Real-Time Marketing umfasst alle absatzorientierten Aktivitäten, die mit Hilfe von (digitalen) Echtzeitinformationen über die Zielgruppe beeinflusst und gesteuert werden können. Real-Time Advertising wiederum ist ein Teil des Real-Time Marketing und bezeichnet den informationstechnisch realisierten Bereich sowie das kurzfristige, weitgehend automatisierte Einkaufen von passendem Werbeplatz auf bestimmten Zielmedien (auch: Programmatik Buying, Real-Time Bidding).
„Wir befinden uns inmitten der Digitalen Transformation“, erklärt der Autor Detlef Schoder vom Seminar für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement der Universität zu Köln. „Mit der Studie zeigen wir Aspekte des Real-Time Marketings, die technologisch, betriebswirtschaftlich und juristisch für Entscheider von Bedeutung sind.“
Der Autor führte hierzu zahlreiche Interviews und analysierte Studien, Transferzeitschriften, Web-Feeds und einschlägige Fachliteratur. Die gesamte Studie ist Teil einer Reihe, in der sich der DMV als Berufsverband des Marketing-Managements unabhängig mit relevanten Themen auseinandersetzt. Sie erscheint Mitte Juli in gebundener Form. absatzwirtschaft dokumentiert erste Ergebnisse:
Hürden der digitalen Transformation
Eine von Schoders Thesen besagt, dass sich Unternehmen radikal neu erfinden müssen. Vielen fällt die digitale Transformation aber noch zusehends schwer. Der Autor identifiziert verschiedene Hürden, an denen Unternehmen häufig scheitern:
- Unverständnis fundamentaler Aspekte der digitalen Transformation
- unzureichend organisiertes und incentiviertes Innovationsmanagement
- unklare organisatorische Verantwortlichkeit, wer denn nun das Mandat für Themen der digitalen Transformation hält
- historisch gewachsene, tradierte Organisationsstrukturen und daraus resultierende Trägheit zur Veränderung, insbesondere, wenn Grunderfolg vorhanden ist
- mangelnde Orientierung, wie man den Wandel systematisch angehen könnte
- Unkenntnis über Methoden zur Implementierung kreativer Prozesse im Unternehmen
- Ignoranz des Potenzials fortgeschrittener Datenanalyse und moderner Informationssysteme
Real Time Advertising (RTA) löst bisherige Vermarktung ab
Der Vorteil von RTA liegt in der Automatisierung und der Reduktion von Streuverlusten. Schlüssel ist hier der Wandel von umfeldbezogener Streuwerbung hin zur präzisen, individuellen Kundenansprache. Die Befragten sehen aus diesem Grund eine Ausweitung der Bedeutung auf andere Mediengattungen wie Connected TV, (digitales) Radio und Video-Werbung.
Kontaktpreise könnten steigen
An diesem Punkt waren sich die Entscheider uneinig. Das immer größer werdende, unbegrenzte Angebot virtueller Werbeflächen spricht eigentlich für ein Absinken der Kontaktpreise. Der Aufwand, Einzelprofile aussagestark anzureichern, steigt allerdings und damit auch der Wert eines „personenscharfen“ Profils. Dies intensiviert den Wettbewerb um jeweilige, hochqualitative Profile mit der Folge, dass die Kontaktpreise für Werbungtreibende ansteigen würden.
Der klassische Ansatz für technisches Tracking von Nutzern im Internet bilden Cookies. Cookies aber werden in der Werbebranche als zunehmend unzuverlässiges Tracking-Werkzeug eingeschätzt: Durch die mittlerweile existierende Gerätevielfalt und neuen Handlungsweisen, mit denen derselbe Nutzer – über den Tag und die Woche verteilt – über mehrere Geräte in das Internet geht, wird das Tracken deutlich erschwert.
Unter dem Leitthema „Post-Cookie-World“ werden Nachfolgetechnologien entwickelt und bereits vereinzelt eingesetzt. Ein Ansatzpunkt ist das Canvas Fingerprinting: Aus den Spezifika etwa des Browsers und/oder des Gerätes des Nutzers wird eine eindeutige Kennung ermittelt. Dadurch rückt ein geräteübergreifen des, Cookieloses Omni-channel-Tracking einzelner Nutzer in greifbare Nähe. Um Nutzern mehr Transparenz und Kontrolle darüber zu geben, wer wann welche Cookies setzt und damit Daten über das Nutzungsverhalten sammeln darf, hat die Werbebranche 2012 eine Selbstregulierung für nutzungsbasierte Online-Werbung gestartet. Verbände empfehlen Anwendern die Beteiligung.
Erfolgsmessung von Crossmedialer Online-Werbung
Allgemein wird moniert, dass es immer noch keine zuverlässigen Angaben darüber gibt, wie vielen Menschen Online-Werbung gezeigt wird, und ob das Werbemittel überhaupt an die gebuchten Seiten ausgeliefert worden ist.
An Lösungen arbeiten diverse Organisationen und Verbände. Im Multi-Kanal-Kontext fehlt es insbesondere an Daten (etwa aus neu zu definie-renden Paneln, die zum Beispiel den Smart-Phone-Nutzer in das Zentrum stellen) und praktikablen, konsens-fähigen Methoden zum Beispiel hinsichtlich des „Targets“. Hier stellt sich sich die Frage, sollen Personen oder Geräte gezählt werden, oder sollen technische Reichweitendaten um soziodemografische Angaben der (tatsächlichen) Nutzer angereichert werden?
Rollenspiele: Agenturen, Facebook und Co.
Je mehr automatisiert abläuft, desto weniger Einzelberatung ist erforderlich. Dies bezieht sich auf den Anteil am Agenturgeschäft, der im Prinzip leicht standardisierbar und damit wenig beratungsintensiv ist. Hinsichtlich komplexerer Kommunika-tionsziele – etwa zur Markenbildung – und komplexerer Vermittlungsfor-mate (zum Beispiel Storytelling) mag dies weniger stark zutreffen. Diverse Studien – auch aus dem Agenturumfeld selbst – prognostizieren: „Die Technologie kannibalisiert das Kerngeschäft.“ Algorithmen und neue Verarbeitungsprogramme bearbeiten zunehmend auch komplexere (Agentur-)Aufgaben.
Die großen, bekannten Internet-Akteure wie Google, Facebook, Twitter oder Amazon wiederum nähern sich in gewisser Weise einander an. Jeder nutzt mehr oder weniger stark die Dimensionen Vernetzung (Social Media), E-Commerce, Mobile, Kundenprofilierung und Reichweitenmaximierung. Ihre sehr großen Investitionsvolumina in neue Dienste und Geschäfts-möglichkeiten werden ihre ohnehin schon bevorzugte Position eher wei-ter stärken. Dabei entstehen interessante Skaleneffekte für Agenturen und ihre beauftragenden Werbetreibenden, die einer weiteren Oligopo-lisierung der Werbemärkte in die Hände spielen.