Was bemängeln Sie am verbreiteten Ansatz, sich auf Kernspintomografie-Ergebnisse zu verlassen?
OLIVER SPITZER: Der größte Vorteil, den ich im Kernspintomografen für das Marketing sehe: Es hat eine neue Bewegung angetrieben die versucht, ureigene Bedürfnisse des Marketings zu befriedigen. Das große Problem neben methodischen Einschränkungen und abschreckenden Kosten ist jedoch der sehr hohe Allgemeinheitsgrad der funktionalen Magnetresonanztomografie(fMRT)-Ergebnisse. Für konkrete Fragestellungen aus Marketingabteilungen ist diese Technologie schlicht zu grob, zu wirklichkeitsfern. „Starke, große Marken aktivieren die Belohnungszentren im Hirn stärker als es schwache Marken tun“. Diese beispielhafte Erkenntnis, frisch aus dem MRT, birgt keinen konkreten Nutzen. Wie sollte der Ratschlag an die strategische Abteilung einer Agentur lauten? „Machen sie Ihre Marke groß und etabliert?“ Weil Marken tatsächlich im Kopf wohnen, müssen Marketing und Psycho(physio)logie beginnen, die gleiche Sprache zu sprechen. Konkrete und praxisnahe Daten lassen sich erheben. Darum kooperiert Changing Minds mit dem renommierten Institut Psyrecon.
Welche Evaluationsmethoden kombinieren Sie konkret, um mit Ergebnissen zu besseren Marketingstrategien beizutragen?
SPITZER: Für jede Fragestellung gibt es eine ideale Zusammensetzung an Messungen. Nur durch perfekt aufeinander abgestimmte Methoden lässt sich ein wirklich nutzbares Gesamtbild schaffen. Nehmen wir die Frage „Was empfindet meine Zielgruppe bei Betrachtung meines TV-Spots?“ Eine klare Frage verdient eine klare Antwort. Darum messen wir am Probanden, der bequem im Sessel vor dem Fernseher sitzt, synchron beispielsweise den Hautleitwert (EDA), die unbewussten Mikroaktivierungen der Gesichtsmuskulatur (EMG), die Herzrate (EKG), die Pulsvolumenamplitude (PVA) und die Gehirnströme (EEG). Die EDA zeigt, wie stark der Spot (emotional) aktiviert. Aktivierung allein sagt aber nicht aus, ob es sich um positive oder negative Emotion handelt. Das verraten uns das EMG, die Änderungen der Herzrate und die Aktivierungsverteilung des EEGs. Aus der PVA und weiteren EEG-Indikatoren können wir die Aufmerksamkeit näher bestimmen. Will man dem Ganzen die Krone aufsetzen, ergänzen wir parallel Eye-Tracking und können so Aussagen über einzelne visuelle Elemente machen. Am Ende stehen also beispielsweise Aussagen wie: „Der Spot löst positive Emotion mit einer Intensität von X aus. Diese Emotion wird erfolgreich auf das Produkt übertragen. In Sequenz Y muss noch mal nachgebessert werden, da an dieser Stelle ein Emotionshoch eintrifft, die Marke aber nicht präsent genug zur Ankoppelung an die Emotion ist.“
Bei welcher Marke hat sich dieser Ansatz zum Beispiel schon als förderlich erwiesen?
SPITZER: Agenturen die Ihre Kommunikation gezielt testen lassen, werden vertraulich behandelt, aber bisher war unser junges Gespann im Feld auch erfolgreich mit der Evaluation von Produkten unterwegs. Zu nennen wären beispielsweise Renault, Cognis, Grohe und Kneipp. Meine bisherige Lieblingsstudie bezog sich auf den stimmungshebenden Badezusatz von Kneipp. „Lebensfreude“ hat direkt nach der Markteinführung im letzten Winter ein absolutes Verkaufshoch beschert. Dieser Badezusatz hat einen Vorteil, den wir bereits vor der Markteinführung getestet und nachgewiesen haben: Er belebt wirklich! Die Zusammensetzung ist nun zum Patent eingereicht, und der psychophysiologische Wirknachweis wird mit Erfolg als Claim verwendet. Solche klaren, deutlichen und vor allem unanfechtbaren Erkenntnisse sind nur durch geschickte naturwissenschaftliche Messungen möglich. So haben wir hier tatsächlich die psychophysiologischen Daten junger Damen in der Badewanne erhoben. Versuchen Sie das mal im Kernspintomografen.
Zudem lautet eine Ihrer Thesen, dass messbar ist, wie Kommunikation in der Zielgruppe wirkt. Wie dürfen sich Marketer das im Internet- und Smartphone-Zeitalter vorstellen?
SPITZER: Effektive Kommunikation basiert nicht mehr nur auf Bauchgefühlen und Vermutungen. Wirkung ist form- und vorhersagbar. Ein großer Vorteil unserer Methodik ist, dass wir für den Zugang zum Unbewusstsein, zu den emotionalen Reaktionen und Bewertungsprozessen der Probanden, keine bestimmten Räume, Vorrichtungen oder gar enge magnetische Röhren benötigen. Wir können Kommunikation also in Medien aller Art gleich effektiv evaluieren. Dies ermöglicht es uns, ein klares Bild einer Marke über alle Medien hinweg zu gestalten. Des Weiteren machen wir mehr als nur Momentaufnahmen. Wir können also, im Kopf der Zielgruppe einsehen und entschlüsseln, was passiert, während sie die Unternehmenskommunikation aufnimmt. Nur so werden konkrete Aussagen, wie beispielsweise „Das Logo sollte sich an der Stelle X des Plakats befinden, da zum Zeitpunkt der Betrachtung dieser Ecke die Emotionen am stärksten sind“, „Konzept A zeigt mehr Effekt als Konzept B“, oder auch „Die Soundmarke im Radiospot sollte mehr helle Töne enthalten“ möglich. Grenzen setzt nur die Kreativität des Fragenstellers und dem stehen wir gern zur Seite.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zu interpretieren, ist immer auch ein kleines Kunststück. Welche Faktoren kennzeichnen Ihre konkrete Marketingberatung?
SPITZER: Aus Terabyte an Zahlen, Graphen und Linien nutzbare und vor allem konkrete Hinweise zu ziehen, ist mindestens so aufwendig wie die Messung selbst. Daher setze ich mit Psyrecon auch auf erfahrene Partner und auf Methoden, die wir gemeinsam in einem Team entwickelt haben, das die unterschiedlichen Expertisen (Psychophysiologie, naturwissenschaftliche Messtechnik, Psychologie, Marketing, Strategie und Kreation) vereint. Immer besser zu verstehen, wie der Mensch funktioniert, ist für uns der elementarste Schritt hin zu erfolgreicher Kommunikation. Psychologie und (wirksames) Marketing funktionieren als untrennbare Einheit – nicht nur bei der Interpretation von Messungen, auch das Konzeptionieren von Kampagnen auf Grundlage psychologischer Gesetzmäßigkeiten ist ein sehr wirksames Kerngeschäft.
www.changingminds.de,
www.psyrecon.de
Die Fragen stellte Martina Monsees.
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absatzwirtschaft 5-2011.