Bei Rewe ist immer was los – diesen Eindruck vermittelt zumindest der Karrierekanal, den der Lebensmittelfilialist seit Juni 2021 auf TikTok betreibt. Da berichten Mitarbeitende über witzige Zwischenfälle, aber auch über den ganz normalen Alltag: Wie motiviert man sich unausgeschlafen für die Frühschicht? Wie kann man den Mitarbeitenden-Rabatt nutzen? Und wie ist es eigentlich, wenn man beim Rückgeld-Geben ständig die Hände der Kundschaft berühren muss? Das und vieles mehr erfährt man in Kurzvideos, in denen vor allem aus Sicht der jungen Belegschaft berichtet wird. Schließlich will sich Rewe über TikTok vor allem als attraktiver Arbeitgeber für Azubis präsentieren – bislang erfolgreich: Der Kanal verzeichnet mehr als 82.000 Follower*innen.
Rewe steht vor der allseits bekannten Herausforderung: Den Fachkräftemangel bekommt man nicht in den Griff, wenn man nur potenzielle Bewerberinnen und Bewerber anspricht, die aktiv nach einem Job suchen. Daher forciert der Konzern sein Employer Branding und ist dort präsent, wo sich die Zielgruppen austauschen: in den sozialen Medien, unter anderem auf TikTok. Für die Kurzvideo-Plattform habe gesprochen, „dass wir unsere Schnittmenge zur jungen Zielgruppe erweitern wollten und auch die User erreichen möchten, die ausschließlich auf TikTok unterwegs sind“, sagt Justine Geloneck, HR-Expertin Employer Branding bei der Rewe Group.
Die Arbeit am Karrierekanal ist ein kontinuierlicher Lernprozess. Am Anfang waren in den Kurzvideos professionelle Creator*innen zu sehen, die nicht bei Rewe tätig sind. „Nach und nach haben wir aber auch eigene Mitarbeitende gescoutet, die auf TikTok bereits aktiv waren“, sagt Geloneck. „Diese treten nun auch auf unserem Kanal auf.“ Nachdem zunächst mit Green Screens gearbeitet wurde, wird mittlerweile in den realen Märkten gedreht. Dabei sind Spontaneität und Authentizität gefragt: „Wir haben im Lauf der Zeit deutlich an Tempo gewonnen“, so Geloneck. „Am Anfang hat es oft zu lange gedauert, bis wir neue Trends aufgegriffen haben – darauf hat uns dann die Fan-Community aufmerksam gemacht.“ Um für ausreichende Reichweiten zu sorgen, verlässt sich Rewe nicht auf virale Effekte, sondern pusht die einzelnen Beiträge mit einem Mediabudget.
Recruiting auf TikTok: Elaine Victoria wird vom Aldi- zum Rewe-Girl
Für besonders viel Aufmerksamkeit sorgte im vergangenen August ein neues „Rewe-Girl“: Elaine Victoria, die 2021 noch bei Aldi arbeitete und mit einem elfsekündigen TikTok-Video zu „Deutschlands heißester Kassiererin“ („Bild“) wurde. Die 19-Jährige quittierte danach den Job, um eine erfolgreiche Influencerin zu werden. Ihre nun professionellen Videos für Rewe brachten jeweils rund zehn Millionen Aufrufe. Laut Justine Geloneck konnte der Karrierekanal damit seinen Bekanntheitsgrad „signifikant steigern“.
Nicht nur Rewe, sondern viele weitere Unternehmen suchen auf TikTok die Nähe zur jungen Zielgruppe – das Spektrum reicht von Konzernen wie SAP und Telekom bis hin zu regionalen Playern wie der Volksbank Mittelhessen und dem Hotel Heidelberger Hof. Besonders erfolgreich ist der Künzelsauer Motoren- und Ventilatorenbauer Ziehl-Abegg, der auf seinem Kanal seit Juni 2020 Gags, Sketche und Tänze, aber auch Informationen über die Vorteile der dortigen Ausbildung präsentiert. Im Mittelpunkt der Videos steht ein dreiköpfiges hausinternes Team. Der Kanal verzeichnet mittlerweile fast 100.000 Follower*innen und mehr als 60 Millionen Views – eine erstaunliche Bilanz, zumal Ziehl-Abegg ausschließlich auf organisches Wachstum setzt und kein Werbegeld in die Hand nimmt. Die TikTok-Präsenz soll zu nachweislich mehr Traffic auf der Karrierewebsite und etlichen Bewerbungen geführt haben.
