Herr Schmidt, gehört Anpassung eigentlich zu den entscheidenden Erfolgsschlüsseln, dass es Ravensburger nach 130 Jahren noch gibt?
KARSTEN SCHMIDT: Auch, ja. Wir verfolgen ein doppeltes Prinzip: die Weiterentwicklung von Bestehendem und das Entwickeln von Innovationen. Im erstgenannten Fall frischen wir bekannte Inhalte auf und verpacken sie in neue Formen. Mit dieser „Backlist“ verdient man Geld, nicht mit den Neuheiten. (schmunzelnd) Mit den Neuheiten verdient man erst Geld, wenn sie zur Backlist werden. Zusätzlich haben wir immer wieder für Innovationen gesorgt: ob „Memory“, „Scotland Yard“, 3D-Puzzles oder zuletzt „tiptoi“.
Ravensburger sucht regelmäßig richtige Antworten auf Kernfragen des Zukunftsmanagements, also wie sich in den kommenden fünf bis zehn Jahren die Märkte und Kunden verändern und damit ihre Produkte anpassen müssen. Wie gehen Sie dafür systematisch vor?
SCHMIDT: Wir arbeiten für Innovationen mit einem externen Netzwerk, zum Teil auch mit Ideenschmieden wie Ideo. Alle zehn Jahre erarbeiten wir eine Vision, die letzte haben wir 2003 selbst entwickelt, für die aktuelle haben wir uns 2012 von Zukunftsforschern der Futuremanagementgroup begleiten lassen. Sie beruht auf Erkenntnissen und Annahmen, wie die Zukunft aussehen wird, und gibt Antworten darauf, was wir in zehn Jahren sein wollen. Darunter entwickeln wir unsere Strategie alle drei Jahre rollierend. Sie gleicht ab, auf welche Veränderungen wir reagieren müssen, um unsre Vision zu erreichen. Aus der jeweiligen Drei-Jahres-Strategie leiten wir jährliche Schlüsselprojekte ab. Diese Fokusmaßnahmen müssen sein, denn sonst bleibt alles Papier.
Ansonsten hapert es mit der Umsetzung?
SCHMIDT: Richtig. Unser Rhythmus soll sicherstellen, dass wir strategisch sauber denken und arbeiten. Dass wir vor allem auch arbeiten. Deutsche Unternehmen haben die Eigenheit, die Grundsatzfrage alle zwei Tage neu zu stellen. Damit kann man eine Firma lahmlegen. Ich habe in amerikanischen Unternehmen gelernt, dass man sich viel Zeit für Analyse und Strategie nehmen muss. Wenn dies abgeschlossen ist, sollte man sich auf die Umsetzung und damit die Zielerreichung konzentrieren. Alles hilft nichts, wenn es von oben nicht vorgelebt wird.
Wie leben Sie es konkret vor?
SCHMIDT: In täglichen Meetings versuche ich jede Entscheidung ostentativ an unserer Vision und unserer Strategie auszurichten. Sonst bleibt der Prozess nicht mehr als eine Hochglanzbroschüre. Man muss beispielsweise keine Diskussion darüber führen, ob man in den brasilianischen Markt geht, wenn man sich laut Strategie auf Europa konzentriert. Unsere jüngst weiterentwickelte Strategie haben wir dem Aufsichtsrat vorgestellt und gehen jetzt damit kaskadenförmig durchs Unternehmen. Ich stelle unseren Weg bald beispielsweise dem Vertrieb international und in der DACH-Region vor. Jeder soll es inhalieren. Unsere neue Vision heißt „Entwicklung“, die von 2002 hieß „Stabilisierung“, weil wir damals in einer angespannten Situation waren. Heute haben wir keine Schulden mehr und eine Eigenkapitalquote von 65 Prozent. Wir sind sehr gesund.
Amerikanische Unternehmen agieren oft mit starken Vermarktungskonzepten. Muss das Marketing in Deutschland noch viel stärker einen Führungsanspruch übernehmen?
