von Sascha Jansen, Executive Managing Director Zed digital
Die CeBit als Messe für Kommunikations- und Informationstechnologie wird vom 4. bis 9. März 2008 wieder zum weltweiten Schaufenster für digitale Innovationen, Produkte und Entwicklungen. Ganz vorn dabei: Internet- und Mobile- Anwendungen, mit denen die Web-Nutzung von überall noch einfacher werden soll. Und das sind die fünf wichtigsten Entwicklungen, mit denen sich das digitale Business 2008 auseinandersetzen muss:
Mixed Reality
Die reale Welt und die virtuelle kommen sich immer näher. Sei es am Konferenztisch, an dessen einer Hälfte reale Personen sitzen, an der anderen die per Videokonferenz zugeschalteten Kollegen aus Übersee. Oder in diversen Simulationsumgebungen, in denen Menschen Flugzeuge steuern lernen, den Umgang mit gefährlichen Werkzeugen üben oder mit diffizilen medizinischen
Geräten hantieren. Doch auch in anderen Bereichen ist die virtuelle Welt näher als ein Paralleluniversum. Die vollkommene Anonymität im Web zu leben, hat nur für kurze Zeit und für bestimmte Menschen seinen Reiz. Wer sich auch im realen Leben ungern in die Karten schauen lässt, wird kaum Gefallen daran finden, im Web viel preiszugeben. Andersherum werden aber auch die Menschen, die im realen Leben eher aufgeschlossen sind, das Web als Präsentationsplattform nutzen – und damit eine größere Öffentlichkeit erreichen. Wächst diese Öffentlichkeit in besonderem Maße, erlangen Figuren wie die 14-jährige Mina
oder Group Tekkan auch im realen Leben eine gewisse Beliebtheit – und sei es auch nur zeitweise.
Den Transfer aus der virtuellen in die reale Welt nehmen aber nicht nur Personen, sondern auch Geschäftsideen. So finanziert sich die größte Online- Enzyklopädie mit zig Tausenden von Autoren überall in der Wikipedia zu einem wesentlichen Teil aus Spenden der Endverbraucher. Das Modell hat die Musiker der britischen Band „Radiohead“ inspiriert: Sie stellten ihr neues Album zum kostenlosen Download ins Web – und baten um Spenden. In den ersten 29 Tagen bezahlten 38 Prozent der Nutzer, die sich die Musik aus dem Netz zogen. Im weltweiten Schnitt lag der Preis bei sechs Dollar. Ob und wo sich solche Modelle lohnen, wird sicherlich noch zu erforschen sein. Klar ist aber, dass auch übliche Preismodelle nicht in Stein gemeißelt sind.
Ein weiteres – keineswegs unbekanntes – Indiz für Mixed Reality: Immer mehr Produkte und Dienstleistungen verschieben sich ins Netz. Während der Fahrkartenverkauf übers Web inklusive Zahlungsabwicklung und Reservierung zur Jahrtausendwende erst als Gedankenspiel existierte, ist er heute Realität. Auch eine Vielzahl anderer Dienstleistungen und Geschäftsprozesse wird heute selbstverständlich über das Internet abgewickelt. Musik, Filme, aber auch Software werden direkt aus dem Web bezogen. Plattformen wie Googles Android und Microsoft-Beteiligung Facebook arbeiten daran, Anwendungen für alle Endgeräte kompatibel zu machen und zentral zu verwalten. Nutzer bräuchten dann keine Software mehr auf dem eigenen Rechner zu installieren, sondern sie würden einfach die Anwendung übers Internet nutzen, die sie gerade brauchen.
Dort platzierte Werbung würde von allen Nutzern gesehen, ganz gleich, an welchem Endgerät sie sitzen. Jüngster Trend, der zeigt, wie sich Marketing- Maßnahmen auf der Schnittstelle zwischen realer und digitaler Welt bewegen können und beide vernetzen, ist das so genannte Mobile Tagging mit QR-Codes: Dies ist ein Vorgang, bei dem mit Hilfe einer Kamera im Handy ein Barcode, der
beispielsweise auf einem Plakat oder Produkt abgebildet wird, entschlüsselt werden kann. Das Spannende an den Codes: Sie können Produktinformationen oder auch Video-Clips speichern, die der Handynutzer dann direkt auf sein Handy geschickt bekommt oder ihn mit dem Internet verlinkt.
