In der Online-Werbung hat man sich schon lange daran gewöhnt: Das Gros der Buchungen läuft voll automatisiert, Angebot und Nachfrage werden von Supply-Side- (SSP) und Demand-Side-Plattformen (DSP) zusammengebracht. Der Online-Vermarkterkreis (OVK) im BVDW prognostizierte im März, dass in diesem Jahr bereits 71 Prozent der deutschen Display-Werbung automatisiert abgewickelt werden. Allerdings legt Programmatic damit nur noch um einen Prozentpunkt zu, das Wachstum in der Stammdisziplin verlangsamt sich spürbar.
Dafür geht es in den anderen Mediengattungen zügig voran – vor allem in der Außenwerbung. Im August gab Google bekannt, dass der Konzern über seine DSP Display & Video 360 nun auch weltweit digitale Out-of-Home-Werbung (DOOH) vermittelt. Verfügbar ist das Inventar großer Vermarkter wie Clear Channel, Intersection, JCDecaux, Lamar und Ströer, im Angebot sind Programmatic Guaranteed und Preferred Deals. In Deutschland ist Googles DSP bereits mit der SSP des Vermarkters Ströer verbandelt. VIOOH, das System des Konkurrenten JCDecaux, soll ebenfalls bald angeschlossen werden. Google ist mit seinem Vorstoß vergleichsweise spät dran – allein VIOOH zählt weltweit bereits über 30 andere DSP-Partner.
Der deutsche Out-of-Home-Markt wird von den beiden Platzhirschen Ströer und der JCDecaux-Tochter WallDecaux dominiert. Beide haben 2019 begonnen, ihre digitalen Werbeflächen exklusiv über hauseigene SSP programmatisch zu vermarkten. Das Angebot wird seitdem massiv ausgebaut. Der Branchenverband Institute for Digital Out of Home Media (IDOOH) geht für den deutschen Markt davon aus, dass 2022 knapp die Hälfte der DOOH-Nettowerbeeinnahmen programmatisch fließen, in fünf Jahren sollen es bereits zwei Drittel sein. Digitale Werbung mit ihren rund 145.000 verfügbaren Flächen stellt aktuell rund ein Drittel des gesamten Markts der Außenwerbung.
Programmatic ist nicht gleich Programmatic
„Mit Programmatic demokratisieren wir die digitale Außenwerbung, weil nun auch Unternehmen mit kleinen Budgets Kampagnen buchen können“, erklärt Dorota Karc, Head of Programmatic bei WallDecaux. „Während im klassischen Bereich Spezialmittler nötig sind, eröffnen wir hier einen völlig neuen Markt.“ Über Programmatic bekomme WallDecaux Zugang „zu ganz neuen Kunden und Agenturen, die DOOH damit viel leichter in ihren Mediaplan integrieren können“, so Karc. Alle digitalen Werbeflächen von WallDecaux sind mittlerweile programmatisch buchbar. Die Zahl soll bis 2024 verdoppelt werden, der Programmatic-Anteil am digitalen Werbeumsatz soll dann 50 Prozent erreichen.
Doch auch wenn die Automatisierungswelle eindrucksvoll erscheint: Programmatic ist nicht gleich Programmatic. In der Online-Werbung war damit ursprünglich vor allem das sogenannte Realtime-Bidding gemeint, also das Bieten auf jede einzelne Ad Impression – ein sehr dynamisches und komplexes System, in dem fast nur noch die erzielbaren Kontakte, nicht aber das Werbeumfeld relevant ist. Weiter gefasst kann man unter Programmatic aber auch automatisierte Prozesse in der Vermarktung verstehen, während sich die Preisfindung und die Belegung des Inventars immer noch an der klassischen Logik orientieren. Im DOOH-Markt etwa dominieren bislang sogenannte Private Marketplaces, zu denen nur einzelne Werbepartner oder eine kleine Auswahl Zugang haben. Open Auctions gibt es zwar auch schon, sie sind aber noch die Ausnahme.