SCHMIDT: Absolut. Auch für uns bedeutet das: Ravensburger hat tolle Produkte, befindet sich aber im Wandel zur stärkeren Bedarfs- und Kundenorientierung. Das leben wir vor, indem wir einmal pro Woche für jedes Neuprodukt der Marketingmix mit allen Beteiligten abstimmen. Das beginnt mit der Begründung des Bedarfs, der Wettbewerbssituation und der Positionierung. Erst wenn wir das Marketing herausgearbeitet haben, lasse ich alle anderen Briefings auf den Weg gehen: Verpackung, Media, Agenturen – das alles entsteht erst aus der Positionierung. Dazwischen haben wir immer wieder Marktforschungsschleifen. Bei mehreren Konzepten fragen wir den Verbraucher: Welches gefällt Dir am besten? Haben wir uns für ein Konzept entschieden, fragen wir ihn: Welche Verpackung gefällt Dir am besten? Bedarfsorientierung ist doch nichts anderes, als immer wieder den Konsumenten zu fragen. Wir geben relativ viel Geld für Marktforschung aus, denn anders geht’s nicht.
In welchem Zyklus entwickelt Ravensburger neue Produkte?
SCHMIDT: Wir können zwar auch schneller sein, aber das Tempo sollte man nicht überdrehen. In der Regel dauert es von der Idee bis zum Neuprodukt zwischen ein und zwei Jahren.
Welcher Systematik folgt die Entwicklung von Neuprodukten – von der Marktforschung über das Innovationsmanagement inklusive Kundenbeteiligung sowie dem Einbinden von Autoren und Spieleerfindern?
SCHMIDT: Nun, wir haben einen strategischen Managementprozess initiiert, nach dem wir in der ersten Jahreshälfte unser Geschäft des Vorjahres analysieren. Die Ergebnisse werden über die gesamte Organisation in Strategiemeetings präsentiert. Jeder Produktmanager und jeder Länderverantwortliche wertet seine Ergebnisse aus für die Märkte, Preisstellungen, Handelsreaktionen und Wettbewerbssituation. Die Schlussfolgerungen verlangen in der Regel nach Antworten mit Produkten, die wir noch nicht haben. Am Ende, etwa im Mai, wird das Gesamtergebnis bei mir präsentiert – zum einen nach Ländern, zum anderen nach Produkten. Daraus ergibt sich dann eine Bruttosuchfeldliste für neu zu entwickelnde Produkte.
Wie entsteht dann eine Nettosuchfeldliste?
SCHMIDT: Die Zahl möglicher neuer Produkte ist meist viel größer als unsere Ressourcen. Deshalb sitzen wir danach mit allen Länderchefs zusammen und entwickeln eine Nettosuchfeldliste mit priorisierten Produkten unter hundert Positionen. Ein Produkt, das von mehreren Länderchefs gewollt wird, hat natürlich höhere Chancen. Nach der Planung beginnt die konkrete Entwicklungsphase, für die unsere Redaktionen in unser Netzwerk aus weltweiten Autoren die Anforderungen geben, um Ideen zurückzubekommen. Sie wissen, wer worauf spezialisiert ist – ein Autor ist gut in edukativen Spielen mit Zahlen, ein anderer hat sich auf Strategiespiele spezialisiert. Grundsätzlich gibt es für alle Spiele bestimmte Rahmenvoraussetzungen: Es überschreitet eine bestimmte, an der Zielgruppe ausgerichtete Spieldauer nicht, ermittelt nicht schon nach fünf Minuten den Gewinner und hat einen hohen Wiederspielanreiz. Vorschläge sprechen unsere Redakteure mit unseren Marketern im Produktmanagement ab. Der Produktmanager überlegt, in welche Welten das Spiel zu legen ist – ob Mittelalter oder Gegenwart – und in welcher Preisstellung es in den Markt zu bringen ist. Größe Marketingkonzepte gehen dann jeweils in Marktforschungsschleifen bis zur Serienreife.
Gibt es neben diesem gängigen Produktentwicklungsprozess noch einen übergeordneten Innovationsprozess?