In Japan beispielsweise nutzt die Fastfoodkette McDonald´s das System, in dem sie Konsumenten mit Hilfe eines QR-Codes auf der Verpackung direkt auf eine Website mit Nährwert-Informationen des Produktes führten – ein schneller Switch vom Real Life ins WWW. Während Mobile-Tagging in Japan schon breit genutzt wird, schwappt der Trend jetzt auch nach Europa. In Deutschland druckte beispielsweise das Staatstheater Darmstadt auf seine aktuellen Werbeplakate verschlüsselte QR-Codes zur Bewerbung des neuen Programms. Wer sie abfotografiert, erhält gratis Videoclips, die Szenen aus den Aufführungen der aktuellen Werke des Staatstheaters zeigen.
Bewegtbild-Content
Die höhere Bandbreite macht’s möglich: Live-Mitschnitte, Videos on demand und Web-TV gehören inzwischen zum Internet wie einst das gute, alte Modem. Bewegte Bilder sind dabei nicht nur das Tüpfelchen auf dem i der großen Nachrichten- und Unterhaltungsangebote. Millionen von Privatpersonen filmen Sinnhaftes und Belangloses und veröffentlichen ihre Videos bei YouTube oder im Rahmen eines persönlichen Profils bei MySpace und Facebook. Dass Videoinhalte im Web dieses Jahr zum großen Thema werden, liegt daran, dass ihre Verbreitung so rasant um sich greift, dass immer mehr Werbung Treibende, sich Gedanken darüber machen, ob und wie sie diesen Trend für sich nutzen können. Ging es früher darum, im Internet junge, Technik affine Zielgruppen und first mover anzusprechen, so lassen sich inzwischen viel breitere Zielgruppen erreichen.
Die Konsumgüterindustrie setzt an, das Web in bisher unbekanntem Umfang als Werbemedium zu nutzen. Der Grund: Endlich sind Werbespots im Internet möglich! Denn mit 30-Sekündern kennen sich die Big-Spender unter den Werbung Treibenden am besten aus. Fanden sie es bislang bedauerlich, dass identisch ins Web übertragene TV-Spots ihre Wirkung verfehlen, so stellen sie sich angesichts des Massenmediums Internet der Herausforderung, Spots für dieses Medium zu entwickeln oder anzupassen. Produktion und Platzierung solcher Video-Ads erfordert das Wissen und die Erfahrung von Media-Experten.
Denn ein stimmungsvoller, sich dramaturgisch langsam entwickelnder Spot wird seine Wirkung nicht entfalten können, wenn er zwar auf der Reichweiten starken Startseite eines Nachrichtenportals platziert ist – die meisten Besucher von dort aber sehr schnell auf einzelne Artikelseiten oder in Unterrubriken abwandern und folglich gar nicht lang genug verweilen, um die Werbebotschaft zu erhalten. Doch Werbung Treibende und ihre Agenturen lernen rasch, und so wird bereits für Putzmittel, Spülmaschinentabs und Joghurt im Internet geworben – mit Erfolg.
So nutzte beispielsweise Reckitt Benckiser die interaktive Version des britischen „Wer wird Millionär?“, um per Spot im Abspann einen Teppichreiniger vorzustellen. Um den Teppich nach dem Einsprühen zu reinigen, musste der Nutzer selbst mit der Computer-Maus den Staubsauger bewegen. Solche Werbeformen sind erst der Anfang. Wenn Feinwaschmittel und Frühstücksflocken in naher Zukunft regulär im Internet beworben werden, wird der Anteil an Video-Ads dem Medium einen weiteren Wachstumsschub verpassen.
Mobile Marketing
Auch das Schlagwort „Mobile Marketing“ sorgt schon seit einigen Jahren in den Kreisen eingefleischter Mobilfunker für feuchte Augen. Wie Markenbotschaften aufs Handy kommen und dort als Mehrwert – nicht als Ärgernis! – empfunden werden, darüber haben sich in den vergangenen Jahren viele kluge Menschen den Kopf zerbrochen. An der jungen Zielgruppe haben wir gesehen, dass keinem Bildschirm so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie dem Handy-Display. Läutet es? Blinkt da was? Schon ist der geneigte Besitzer eines Smartphones bereit, in Aktion zu treten.