Ähnliches gilt für Addressable TV (ATV), über das die Fernsehwelt den Sprung ins Programmatic Advertising vollzogen hat – internetfähiges Smart-TV macht’s möglich. „Hier wird Premium-Inventar meist noch in geschlossenen Systemen angeboten, insbesondere von den beiden großen TV-Häusern“, sagt Sascha Dolling, stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW und General Manager der Agentur Mediaplus Realtime. „Darüber hinaus haben wir eine sehr fragmentierte Landschaft.“ Insgesamt herrsche eine sehr hohe Nachfrage bei in Teilen sehr begrenzten Inventaren, so Dolling: „Programmatic Guaranteed wird daher wohl zunächst das vorherrschende Preismodell bleiben.“
Lineares Inventar programmatisch vermarkten
ProSiebenSat1 und RTL Deutschland haben 2019 die gemeinsame Programmatic-Plattform D-Force gegründet, über die sie ihr Inventar vermarkten. D-Force gab im Juni bekannt, dass sich der Werbeumsatz für Programmatic Addressable TV über die Plattform in den vergangenen zwölf Monaten mit einem Plus von 86 Prozent nahezu verdoppelt habe. Insgesamt seien über die Plattform rund 1200 programmatische TV-Kampagnen abgewickelt worden.
Die P7S1-Tochter SevenOne hat darüber hinaus im April einen ganz besonderen Coup präsentiert: Unter dem schlichten Namen Programmatic TV soll nun auch das lineare Inventar der Sendergruppe programmatisch vermarktet werden. Die Buchung läuft über DSP. Dabei sorgt eine datenbasierte Hochrechnung der aktuellen Reichweiten und Zielgruppen in Kombination mit einem TV-Adserver der Konzerntochter Virtual Minds dafür, dass der passende TV-Spot in Echtzeit in den linearen Werbeblock integriert und ausgestrahlt wird. Gebucht wird auf Basis von Programmatic Guaranteed. Die erste Kampagne beauftragte der Grillhersteller Weber, es folgten weitere unter anderem von Aida Cruises und Bonprix. „Programmatic TV erschließt lineares TV für Werbekunden, die hauptsächlich Digital buchen“, kommentiert Güldag Prange, Geschäftsführerin SevenOne Media.
Anders als ATV, das durch die Internetverbindung mit jedem einzelnen Adressaten zu einem One-to-One-Medium werden kann, bleibt lineares TV ein One-to-Many-Kanal ohne Personalisierungsmöglichkeit – genau wie lineares Kino und Radio. Um auch diese Medien programmatisch buchbar zu machen, hat die Adtech-Gruppe Virtual Minds den „Media Manager“ entwickelt. Das System liefert für die Planung relevante Zielgruppen- und Vermarktungskennzahlen wie die Zuschauer*innen- beziehungsweise Hörer*innenzahl auf den Werbeplätzen und deren Zielgruppenaufteilung. Die wichtigsten Tracking-Daten für das Kampagnenmanagement werden in Echtzeit per Dashboard zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise sollen auch Kino und Radio den Weg ins Programmatic Advertising finden.
