Im Display-Advertising fing alles an: Mittlerweile sind immer mehr Kanäle programmatisch buchbar. Für den Mediaeinkauf ist dies ein deutlicher Effizienzgewinn. Durch die Automatisierung wird der gesamte Buchungsprozess schlanker, schneller und präziser. Ebenso können die Kampagnen anhand unterschiedlichster Metriken besser gesteuert und quasi in Echtzeit optimiert werden. Einer Mitgliederbefragung des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) zufolge, waren im vergangenen Jahr die Kanäle Desktop und Mobile mit über 90 Prozent nahezu vollständig für programmatische Werbung erschlossen, auch bei Advanced TV lag der Wert bereits bei 50 Prozent.
Die übrigen Kanäle sind in geringerem Maße programmatisch ausgebaut, aber wachsend. So sind beispielsweise Digital-Out-of-Home (DOOH) und Audio auf dem Vormarsch. Im Frühjahr kündigte nun der Adtech-Anbieter Virtual Minds eine neue Plattformgeneration seiner Mediatechnologien an. Über den „Media Manager“ des Unternehmens sollen erstmals klassische, lineare Werbemedien nach programmatischen Entscheidungslogiken buchbar und auch aussteuerbar werden. In der ersten Ausbaustufe soll eine programmatische Werbevermarktung typischer Broadcast-Medien wie TV, Radio und Kino ermöglicht werden.
Die Entwicklung der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung des Media-Ein-und-Verkaufs wird rasant weitergehen. Marktbeobachter gehen davon aus, dass im Laufe der Zeit nahezu alle Kanäle programmatisch buchbar werden. Damit aus dem ehemaligen Solo-Player ‚Programmatic Display‘ ein Onmichannel-Programmatic-Orchester wird, müssen wichtige Aspekte beachtet werden.
1. Passende Kanäle identifizieren
Die programmatische Auslieferung erfolgt überall nach einem ähnlichen Prinzip und basiert auf den gleichen Marktstandards. Um neue Kanäle programmatisch zu bespielen, sind somit grundsätzlich keine technischen Speziallösungen erforderlich. Daher geht der Trend aktuell auch in Richtung von Multichannel- beziehungsweise Omnichannel-Plattformen. Allerdings sind die Werbeformate in den verschiedenen Kanälen unterschiedlich. Unabhängig davon, ob ein Kanal programmatisch buchbar ist oder lediglich klassisch als IO-Buchung, sollte also im Vorfeld genau überlegt werden, welche Kanäle in den Marketing-Mix integriert werden sollen. Hält sich die Zielgruppe dort auf? Welche Reichweiten sind möglich? Welche Anpassungen sind nötig, zum Beispiel bei den Werbemitteln?
Und nicht zuletzt sollte die Messbarkeit in neuen Kanälen sichergestellt sein, damit die Investition nicht zum Blindflug wird. Allerdings ist die Vergleichbarkeit der Kanäle untereinander historisch bedingt schwierig. Jeder Kanal hat spezifische KPI und manche Datenpunkte sind mitunter in anderen Kanälen gar nicht vorhanden. Nach Einschätzung von Experten muss dies jedoch kein Hindernis sein, die Kampagnen inhaltlich und medial zu vernetzen. Ist geplant, einen neuen Kanal in die programmatische Media-Buying-Strategie einzubinden, sollte er daher idealerweise gemeinsam mit den vorhandenen programmatischen Kanälen über eine Plattform – zum Beispiel eine Omnichannel DSP – buchbar sein. Werden die Kanäle aus einer Hand geschaltet und miteinander verbunden, können sie so aufeinander abgestimmt werden, dass ein optimales Gesamtergebnis erzielt wird. Doch überstürzt sollte man dabei nicht handeln.