Einzigartiger Vorteil für Werbung Treibende: Über kein anderes Medium kann man seine Zielgruppe so nah und „privat“ erreichen, wie über das Handy, das meist griffbereit in der Hosen- oder Handtasche liegt. Mit innovativer, direkter Werbung, die den Spieltrieb des Nutzers weckt und ihm auch Unterhaltung bietet, kann so eine aktive, unmittelbare Auseinandersetzung mit der Werbebotschaft erreicht werden. Ein Gerät wie das kürzlich auf den Markt gebrachte iPhone (und seine me-toos), das die Funktionen Telefonie, E-Mail, Web, MP3-Player, Videos und persönlichen Desktop vereint und das Mobiltelefon – noch mehr als bisher – zum unerlässlichen Lifestyle-Produkt und „Mini-Schreibtisch“ für jedermann macht, verpasst dem Markt einen weiteren Schubs nach vorn.
Und während mobiles Marketing lange eher ein Feld von Spezialisten und Nischenanbietern, schalten sich längst auch die großen Werbeagenturen mit eigenen Mobile-Units ein. Kreative Werbung für und mit Mini-Screens lautet die Herausforderung, und wer sie meistert, hat gute Chancen, einen der frisch ausgelobten Mobile-Marketing-Awards zu gewinnen. Interaktive Werbemaßnahmen mit Spaß- und Entertainment-Faktor, die einen Mehrwert bieten, kommen beim Konsumenten gut an: So beispielsweise Gewinnspiele, Votings oder auch Promotion-Aktionen, bei denen er digitale Rabatt-Coupons oder Gutscheine für das beworbene Produkt per Handy erhält.
Das Mobiltelefon wird so nicht nur zum Zusatzmedium für crossmediale Kampagnen, sondern auch zum wichtigen Responsekanal, mit dem Werbung Treibende unmittelbar und sehr genau messen können, ob und in welchem Umfang die Zielgruppe erreicht wurde. Werbung im Mobile-TV wird von Unternehmen dagegen wegen der geringen Reichweite noch als Ergänzung zu klassischen Kampagnen gesehen. Das könnte sich bald ändern: Anfang des Jahres hat das Unternehmen Mobile 3.0. die Zulassung erhalten, in Deutschland eine Plattform für mobiles Fernsehen im DVB-H-Standard zu betreiben, was einen flächendeckenden Empfang von Handy-TV und eine größere Programmvielfalt als bei anderen Übertragungsstandards ermöglicht.
Programmvereinbarungen mit ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 wurden schon besprochen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Wie lassen sich Markenbotschaften auf Mini-Fläche transportieren? Klassische TV-Spots mit Details und schnellen Schwenks sind gar nicht darstellbar. Gefragt sind auch hier neue Arten der Bildführung und Bildkomposition, sowie Möglichkeiten Werbeinhalte, geschickt in das Programm zu integrieren. Dies kann beispielsweise durch kurze Spots mit augenfreundlichen Nahaufnahmen gelingen, die unmittelbar vor dem Programm gezeigt werden oder auch durch die Einbindung von schnell erfassbaren Marken-Logos oder kurzen Text-Botschaften am unteren Bildrand.
Virtuelle 3-D-Welten
Dass das Internet mehr ist, als ein Medium, in dem Texte, Bilder und Töne eine Zweckgemeinschaft zur Befriedigung der Informationsgelüste einer immer noch wachsenden Nutzerzahl, zeigte Second Life. Das kalifornische Unternehmen
Lindenlab schuf eine 3-D-Welt im Web und lässt sie seit 2003 von den eigenen Nutzern gestalten. Die virtuelle Spielwiese wurde 2006 und 2007 von Medien und Betreibern zur schöneren, besseren und unentbehrlichen Parallelwelt gehypt. Dass die Zahlen mit den Visionen nicht Schritt halten konnten, führte jedoch zur Ernüchterung.