SCHMIDT: Ja. In einem unserer dreijährigen Strategiemeetings haben wir festgelegt, ein übergeordnetes und systematisches Innovationsmanagement einzuführen. Eine eigene Großabteilung wollten wir dafür nicht aufbauen, sondern wollten die eigenen Ressourcen schlank halten und auf „connect“ setzen. Das heißt, unser Innovationsmanager knüpft Kontakt im weltweiten Netzwerk mit Trendscouts, Spieleerfindern und -innovatoren. Er sucht nach Lösungen an Universitäten, an Fraunhofer-Instituten, in Fachtagungen oder -medien. Er fragt Fachleute, die wiederum andere Spezialisten kennen. Als wir beispielsweise für 3-D-Puzzles die passende Drucktechnik entwickeln wollten, war eine schnelle Fertigungstechnik mit hohem Qualitätsanspruch gefragt. Wir brauchten also jemanden, der einen digitalen Farbspritzkopf entwickelt, der bei unserem Ball die einzelnen Puzzleteile besprüht. Damit er das schnell kann, musste der Farbspritzkopf getunt werden. Nachdem wir weltweit einen Experten dafür gefunden, brauchten wir einen Spezialisten für die Farbe, die durch die kleineren Düsen dieses Spritzkopfes durchfließt. Unsere 3-D-Puzzles und unser digitales Lernsystem „tiptoi“ sind aus diesem Innovationsmanagement hervorgegangen. Es funktioniert wie ein Trichter und Filter für Ideen, aus denen abseits des Tagesgeschäftes zusätzliche profitable Geschäfte entstehen.
Wäre auch der Einstieg in Start-ups als Inkubatoren zur Entwicklungsbeschleunigung denkbar?
SCHMIDT: Natürlich. Wir schauen uns immer wieder mal interessante Fälle an, aber bislang haben wir noch kein passendes Start-up gefunden.
Wie hoch ist die Erfolgsquote und Anteil von Neuheiten im Portfolio?
SCHMIDT: Wir erzielen 30 Prozent des Umsatzes mit Neuheiten. Das ist für Spielwaren ein sehr niedriger Wert, ist aber unser Ziel, denn die Entwicklungskosten für Neuprodukte sind hoch. Im Idealfall sollte jede Neuheit auch ein Klassiker werden. Pro Jahr bringen wir neben neuen Motiven etwa bei Puzzles einhundert echte Neuheiten heraus. Große Neuheiten werden zu 90 Prozent ein Erfolg, weil wir uns hier mit dem Marketingmix besonders intensiv auseinandersetzen, bei kleineren Neuheiten liegt die Erfolgsquote bei 50 Prozent.
Sie streben laut Unternehmensgrundsätzen nach „stabiler Ertragskraft und gesundem Wachstum“. Am Beispiel Ihrer Profitabilität: Ab welcher Rendite ist die gegeben?
SCHMIDT: Wir haben dazu intern eine Messgröße, die mit dem Aufsichtsrat abgestimmt ist, ich hier aber nicht nennen möchte. In der vergangenen Dekade hatten wir eine Reihe von Jahren, in denen wir eine zweistellige Nachsteuer-Rendite erzielt haben. Das ist für ein Unternehmen, das in Europa produziert, nicht ganz gewöhnlich.
Nach schwierigem Start unter Ihrer Führung ist Ravensberger stetig gewachsen. Im vergangenen Jahr verbuchten Sie jedoch steigende Erlöse von „nur“ noch rund drei Prozent auf 330 Millionen Euro, doch die Gewinne sind um ein Drittel auf 33,5 Mio. Euro hochgeschnellt. Wie kam diese Entwicklung zustande?
SCHMIDT: Zum einen gab es eine Reihe von nicht operativen Einflüssen. Wir hatten noch Verlustvorträge und es gab andere Bewertungen der Bestände – also Themen, die eigentlich nichts mit dem täglichen Geschäft zu tun haben. Operativ hat uns geholfen, dass wir Produkte mit niedriger Marge durch Produkte mit hoher Marge ersetzt haben.