Wer TikTok einsetzen will, sollte bedenken: Die Latte in puncto Entertainment hängt hoch – ein Video muss in den ersten Sekunden zünden, länger währt die Aufmerksamkeitsspanne der Zielgruppe nicht. Zudem muss mit hoher Schlagzahl, mindestens wöchentlich, produziert werden – lange Abstimmungsprozesse sind da nicht möglich. Für die meisten Unternehmen ist TikTok Neuland, während andere Social-Media-Plattformen für Employer Branding und Recruiting bereits etablierter sind. Ein Musterbeispiel sind die YouTube-Serien der Bundeswehr, die den Alltag der Truppe zeigen und mittlerweile mehr als 500.000 Abonnent*innen auf den Kanal „Bundeswehr Exclusive“ gezogen haben. Das Projekt wurde 2020 mit dem Marken-Award in der Kategorie „Beste digitale Markenführung“ ausgezeichnet. Im Juni ist eine neue Serie über das Wachbataillon beim Verteidigungsministerium gestartet, mit der die Bundeswehr nun sogar das Metaverse betritt: In der virtuellen Welt Decentraland gibt es einen Stand, an dem man sich einen Trailer zur Serie anschauen kann. Wer den Trailer vollständig angesehen hat, bekommt zur Belohnung ein NFT-Wearable in Form eines T-Shirts des Wachbataillons.
Otto setzt auf die Faszination der „Challenge“
Besonders gefragt sind bei fast allen Arbeitgebern Fachkräfte mit IT-Affinität. Bei Otto ist mittlerweile rund jede dritte Stelle ein Tech-Job. Daher wirbt der E-Commerce-Riese seit Ende Oktober mit einer umfangreichen Kampagne um Tech-Talente. In vier Videos stellen echte Mitarbeitende, die sogenannten „Techtimonials“ aus Softwareentwicklung, Data & Analytics und anderen Tech-Disziplinen, ihre fachlichen Herausforderungen vor, zum Beispiel „die Entwicklung der besten E-Commerce-Suche im deutschsprachigen Raum“. Die Filme sind sehr kurz, schnell geschnitten und am Arbeitsplatz produziert, was sehr authentisch wirkt.
„Potenzielle Nachwuchskräfte im Tech-Bereich lassen sich besonders durch Herausforderungen motivieren“
Ildiko Peter, Senior HR Manager bei Otto
Otto hat bewusst nicht die Arbeitsbedingungen oder die Unternehmenskultur inszeniert, sondern setzt auf das Thema Challenge: „Potenzielle Nachwuchskräfte im Tech-Bereich, aber auch erfahrene Professionals lassen sich besonders durch Herausforderungen motivieren“, sagt Ildiko Peter, Senior HR Manager bei Otto. Dabei soll aber kein impliziter Druck aufgebaut werden: „Im Tech-Bereich geht es auch darum, die Hemmschwellen zu senken“, so Peter. „Es geht noch immer viel Potenzial verloren, weil sich potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten nicht genug zutrauen.“
Die Spots laufen auf YouTube, Twitter, Twitch und LinkedIn, daneben wird Programmatic Video genutzt. Geplant ist eine Reichweite von rund 2,3 Millionen Impressions. Otto nutzt die vorhandenen Targeting-Möglichkeiten für eine Tech-affine Zielgruppe. Wie die allermeisten Recruiting-Kampagnen wird der Erfolg nicht direkt an der Zahl der eingehenden Bewerbungen gemessen, weil sich ein direkter Zusammenhang meist nicht messen lässt. Stattdessen werden klassische Media-KPIs wie View-Raten und Interaktion genutzt.
L’Oréal konzentriert sich komplett auf LinkedIn
Ähnlich läuft es bei der aktuellen Employer-Reputation-Kampagne von L’Oréal, die sich ebenfalls seit Oktober an die begehrte Tech-Zielgruppe in Deutschland und Österreich wendet. Acht Bildmotive und drei Videos auf LinkedIn präsentieren vier Mitarbeitende mit digitalen Jobprofilen. Angesprochen werden Young Professionals mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung, aber auch Hochschulabsolvent*innen. „Wir wollen L’Oréal vor allem als digitalen Player bekannter machen“, erklärt Oliver Sonntag, HR Director L’Oréal Austria/Germany. Zudem wolle man vermitteln, „dass L’Oréal ein moderner, offener, vielfältiger und dynamischer Arbeitgeber ist“.
Auch L’Oréal hat längst die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber über klassische Kanäle wie Jobportale kaum noch an Tech-Talente herankommen – sie sind eben nie auf der Suche, sondern können sich die Angebote aussuchen. Also beschreitet L’Oréal über Social Media hinaus neue Wege: „Wir stellen unter anderem durch Präsenz auf Veranstaltungen wie OMR und Hub.Berlin sowie an Universitäten Kontakt zur Tech-Community her.“ Dass der Konzern sich für die aktuelle Kampagne auf LinkedIn konzentriert, liegt am Professional-Schwerpunkt und den Targeting-Möglichkeiten der Plattform. „Es geht darum, möglichst viele Interessierte auf die Landingpage der Kampagne oder auf unsere Karriereseite zu leiten“, so Sonntag. „Wenn das gelingt, werden wir diese Strategie fortsetzen.“