Second Life schien als ernst gemeinte Marketingplattform versagt zu haben. Unabhängig von der Zukunft von Second Life beobachten wir jedoch einen Trend zu 3-D-Online-Welten in der Kommunikation von Marken, der uns 2008, stärker aber wahrscheinlich erst 2009, beschäftigen wird. Der Grund: Markenbotschaften gehen über reine Informationsvermittlung hinaus. Marken sprechen Emotionen an. Marken laden zur Selbsterfahrung ein. Dreidimensionale Online-Welten sind hervorragend geeignet, um Zielgruppen zu faszinieren und zu involvieren.
Die Technik ermöglicht es heute, virtuelle Umfelder zu schaffen, in denen Marken erfahrbar werden. Eine Lounge im Cyberspace, ein virtueller Postschalter oder ein Avatar, der Tipps beim Einkauf von Oberbekleidung gibt – das alles gab es hier und dort auch schon zu Beginn des Jahrtausends. Ihren Durchbruch in der Nutzung für die Kommunikation von Marken werden 3-DWelten jedoch erst jetzt erleben. Denn inzwischen sind die technischen Voraussetzungen hierfür gegeben: Nutzer erwarten ganz selbstverständlich von ihrem PC, dass sie damit Musik, Filme und Games aus dem Internet beziehen und konsumieren können.
3-D-Animationen herzustellen, wird immer leichter und sie erhalten Einzug in immer mehr Online-Medien. Auch Nachrichten auf Seiten wie „Spiegel Online“ werden künftig stärker erlebbar sein, wenn 3-D-Animationen Geschehnisse vermitteln, die keine Kamera festgehalten hat. So zum Beispiel den Zusammensturz einer Brücke oder die Entwicklung eines Tsunamis im Ozean.
Social Networks
Millionen von Menschen nutzen das Web, um sich dort selbst darzustellen – so wie sie sind oder so wie sie gern wären. Eine Vielzahl von Freunden und Bekannten inklusive. In diesem Jahr wird sich zeigen, ob und wie sich der Boom sozialer Netzwerke für die Werbung nutzen lässt. Die große Frage ist: Wie vermarktbar ist User Generated Content? Zum einen im Hinblick auf die
Reichweite, zum anderen im Hinblick auf die Treffgenauigkeit, mit der sich Profile auswählen ließen. Werden große Markenartikler die immense Reichweite von MySpace & Co. für ihre Botschaften nutzen können?
Bisher fehlt es an überzeugenden Konzepten. Gleichzeitig protestieren Nutzer von Social Communities wie Facebook, StudiVZ und Xing gegen Werbemaßnahmen in ihren „digitalen Wohnzimmern“. So wehrten sich beispielsweise Facebook-Nutzer gegen die Software, die innerhalb des Netzwerk der eingetragenen „Freunde“ sichtbar machte, wer in welchen Online-Shops eingekauft hatte. Und Xing- Premium-Mitglieder forderten, dass die neu eingeführten Werbe-Banner auf ihren Profilseiten entfernt werden sollten – was schließlich auch geschah.
Doch auch abseits des lauten Protestes ist ungewiss, wie wirksam Werbung auf persönlichen Profilseiten ist, wo der Inhaber im Zweifelsfall nicht mit harschen Kommentaren hinterm Berg hält, wenn er auf seiner Seite eine Werbebotschaft entdeckt, die ihm unpassend erscheint. Spezielles Targeting, das die sehr gezielte Ansprache exakt gefilterter Profile ermöglicht, könnte eher eine Chance für Communities sein. Aber wie stark möchten sich Unternehmen auf spitze Nutzergruppen fokussieren?
Die Technik wird es bald ermöglichen, Tomatensaft trinkende Cabrio-Fahrer aus Niedersachsen mit Vorliebe für blaue Sportschuhe und Musik von U2 zu identifizieren. Doch welchen Vorteil haben Unternehmen, solche Funktionen zu nutzen? Die Entscheidung für Reichweite und damit einhergehend höhere Streuverluste oder für individuelle Ansprache und damit eventuell höhere Akzeptanz beim Nutzer muss jeder für sich treffen – online wie offline.
Autor: Sascha Jansen ist Executive Managing Director bei Zed digital, einer Spezial-Agentur für digitales Marketing.