Sie sollen auch schon wieder Ausschau nach Übernahmekandidaten halten – nach wem konkret?
SCHMIDT: Wir schauen uns ja nicht aktiv auf dem Markt nach Kandidaten um. In der ersten Vision „Stabilisierung“ war Akquisition für uns kein Thema. Nun öffnen wir uns dem Thema wieder – wenn jemand auf uns zukommt, schauen wir uns den Fall also jetzt an. Das ist aber keine unserer Hauptaktivitäten, sondern wir sind aufnahmebereit, so etwas zu uns passt.
Wären das nach der neuen Strategie „Entwicklung“ denn vor allem Übernahmekandidaten, die digitale Produkte mitbringen?
SCHMIDT: Aber nein, das muss nicht sein. Es kann doch auch durchaus Sinn ergeben, Produkte ins Portfolio aufzunehmen, die nicht digital bedroht werden. Schauen Sie (zeigt eine Kuh als Spielfigur aus der „tiptoi“-Serie), wir führen dies gerade im Markt ein, denn Kinder werden immer mit Figuren spielen. Und wir haben hier den USP, dass nach Berühren der Figur mit unserem „tiptoi“-Stift ganz viel zu erfahren ist – wie die Kuh lebt, wie sie gefüttert wird. Es geht also nicht nur um Digitalisierung. Kinder werden auch immer Spielzeug nutzen, das nicht durch die Digitalisierung gefährdet ist. Also könnten eben auch Produkte von solchen Übernahmekandidaten interessant sein.
Ob Kandidaten eher aus Spiel oder Buch kommen, können Sie auch noch nicht sagen?
SCHMIDT: Da möchte ich mich nicht festlegen. Kandidaten kann man sich sowieso nicht schnitzen.
Welche Lehren haben Sie aus den missglückten Ausflügen in die Medienbranche mit Filmen und Digitalspielen gezogen?
SCHMIDT: Ich habe ja selbst Ravensburger Interaktiv Media, also das Geschäft mit Digitalspielen, geschlossen als ich im Jahr 2002 hierher kam. Andererseits habe ich mit Ravensburger Digital 2009 auch wieder ein neues Digitalgeschäft eröffnet. Allerdings auf einer ganz anderen Basis, denn der Markt hat sich total verändert. Damals waren PC-Spiele im Fokus, heute ist es online. Ich glaube, was man gerade am Beispiel unseres Vermarkters für Kinder- und Jugendsendungen, der RTV Family Entertainment AG, lernen kann, aber bitte ohne damit ein Urteil über meine Vorgänger zu fällen: Man muss sich jeweils das Geschäftsmodell ansehen und beurteilen, welche Funktionen gefragt sind und ob ich die Skills dafür mitbringe. RTV war im Kern ein Filmrechtehändler, für den die juristische Funktion im Erwerb von Rechten und der Vertrieb von Rechten über viele Länder ganz wichtig sind. Die Analyse, können wir das Geforderte überhaupt, muss man sehr kritisch anstellen. Die Nähe vom Kinderbuch zum Kinderfilm reicht da nicht.
Stand heute: Welche Kundengruppen und Bedürfnisse bedienen Sie im Wesentlichen? Und Stand morgen: Welche neuen Zielgruppen mit welchen Wünsche wollen Sie erobern?
SCHMIDT: Oh, dazu gibt es vieles zu sagen. Erstens ist es hoffentlich nicht gottgegeben, dass die Geburtenraten nur nach unten gehen. In Frankreich hat sich der Trend vor einigen Jahren umgedreht und die Geburten liegen jetzt wieder bei zwei Geburten pro Frau. In Deutschland liegt die Durchschnittszahl derzeit bei 1,4 pro Frau. Dann gibt es Länder außerhalb Europas mit steigenden Geburtenraten. Deswegen gehen wir jetzt in der Vermarktung auch verstärkt über Europa hinaus. Die meisten deutschen Hersteller werden erkennen, dass in den westlichen Industriestaaten ein Wachstum nicht mehr so leicht möglich ist. Also muss man auch in die Schwellenländer und Entwicklungsländer gehen. Wir brechen jetzt verstärkt auf in Länder über Osteuropa, Skandinavien und Russland. Mehr können wir als Mittelständler mit begrenzten Ressourcen vorerst nicht tun, aber dort gibt es wachsende Gesellschaften mit steigenden Geburtenraten.
