Alle reden über Retail Media. Nachdem Amazon das Thema viele Jahre im Alleingang vorangetrieben hat, herrscht nun auch bei den deutschen Händlern Aufbruchstimmung. Die Margen im Handel sind bekanntlich knapp und die Vermarktung von Werbeflächen in den eigenen Onlineshops verspricht zusätzliche Erlöse. Laut einer aktuellen Prognose der britischen Marktforschungsfirma WARC werden die weltweiten Retail-Media-Umsätze 2024 im Vergleich zu 2023 abermals um über 10 Prozent steigen. Das bedeutet eine Gesamtsumme von 141,7 Milliarden US-Dollar. Noch ein paar Jahre, so prognostiziert WARC, dann löst Retail Media das lineare Fernsehen als drittstärksten Werbekanal (nach Search und Social) ab.
Viele Händler fragen sich nun: Soll ich auch einsteigen? Wirft das Geschäft genug Geld ab, um den Aufwand zu rechtfertigen? Und wenn ja, wie gehe ich am besten vor? Bislang sind vor allem „Category Heroes“ aktiv, also Handelsunternehmen, die in ihrem Segment zu den Marktführern gehören. Dazu zählen unter anderem Otto (Generalist), Zalando (Mode), Douglas (Beauty), MediaMarktSaturn (Elektronik), Obi (Baumarkt) sowie die Schwarz Gruppe und Rewe (Lebensmittel). Aber muss man zu den Big Playern gehören, um mitzumischen?
„Bei einem Shop kommt es nicht so sehr auf die Mindestgröße an, um Retail Media zu betreiben“, sagt Corinna Hohenleitner, Director Activation Central Europe beim Retail-Media-Dienstleister Criteo. „Entscheidend ist, dass der Shop für potenzielle Werbepartner als Absatzkanal relevant ist.“ Zudem sollte bei diesen ein Interesse bestehen, den Absatz durch zusätzliche Werbemaßnahmen zu pushen. Das ist in der Regel nur dann der Fall, wenn zwischen den Lieferanten eines Shops ein gewisser Wettbewerbsdruck herrscht. Bei Retail Media geht es darum, potenzielle Kunden, die bereits mit einer gewissen Kaufabsicht einen Shop ansteuern, zum tatsächlichen Kauf eines bestimmten Produkts zu bewegen.
Sponsored Product Ads sind der beste Startpunkt
Ein Anhaltspunkt für die Rentabilitätsberechnung sind laut Hohenleitner die möglichen Umsätze, die sich mit Retail Media im Onlineshop erzielen lassen. Sie müssen den Kostenaufwand rechtfertigen. „Als Faustregel lässt sich sagen, dass europäische Händler mit existierendem Retail-Media-Geschäft darüber aktuell zwischen 2 und 3 Prozent ihrer gesamten Online-Umsätze (ohne stationäres Geschäft) erzielen können – nach einer gewissen Anlaufphase“, so Hohenleitner. „Im ersten Jahr kann der Anteil durchaus auch deutlich niedriger liegen, zum Beispiel bei 0,5 Prozent.“ Diese Umsätze müssen die Kosten decken. Unverzichtbar sind ein betreuendes Team mit mehreren Personen sowie Budgets für den technischen Betrieb. Retail Media laufe keineswegs „nebenher“: „Es muss im Vorfeld geklärt werden, welche Organisationseinheit Retail Media betreut, wer für das Kampagnenmanagement zuständig ist und als Ansprechpartner für die Werbekunden fungiert.“
Zum Einstieg bieten sich vor allem Sponsored Product Ads an, auf Keywords nach Cost per Click (CPC) gebuchte Einträge in den Suchergebnissen. Klickt man die meist mit dem Zusatz „gesponsert“ versehenen Anzeigen an, gelangt man direkt zur Produktdetailseite mit Kaufoption. Sponsored Product Ads sind bei den Werbekunden weitgehend gelernt und erlauben eine einfache Erfolgskontrolle. Folgen können dann Display Ads in exponierten Bereichen der Website. „Man sollte das Klick- und Kaufverhalten in allen Website-Bereichen genau analysieren“, empfiehlt Björn Wolak, Head of Digital Advertising Services bei der Online-Apotheke DocMorris. „Es sind Platzierungen und Werbeformen zu finden, die nicht nur nativ in den Shop integriert werden, sondern auch auf die Conversion einzahlen.“
Einfache Einbindung auf der Website
Grundsätzlich bietet es sich für kleinere Händler an, mit externen Dienstleistern zusammenzuarbeiten, die die Technologie bereitstellen und teilweise auch die Vermarktung übernehmen. Dazu gehören unter anderem Criteo, PromoteIQ (Microsoft), CitrusAd (Publicis Groupe), Kairion (ProSiebenSat1) und Laya Media.
