Retail Media – eine Mediengattung wird erwachsen 

Die wilden Jahre sind vorbei: Jetzt gibt es einheitliche Begrifflichkeiten, ein definiertes Retail-Media-Portfolio und erste KPIs. Höchste Zeit, denn Werbetreibende und Vermarkter setzen große Hoffnungen in diese aufstrebende Mediagattung, da sie eine zukunftssicher Zielgruppenansprache erlaubt.
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Durch sein eigenes Display-Netzwerk ist Otto an mehr als 90 Prozent aller AGOF-Vermarkter*innen in Deutschland angebunden. (© Otto Group)

Auf diese Definition hatte der Markt lange gewartet, nun herrscht Klarheit: „Retail Media ist die einzigartige Möglichkeit, Marken und Produkte dort zu präsentieren, wo ihre Relevanz, Wahrnehmbarkeit und Akzeptanz hoch, ihr Weg zum Kunden sehr kurz und ihr Kontext am natürlichsten sind. Als Mediengattung ermöglicht Retail Media auf Basis einer datengetriebenen Historie eine Funnel-übergreifende Messbarkeit der Werbewirkung, und dies direkt im digitalen und physischen Ökosystem des Retailers – On- und Offsite.“  Anfang Juni dieses Jahres wurde diese Definition vom Retail Media Circle (RMC) formuliert, der sich im vergangenen Jahr unter dem Dach des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) formiert hatte. 

Zuvor herrschte – wie bei neuen Marktlösungen üblich – sprachliches Wirrwarr. Jeder sagte etwas anderes, meinte aber das Gleiche oder umgekehrt. Im aufstrebenden Retail-Media-Markt sind diese Kinderkrankheiten nun überwunden. Mit der Definition setzte der RMC einen wichtigen Eckpfeiler, um die Mediengattung im Marketingmix von Unternehmen zu etablieren. Nur wenige Tage später legte der RMC nach und präsentierte ergänzend zur Definition erstmals eine Übersicht für das Werbeportfolio der Retailer. Neben dem Segment „Advertising“ umfasst das sogenannte 360°-Retail-Media-Portfolio drei weitere Business-Bereiche „Insights“, „Content“ und „Partnerprogramme“. Die einheitliche Beschreibung, Angebote entlang der Customer Journey und die vereinheitlichten Begrifflichkeiten dürften nun Transparenz in den Markt bringen. 

Daten für den gesamten Funnel nutzen 

Die vergleichsweise neue Mediengattung ist attraktiv. Ihr großer Vorteil ist es, dass Werbetreibende auf Basis von First-Party-Daten ihre Zielgruppen ansprechen können. Während das Drittanbieter-Cookie für die Zielgruppenansprache künftig nicht mehr nutzbar ist, sind Werbetreibende im Retail-Media-Advertising zukunftssicher aufgestellt. Die Einzelhändler sitzen zudem auf einem enormen Datenschatz.  

Die meisten Marketer verorten Retail Media noch als Conversion-Kanal: Vermarkter bieten spezielle Werbelösungen auf First-Party-Inventar an und zahlen mit den Maßnahmen unmittelbar auf Abverkauf und Conversion ein. Die Bewertung der Performance erfolgt dann anhand des ROAS. Nach Einschätzung von Sabine Jünger, Vice President Otto Advertising, liegt das große Potenzial von Retail Media aber darin, dass Werbetreibende die Daten entlang des gesamten Marketing Funnels nutzen können. „Wer Zielgruppen relevant ansprechen möchte, kann First-Party-Daten auch außerhalb von Shop-Umfeldern nutzen und auf Basis solcher Insights eine Mediaplanung aufsetzen, die von Awareness über Consideration bis Conversion reicht“, sagt die Expertin.  

Otto Advertising kann als Vermarkter diesbezüglich aus dem Vollem schöpfen und die First-Party-Daten von mehr als 31 Millionen aktiven User-Konten der Otto Group nutzen. Somit können Marketer hier datenbasiert entscheiden und Kampagnen sehr zielgenau ausliefern. Das Unternehmen kann dabei nicht nur seine eigenen Seiten bespielen: Durch sein eigenes Display-Netzwerk ist Otto an mehr als 90 Prozent aller AGOF-Vermarkter in Deutschland angebunden, entsprechend können beispielsweise auch Nutzer*innen auf Seiten von web.de, “Spiegel” oder “Zeit” angesprochen werden. 