Wie entwickelt sich die Kaufkraft im Spielwarenmarkt?
SCHMIDT: Das ist ein Phänomen hierzulande. Der deutsche Spielwarenmarkt ist in den vergangenen Jahren gewachsen, weil pro Kind immer mehr ausgegeben wird. Diese Entwicklung ist nicht unendlich fortsetzbar. Aber als ich in diese Branche kam wurde geunkt: Es geht nach unten. Damals lag der Markt bei 2,4 Milliarden Euro. Heute liegt er bei 2,7 Milliarden Euro. Wenn ein Kind erst mal da ist, beschenken es Großeltern, Tanten und Nichten. Unsere Märkte zeigen sich also stabil, obwohl digitale Spiele hinzukamen, die aber in eine andere Kategorie fallen. Und wenn die Märkte irgendwann zurückgehen, haben wir hoffentlich in neuen Märkten Fuß gefasst.
Kinder und Familien bilden Ihre maßgebliche Zielgruppe. Begleiten Sie künftig verstärkt die Biografie Ihrer Kunden bis ins hohe Alter?
SCHMIDT: Das tun wir doch schon. Wir erzielen einen erheblichen Anteil unserer Umsätze mit Erwachsenen-Puzzles. Unsere Puzzles befriedigen verschiedene Motivationen – eine davon zielt auf über 60-Jährige, was ich Gehirnjogging nenne. Wir bedienen alle Altersgruppe, aber ein Schwerpunkt sind sicher Familien mit Kindern.
Der Trend zur zunehmenden Mischung aus klassischen Elementen und Elektronik ist bei Spielwaren und Büchern nicht mehr zurückzudrehen?
SCHMIDT: Nein. Eine Renaissance wird nicht marktbeherrschend sein.
Kommen wir zu Ihrer Preispolitik: Ihr Qualitätsanspruch ist hoch, Ihr Preispremium entsprechend?
SCHMIDT: Ja. Wir sind zum Teil teurer als der Wettbewerb je nach Segment.
Sind die Margen angegesichts des wachsenden Onlineanteils zu halten?
SCHMIDT: Durchaus. Wir liefern zu unserem Preis an den Handel. Was er daraus macht, ist letztlich seine Sache.
Es heißt, der deutsche Vater kaufe ein wie ein Ingenieur, die Mutter wie eine Lehrerin. Klingt wie Schmerzfreiheit in der Preissensibilität und absolutes Qualitätsinvestment hinsichtlich Ihrer Produkte für Kinder. Stimmt das?
SCHMIDT: Nein, sie zahlen nicht jeden Preis. Vor allem nicht bei Produkten, die vergleichbar sind wie ein 1000er-Puzzle. Unsere Einzeltitel, die nicht direkt vergleichbar sind, bieten etwas mehr Raum für Premiumpreise.
Wenn an Spielwaren nicht gespart wird, warum kommen dann in Deutschland dennoch 60 Prozent der verkauften Waren aus China?
SCHMIDT: Das ist leider so, lässt aber genug Platz für Premiumprodukte. Billig ist übrigens im Spielwarenbereich grundsätzlich nicht auf dem Vormarsch.
Zu Ihren Vertriebskanälen: Ist das deutsche Fachhändlersterben aufhaltbar?
SCHMIDT: So dramatisch ist das Fachhändlersterben doch gar nicht. Es liegt pro Jahr bei einem Prozent weniger Fachhändler, die ein wichtiger Absatzkanal bleiben. Theoretisch aufzuhalten ist es natürlich, aber Deutschland ist nun mal auch aldisiert. In Service und Erlebnis sind im stationären Handel noch viele Vorteile gegenüber dem E-Commerce zu nutzen. In den USA und in Großbritannien versteht der Handel es etwas besser, auf Animation und Inszenierung zu setzen.