„Es ist sehr einfach, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, mit CitrusAd Werbecontent in die Website von Einzelhändlern einzubinden“, sagt Alban Villani, Regional CEO EMEA des Unternehmens. „Retailer müssen lediglich eine Serververbindung über die CitrusAd-API einrichten, eine Programmierschnittstelle, die zur Verknüpfung der Softwaresysteme dient.“ Anschließend können sie ihren Produktkatalog hochladen und auswählen, welche Werbeformate sie ihren Werbekunden anbieten möchten. „Letztendlich gibt die CitrusAd-Plattform den Einzelhändlern die volle Souveränität zurück“, so Villani. „Sie werden dazu befähigt, ihr Werbe-Ökosystem selbst zu kontrollieren und zu steuern.“
Criteo arbeitet mittlerweile mit rund 220 Händlern und 2500 Werbungtreibenden zusammen. In Deutschland stehen MediaMarktSaturn, Douglas, Parfumdreams, Flaconi, Expert, Asos und Baur auf der Kundenliste. Mit den angeschlossenen Händlern wird nach einem Revenue-Share-Modell abgerechnet. Die Criteo-Fee ist dabei ein Prozentsatz der tatsächlich erzielten Vermarktungserlöse, die je nach angebotenem Format auf den Costs per Click oder dem Tausenderkontaktpreis basieren. Das Risiko für die Händler ist gering, denn es fallen keine Fixkosten an, etwa für das Setup der technischen Lösung. „Unsere Retail-Media-Plattform ermöglicht skalierbare, vermarkterübergreifende Kampagnen“, so Criteo-Managerin Hohenleitner. „Das hat für kleinere Händler einen wichtigen Vorteil: Sie werden mitgebucht von Kunden, zu denen sie selbst überhaupt keinen Kontakt haben oder für die sie für eine Einzelbuchung zu klein sind.“ Das Revenue-Share-Modell hat zur Folge, dass auch Criteo ins Risiko geht. „Daher prüfen auch wir vorab, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist“, so Hohenleitner.
Ein Jahr bis zur Liveschaltung von Anzeigen
Zu den Kunden von Criteo gehört auch DocMorris, das im vergangenen Herbst ins Retail-Media-Geschäft eingestiegen ist. Auf Basis einer eigenen technischen Infrastruktur nutzt die Online-Apotheke die Technologie von Criteo für die Vermarktung von Sponsored Product Ads, Native Brand Ads und Native Video Ads. „Für Criteo sprach vor allem die technologische Kompetenz, insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit, verschiedenen Werbeformen umzusetzen, darunter auch Video“, erläutert Björn Wolak. Er ist Head of Digital Advertising Services bei DocMorris. Zur zeitlichen Orientierung: Der gesamte Prozess vom ersten Kontakt mit Criteo bis zur Liveschaltung des Retail-Media-Angebots hat laut Wolak etwa ein Jahr gedauert. Criteo zufolge fallen rein für die technische Implementierung in der Regel drei Monate an.
Das Modehaus Breuninger, das sein Retail-Media-Netzwerk im Sommer ausgebaut hat, hat sich hingegen für PromoteIQ von Microsoft entschieden. Als ausschlaggebende Gründe nennt das Unternehmen unter anderem die Qualität sowie die Fähigkeiten des Produkts. Dazu zählen etwa die Angebotsbreite und das Self-Service-Portal, das seit November verfügbar ist. PromoteIQ ist in Deutschland auch für die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) und für Obi im Einsatz.
Optimiertes Tech-Stack und flexible Konditionen
Als Vermarkter-Alternative empfiehlt sich das Münchner Unternehmen Laya Media, das unter anderem Galeria und SportScheck aus der insolventen Signa-Holding betreut. Wie auch immer es mit diesen weitergeht, Laya Media ist sehr zuversichtlich für die künftige Zusammenarbeit und offen für weitere Partner. „Wir übernehmen auf Wunsch die Vermarktung inklusive Sales- und Kampagnen-Management und stellen modular das notwendige Tech-Stack bereit“, sagt Armin Nusser, Director Laya Media.
Dieses Tech-Stack besteht aus der Criteo-Technologie für die Vermarktung von Sponsored Product Ads, einem Adserver des Freiburger Unternehmens Yieldlab und der Google-Technologie DV360 für Werbeschaltung auf externen Websites. „Wir arbeiten beim Tech-Stack mit einem ,Best of Breed‘-Ansatz“, erläutert Nussers Kollegin Margarita Maurer. Sie ist Head of Retail Media Product and Campaign. „Unsere Handelspartner können unsere Expertise bei der Integration und dem Betrieb nutzen und profitieren gleichzeitig davon, dass wir günstigere Konditionen bei unseren Tech-Partnern erhalten.“ Laya Media berechnet eine Provision auf den Umsatz, der laut Unternehmen in einem marktüblichen Korridor zwischen 20 und 40 Prozent liegt. Fixkosten fallen darüber hinaus nicht an.
Ob sich kleinere Händler langfristig im Retail-Media-Markt durchsetzen, ist nicht absehbar. Sie können erfolgreich sein, wenn sie in einer Nische eine hohe Marktbedeutung haben. Ist das nicht der Fall, müssen sie auf übergreifende Kampagnen setzen, in denen sie „mitgebucht“ werden. Idealerweise passiert das über das Programmatic System oder über große Netzwerke. Ob sich diese Optionen etablieren, hängt davon ab, ob die großen Player ein standardisiertes Retail-Media-Ökosystem aus vielen Händlern unterstützen. Die Alternative wären neue „Walled Gardens“, also in sich geschlossene Werbeumfelder. Dann wird es für die Kleinen schwer.