder Abstraktion. Wir zeigen beispielsweise das Dreschsystem eines Mähdreschers als leuchtende Silhouette innerhalb einer Einsatzaufnahme oder technische Details mithilfe von im Rechner entstandenen Motiven. Diese Art der Bildsprache ist dann immer sofort als etwas Künstliches oder Künstlerisches zu erkennen. So vermeiden wir Irritation und Zweifel, und die Kommunikation kann ihre volle Wirkung entfalten.
Kommunikation darf keine Rätsel aufgeben
Über die Bildwelten hinaus sollte sich jedwede Kommunikation klar einordnen lassen und damit für unsere Kunden nachvollziehbar und authentisch sein. In einer Welt, in der sich das Virtuelle der Realität zusehends nähert und damit in einigen Köpfen bereits zu einer zweiten Realität geworden ist, können die Marken positiv herausstechen, die „echt“ sind.
Marken, die natürlich auch mal übertreiben, um aufzufallen, aber die Geschichten erzählen, die nachvollziehbar sind, und die zwischen Wahrheit und Fiktion differenzieren. Und noch mehr die, deren Mitarbeiter das Gespräch auf Augenhöhe mit ihren Kunden führen, sich mit ihnen über deren Realität und neue technische Möglichkeiten austauschen und Wege suchen, sich auf dieser Vertrauensbasis gemeinsam weiterzuentwickeln.
Fazit: Seien Sie eindeutig in Ihrer Kommunikation und geben Sie keine Rätsel auf. Machen Sie die Realität zum selbstverständlichen Bestandteil Ihrer Marke, seien Sie authentisch und suchen Sie den echten Dialog. Ihre Kunden werden Ihnen diese Klarheit danken.
Der Artikel erschien zuerst in der April-Printausgabe der absatzwirtschaft.