Abhängigkeiten etwa von großen Händlern wie Toys’R’Us, Vedes, Kaufhof, Real dürfte Ravensburger nicht recht sein, oder?
SCHMIDT: Nein, aber wir sind breit aufgestellt. Und im Lebensmittelbereich finde ich die Handelslandschaft doch viel konzentrierter.
Erzeugt der Abfluss ins Onlinegeschäft etwa über Amazon und MyToys.de einen Preisdruck auf Sie als Hersteller?
SCHMIDT: Preisdruck gibt es immer. Müller und Amazon sind beide aggressiv darin. Aber das ist eine Angelegenheit der Händler.
Ein Viertel im Spielwarenmarkt verkauft sich schon übers Onlineshopping, über den Ravensburger-Onlineshop erst eine Million von 330 Million Euro. Wie forcieren Sie Ihr eigenes Onlinegeschäft?
SCHMIDT: Wir wollen über unseren Onlineshop vor allem lernen, aber kein Wettbewerber zu Fachhändlern sein, deshalb begrenzen wir die Entwicklung über die Preisgestaltung.
Kommen wir zu Ihrer Kommunikation und Ihrer Werbung: Wie spielen Sie das Instrumentarium und Inhalte zwischen Wahrhaftigkeit aus Haltung und Markenbekenntnis zum quasi gesellschaftlichen Auftrag einerseits und knallharter Verkaufsförderung andererseits?
SCHMIDT: Wir bleiben immer wahrhaftig. Gleichwohl ist eine werbliche Übertreibung legitim, denn im 20-sekündigen TV-Spot ist die Zeit knapp.
Welche deutlichen Trends gibt es bei Ihren Budgets in der Mittelverschiebung – etwa hin zu Online?
SCHMIDT: Unsere Hauptmedien sind und bleiben die beiden gleich starken Kanäle aus TV-Spots und Werbung am Point of Sale. Online wächst in Prozenten schnell, ist in absoluten Zahlen aber noch klein. Wir laufen nicht jedem Hype hinterher, auch wenn Mediaagenturen lieber gerne Onlinewerbung vermitteln, weil sie damit eine höhere Marge erzielen.
Werden der Name Ravensburger und das blaue Dreieck in allen Produktkategorien als Markenzeichen gleich wahrgenommen nach Bekanntheit und Sympathie?
SCHMIDT: Unser blaues Dreieck erreicht über alle Kategorien hinweg – also Spiel, Puzzle und Bücher – eine gestützte Bekanntheit von 95 Prozent. Damit ist Ravensburger die zweitstärkste Spielzeugmarke in Deutschland.
Was konnten und was durften Sie aus BWL-Studium mit Schwerpunkt Marketing, von P&G und Philip Morris hier im Familienunternehmen übertragen?
SCHMIDT: Für den Umbau vom Verlag zum Markenartikler war dieser Hintergrund jedenfalls nützlich. Wir haben viele Prozesse eingezogen, die etwas mehr Systematik bringen, etwa Business-Plan-Richtlinien.
Wer oder was inspiriert Sie heute noch aus der Marketingszene aus dem Kreis von Denkern und anderen Lenkern?
SCHMIDT: Steve Jobs hat sicherlich unser aller Leben verändert. Ich mache heute vieles über das iPhone. Inspirieren kann mich aber alles. Und ein guter Marketer verfügt über einen gesunden Menschenverstand und hält immer die Augen offen. Jüngst habe ich zum Beispiel ein inspirierendes Interview von Günter Netzer mit Markus Lanz gesehen. Aus der Marketing-Wissenschaft kommt leider nichts Inspirierendes mehr.
Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung inklusive Übergabe an Clemens Maier aus?
SCHMIDT: (lacht) Ich bin doch erst 57 Jahre! (augenzwinkernd) Ich stehe noch in Saft und Kraft! Und ich möchte hier noch viel bewegen. Über den Nachfolgeprozess wird dann außerdem der Aufsichtsrat entscheiden.