Nicht-endemische Marken mit Besonderheiten 

Während ein Trend dahin geht, den Funnel zu bespielen, zeigt eine zweite Entwicklung, dass Retail Media auch für jene Marken interessant ist, die gar nicht auf einem Marktplatz oder in einem Online-Shop verkaufen. Diese sogenannten nicht-endemischen Marken nutzen immer öfter die Gelegenheit, in Retail-Media-Umfeldern auf ihre Brand und ihre Angebote aufmerksam zu machen. Laut Patricia Grundmann, Vorsitzende des RMC und Vice President Retail Media sowie Geschäftsführerin der Obi First Media Group, darf Retail Media in keinem Marketingmix mehr fehlen – unabhängig von der Marke, der Zielsetzung und dem zu bewerbenden Produkt. „Retail Media bietet für alle endemischen und nicht-endemischen Marken ein enormes Potenzial“, ist die Expertin überzeugt. So ist Obi beispielsweise zunächst mit der Zusammenarbeit mit endemischen Partnern gestartet, baut aber seit dem Vermarktungsstart für nicht-endemische Marken im September 2022 auch diese Partnerschaften kontinuierlich auf und aus. „Ein großer Fit zur ‚Home & Garden‘ Zielgruppe ist für sehr viele Marken extrem relevant und erfolgsentscheidend für ihre Kampagnen“, erläutert Grundmann. 

Primäres Ziel endemischer und nicht-endemischer Marken ist die Ansprache der richtigen Zielgruppe am richtigen Ort mit der richtigen Botschaft. Darin unterscheiden sich Marken nicht. Auch die Inhalte der Retail-Media-Kampagnen unterscheiden sich wenig – Branding und Awareness Kampagnen sowie eher aktivierende, conversion-getriebene Kampagnen werden gebucht. Aber es gibt auch Unterschiede: „Nicht-endemische Marken haben oft andere Saisonalitäten als unsere ‚Home & Garden‘ Partner, was sich auch klar im Buchungsverhalten zeigt“, sagt Grundmann. Insbesondere sei die Journey der Endkund*innen eine andere: „Während endemische Kunden ihre Journey klassischerweise im Obi-Ökosystem beenden, ist bei nicht-endemischen Partnern häufig das Ziel eine Conversion auf einer externen Seite, also außerhalb des Ökosystems“, sagt die Obi First Media-Chefin. 

Neue Diskussionsgrundlagen für die kommenden Monate 

Werbetreibende und Agenturen sehen die aktuelle Entwicklung ebenso positiv wie Vermarkter – schließlich gilt Retail Media auch in diesen angespannten Zeiten als eines der wenigen Wachstumsfelder. Um die aktuelle Stimmung im Markt abzubilden, hat die DMEXCO in diesem Frühjahr Expert*innen führender Mediaagenturen in Deutschland befragt, wie sie die Entwicklung der Gattung Retail Media einschätzen. Der Tenor war durchgehend optimistisch: Während sich die einen insbesondere im Bereich Retail Search ein zweistelliges Wachstum versprechen, sehen andere Retail Media gar als Wachstumstreiber im digitalen Werbemarkt. Laut den Prognosen des FOMA-Trendmonitor soll Retail Media in diesem Jahr in Deutschland um weitere 27 Prozent wachsen – so viel wie kein anderer Mediakanal. Insbesondere in der Rolle und Bedeutung von First-Party-Daten sehen die befragten Agentur-Expert*innen große Dynamik: Die „Cookiekalypse“ und die Notwendigkeit für neue, DSGVO-konforme Targeting-Möglichkeiten entlang des gesamten Consumer Funnels sind auch für die Agentur-Experten eine der wichtigsten Entwicklungen. 

Wohin die Retail-Media-Reise jetzt gehen könnte, zeigt ein Blick auf die kommenden Monate: Nachdem der BVDW eine einheitliche Definition von Retail Media erarbeitet und ein 360°-Retail- Media-Portfolio definiert hat, wurden kürzlich auch Kernprozesse definiert und einheitlichen KPIs veröffentlicht, welche die Grundlage für die Diskussionen der nächsten Monate und auf der DMEXCO 2023 im September bilden sollen. „Es bewegt sich also viel und wir sind auf dem richtigen Weg – und ich freue mich über alle, die das gemeinsam mit uns entwickeln und helfen, die nächste Entwicklungsstufe für Retail Media zu zünden“, sagt Grundmann. 

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.