Für den Kinomarkt hat der Marktführer WeischerCinema im Juli den Startschuss gegeben. Unter dem Titel Programmatic Cinema können Werbekunden ihre Spots nicht nur flexibel nach Film, Ort, Tag und Uhrzeit aussteuern, sondern die Segmentierung auch mit Daten aus dem programmatischen Ökosystem anreichern und verfeinern. „Wir kombinieren die beste Werbewirkung mit dem fairsten Abrechnungsmodell und machen es analog zu Online-Medien einfach plan- und buchbar“, verspricht Stefan Kuhlow, CEO von WeischerCinema. Im Angebot sind zunächst Programmatic Guaranteed Deals mit einem Pre-Targeting, später soll es dann auch auktionsbasierte Einkaufslogiken geben. „Auf Programmatic in der Kinowerbung hat die Branche gewartet“, kommentiert Mediaexperte Dolling. „Hier schneller auf die Zuschauerresonanz reagieren und ,on the fly‘ optimieren zu können, bringt große Vorteile.“
Sogar der Podcast-Markt zieht mit
Die Radiovermarkter beschäftigen sich hingegen schon seit vielen Jahren mit der programmatischen Perspektive. Im digitalen Bereich ist der Schritt bereits gelungen – hier konkurriert Radio mit den zahlreichen neuen Audio-Anbietern, die sich im Internet tummeln. Über die sogenannte Dynamic Ad Insertion (DAI) ist mittlerweile sogar das dynamische Einfügen von Audio-Spots in Podcasts möglich. Lediglich das klassische UKW-Radio stellt noch eine Herausforderung dar. Das Hamburger Unternehmen Adremes, das unter anderem mit dem Vermarkter RMS kooperiert, hat zumindest eine Lösung für die weitreichende Automatisierung der Buchungsprozesse entwickelt. Zudem lassen sich die Radiowerbeplätze mit zusätzlichen Daten wie Wetter, Verkehr oder Programmumfeld anreichern.
„Das Audio-Inventar ist bis hin zu Podcast sehr gut programmatisch verfügbar“, sagt Mediaplus-Manager Dolling. Die Nachfrage entspreche aber noch nicht dem Angebot. „Das kann daran liegen, dass hier zwei Welten aufeinandertreffen: Programmatic hat sich mit der Online-Display-Werbung etabliert, das Visuelle stand immer im Vordergrund. Audio und Radio folgen traditionell einer ganz anderen Kampagnenlogik.“
Und was ist mit Print? Gedruckte Anzeigenseiten eignen sich bekanntlich überhaupt nicht für eine flexibilisierte Auslieferung. Dennoch kann man zumindest die Buchungsprozesse digitalisieren und den verlagsübergreifenden Einkauf bestimmter Zielgruppenkontakte ermöglichen. Genau das bietet das Hamburger Start-up Pryntad. Über dessen Plattform lassen sich Anzeigenplätze in 300 Tageszeitungen buchen. Für das Targeting stehen unter anderem mehr als 100 Print-Audiences zur Verfügung, man kann sich die individuell passende Zielgruppe aber auch von Pryntad zusammenstellen lassen. Die Buchung ist mittlerweile über die DSP Active Agent – ebenfalls aus dem Hause Virtual Minds – möglich. Glaubt man überzeugten Programmatic-Visionären, dann lassen sich künftig alle relevanten Kanäle über eine gemeinsame Benutzeroberfläche mit nur wenigen Klicks buchen, Preise und Ergebnisse wären vergleichbar. Aber bis dahin sind noch sehr dicke Bretter zu bohren. Zudem steht die Zukunft der personenbezogenen Werbung in den Sternen – Stichwort Post-Cookie-Ära. Aber das ist eine andere Geschichte.
Vermarktungsmodelle und Dealtypen
Programmatic Advertising läuft häufig über Private Marketplaces. Dabei bieten die Vermarkter ihr Inventar exklusiv einem oder mehreren Werbekunden an. Im Gegensatz dazu ermöglichen sie bei Open Auctions oder Open Exchange allen an die jeweilige SSP angeschlossenen Bietern den Zugriff auf die Werbeplätze.
Unter den Dealtypen ähnelt Programmatic Guaranteed am meisten der klassischen Buchung: Käufer und Verkäufer handeln einen bestimmten Preis für ein Inventar aus, das für den Käufer reserviert, also garantiert wird. Beim Preferred Deal dagegen wird ebenfalls ein Preis ausgehandelt, das betreffende Inventar aber nicht garantiert. Käufer bekommen aber mit einem Gebot zum ausgehandelten Preis den bevorzugten Zuschlag. In Open Auctions (oder auch Private Auctions in Private Marketplaces) entscheidet das höchste Gebot.