Retargeting: Gutes Timing ist alles

Im E-Commerce fehlt allzu oft nur noch ein Klick: "zur Kasse gehen". Retargeting-Kampagnen wollen das verhindern. Allerdings zeigt die Forschung: Die Frage, wann ein Unternehmen seine Kund*innen an deren vollen Warenkorb erinnern sollte, ist alles andere als trivial.
Eine zu früh initiierte Retargeting-Kampagne versenkt Werbebudget und kann sich langfristig auch negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken. (© Maximilian Sydow (Montage: Olaf Heß))

Durchschnittlich 70 Prozent aller Warenkörbe im E-Commerce werden nicht ausgelöst, so eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Baymard. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Portale wie Booking.com oftmals schon wenige Minuten nach Verlassen des Warenkorbs groß angelegte Retargeting-Kampagnen in Gang setzen, um die Konsument*innen zum Geschäftsabschluss zu bewegen.

Auf den ersten Blick scheint diese Vorgehensweise sinnvoll zu sein, schließlich dürfte die Kaufabsicht noch akut sein. Warum also lange warten? Entsprechend empfehlen viele Praxisratgeber ein schnelles Retargeting und berufen sich dabei auf die Ergebnisse von firmeninternen A/B-Tests, welche spätere mit früheren Kampagnen vergleichen. Das Problem ist aber, dass solch ein einfacher Vergleich relativ wenig über den kausalen Zusammenhang zwischen Zeitpunkt und Erfolg aussagt.

Kontrollgruppe außerhalb Retargeting

Um den Effekt einer Kampagne zu isolieren, bedarf es einer Kontrollgruppe, die nicht per Retargeting angegangen wird. Genau dies haben die Forscher um Jing Li von der Nanjing University in ihrem Beitrag umgesetzt, der vor Kurzem im renommierten „Journal of Marketing“ erschienen ist. In zwei Feldexperimenten wurden zunächst 40.000 Kund*innen eines großen Modehändlers zu unterschiedlichen Zeitpunkten per Retargeting kontaktiert und deren Conversion mit der einer Kontrollgruppe ohne Kampagne verglichen.

Wenig überraschend: Je mehr Zeit vergeht, desto geringer ist die Kaufwahrscheinlichkeit in der Kontrollgruppe ohne Retargeting. Allerdings zeigt sich auch, dass Retargeting unmittelbar nach Verlassen des Warenkorbs (bis zu einer Stunde) deutlich weniger Käufe nach sich zieht. Die Forscher*innen erklären diesen Effekt damit, dass Konsument*innen den Marketingstunt durchschauen und das Kaufvorhaben genervt ad acta legen. Mit anderen Worten: Besser kein Retargeting als zu frühes Retargeting! Im Gegensatz hierzu hatte eine späte Anzeige, die 24 bis 72 Stunden nach dem Verlassen des Warenkorbs geschaltet wurde, einen positiven Effekt auf die Kaufrate.

Je voller der Warenkorb, desto später das Retargeting

In einem weiteren Feldexperiment mit 24.000 Kund*innen untersuchten sie zudem, ob die Warenkorbstruktur einen zusätzlichen Einfluss ausübt. Und wie! Je größer der Warenkorbwert und je höher der Durchschnittspreis der darin abgelegten Produkte, desto stärker der negative Einfluss eines zu frühen Retargeting. Analog hierzu zahlt sich ein späteres Retargeting überdurchschnittlich positiv aus.

Eine zu früh initiierte Retargeting-Kampagne versenkt nicht nur unnötig Werbebudget, sondern kann sich langfristig auch negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken. Durch das richtige Timing kann die Kaufwahrscheinlichkeit signifikant erhöht werden – und das ganz ohne Mehrkosten. Den richtigen Zeitpunkt gilt es dann im Vergleich mit einer Kontrollgruppe ohne Retargeting zu ermitteln.

Marko Sarstedt ist Leiter des Instituts für Marketing an der Munich School of Management der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Fokus seiner Forschung liegt auf dem Verhalten von Konsument*innen. Außerdem sitzt er im Vorstand Wissenschaft/Innovation im DMV und ist Mitglied im MC Potsdam. Diese Kolumne erschien zuerst in der März-Printausgabe der absatzwirtschaft.

Marko Sarstedt ist Leiter des Instituts für Marketing an der Munich School of Management der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Fokus seiner Forschung liegt auf dem Verhalten von Konsument*innen. Außerdem sitzt er im Vorstand Wissenschaft/Innovation im DMV und ist Mitglied im MC Potsdam.