Quelle 2.0 ist ein Clone von Amazon-Marketplace und schließt damit eine offene Flanke des neuen Eigentümers: Nun kann der Hamburger Handelsriese neben Einkaufszentren (ECE) und Versandhandel per Katalog und Internet (Otto) auch die agile, klein- und mittelständische Händlerkonkurrenz einbinden. Die neue Quelle ist ein Portal, bei dem die Käufer nicht bei, sondern über Quelle kaufen, sie ist Vermittler für eine unbegrenzte Zahl von selbständigen Händlern und verdient ihr Geld mit Provisionen für die Abwicklung von deren Geschäften – so wie es Ebay und eben Amazon vorgemacht haben.
Nun könnte man sich lange und zu Recht damit aufhalten, dass dieser Schritt zehn Jahre zu spät kommt und Otto hier hinter Konzepten herläuft, die von anderen erfunden und erfolgreich gemacht wurden. Doch das ist müßig. Bestechend bleibt die Idee, quecksilbrige Handelsaktivitäten unter einer historischen Adresse zusammenzufassen. Was markentechnisch zugleich die Frage aufwirft, ob Otto es schaffen wird, die positiven Kräfte der alten Quelle für eine völlig neue Struktur nutzbar zu machen. Schließlich konnte bei der historischen Quelle (und das über Jahrzehnte erfolgreich!) das Management Angebot und Auftritt bestimmen. Heute jedoch ist der Inhalt von Dritten abhängig. Zu managen ist vor allem der Auftritt – eine klassisch markentechnische Fragestellung, die das Potenzial hat, in die Lehrbücher einzugehen.
Für das, was da zu tun ist, lohnt ein Blick auf die Quelle, wie man sie kannte. Sie galt zuletzt als unzeitgemäß und bieder. Doch es waren genau diese Eigenschaften, die sie stark gemacht hatten: Quelle war eine vom Protestantismus geprägte Marke, in der Werte wie Sparsamkeit, Vernunft und Bodenhaftung galten. Die angestammte Klientel hatte zum Beispiel nie Verständnis für aufwändige Verpackungen, die galten als Schnickschnack und Preistreiber. Zudem war für sie das Gefühl wichtig, dass man sich um sie kümmere und dass der Kauf sicher sei – im übrigen einer der Gründe, warum die Konversion ins Internet um die Jahrtausendwende nicht gelang. Die Kunden mißtrauten dem neuen Medium.
Doch wie kann man die alten Markenkräfte auch in der neuen Ära nutzen? Wichtige Ansätze dazu hat das Management tatächlich getätigt: Gleich vorne auf der Website prangt eine Telefonnummer für den direkten Kontakt zu Quelle. Der Autor würde eine Wette darauf abschließen, dass sich dies als wichtiger Markentreiber herauskristallisieren wird. Positiv kann man zudem anmerken, dass eine Festnetznummer angegeben ist – in Zeiten von Callcentern, Computerstimmen und Warteschleifen eine markentypische Investition und Differenz zu den Mitbwerbern Amazon und Ebay.
Ein wichtiger Markentreiber der historischen Quelle waren auch die blauen Kartons, in denen die Ware kam. Schon in den 1990er Jahren wurden sie bedauerlicherweise durch hellbraune Standardkartons ersetzt. Sie versprachen Einsparungen, die man dankbar mitnahm, auch um den Preis markentechnischer Indifferenz. Jetzt ist ein guter Moment gekommen, den Hebel wieder umzulegen. Warum also nicht die einzelnen Quelle-Händler auf eine einheitliche Verpackung verpflichten und wo dies nicht geht, zumindest auf einen einheitlichen Aufkleber mit dem Quelle-Signet? Das wäre ein starkes und markentypisches Signal gegen die Beliebigkeit des Internethandels.
Die neue Quelle ist ein faszinierendes Projekt, das beispielhaft für die Konversion traditioneller Marken ins Internetzeitalter stehen könnte. Zugleich aber wird Quelle als Paradigma für eine noch größere Frage stehen: Kann kluge Markenführung die Wettbewerbstnachteile eines Viel-Zu-Spät-Gekommenen aufwiegen?
Über den Autor:
Christian Prill verantwortet den Bereich Markenstrategie bei Factor Design, der Hamburger Agentur für Strategie, Design, Wertschöpfung.