2. Nachhaltigkeit gewährleisten
„Neue Kanäle werden schnell zum Trend erklärt, aber oft nicht nachhaltig in die Mediapläne integriert“, sagt Ellinor Klier, Head of Programmatic Hub bei der Agenturgruppe Havas. Werbetreibende haben dann in der Regel zwei Möglichkeiten auf einen Trend zu reagieren: Sie testen ihn sofort 1-zu-1 oder sie ignorieren ihn. Beides kann nach Einschätzung von Klier problematisch sein. Wer Trends ignoriert, verzichtet unter Umständen auf Wettbewerbsvorteile. Und wer ohne Strategie auf einen Trend aufspringt, verschenkt in der Regel viel Potenzial. In Bezug auf das Programmatic Advertising sind Werbetreibende nach Einschätzung von Klier heute reifer geworden. Wurden früher fertige Produkte erwartet, akzeptieren es die Agenturkunden heutzutage, neue Werbemöglichkeiten gemeinsam mit der Agentur auszutesten.
Neue programmatische Kanäle sollten laut Klier nachhaltig in die Strategie integriert werden. Ist der Kanal noch zu anspruchsvoll oder lohnt es sich, programmatische Anbindungen zu ermöglichen und Anpassungen vorzunehmen? Fragen wie diese müssen beantwortet werden. Experten im Haus zu haben, die solche Punkte klären und entsprechen Prozesse begleiten können, ist grundsätzlich hilfreich. „Aber ich rate davon ab, isolierte Teams zu bilden“, sagt Klier. Ein Trend, der sich insbesondere bei Mobile aber auch bei Audio beobachten ließ und sich im Nachhinein als Fehler erwies. „Ein solches Vorgehen führt lediglich zu einer punktuellen Berücksichtigung, aber nicht zu einer nachhaltigen Integration neuer Kanäle“, sagt Klier. Eine ganzheitliche Sicht ist gefragter denn je.
3. Individuellen Umsetzungen Raum geben
Was in der Theorie plausibel klingt, kann in der Praxis Hürden mit sich bringen. Insbesondere wenn es um die Anbindung ehemals linearer Werbekanäle geht. Ein gutes Beispiel ist Print. Die Programmatisierung eröffnet Werbetreibenden in diesem Kanal völlig neue Möglichkeiten der Individualisierung, außerdem sind beim Programmatic Printing auch Druck und Versand vergleichsweise kleiner Stückzahlen wirtschaftlich. Wie man diesen klassischen Kanal programmatisch buchbar machen kann, zeigt pryntad, ein Marktplatz für die Schaltung von Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen. Die Betreiber haben es gemeinsam mit der One Tech Group geschafft, dass erstmals Print-Inventar über die SSP1 programmatisch zur Verfügung steht und über DSPs gebucht werden kann. Erster Partner ist die Active Agent DSP von Adition. Pryntad-Gründer und -Geschäftsführer Philipp Wolde plädiert dafür, dass etablierte DSPs und SSPs Print als Kanal mitaufnehmen. „Kunden sollten alle Kampagnen – Digital, wie Print aber auch Out-of-Home oder TV an einer Stelle buchen und verwalten können“, so Wolde.
Dabei müssen jedoch die Besonderheiten der klassischen Medien berücksichtigt werden, so auch im Printsektor. Print ist ein analoges Medium. Die Buchung erfolgt in Echtzeit, die Auslieferung erfolgt jedoch zeitverzögert. „Diesen Time-Gab reduzieren wir bereits erheblich. Dennoch muss dieser Verzug programmatisch abgebildet werden. Wir lösen das, indem wir die Buchung von der Auslieferung trennen“, so Wolde. Die Buchung wird in Echtzeit bestätigt, die Auslieferung erfolgt zum Erscheinungstermin der gebuchten Zeitschriften und Zeitungen. Die Echtzeit-Bestätigungen werden durch Floor-Preise möglich, die Verlage mit dem Anbieter teilen.
4. Technische Silos verlassen
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Datenschutzanforderungen immer restriktiver werden und Browser und Gerätehersteller ebenfalls auf die Werbebremse treten. Ab Ende 2023 unterstützt der Chrome-Browser keine Drittanbieter-Cookies mehr und Apple hat seine Werbe ID bereits verschärft. Es scheint, dass die Identifier für Programmatic knapp werden, aber der Schein trügt. Der Markt für neue Identifyer-Lösungen blüht – und ist entsprechend fragmentiert. Zwar integrieren erste Anbieter die IDs anderer, doch eine echte Marktkonsolidierung ist noch nicht in Sicht. Es werden dringend marktübergreifende Identifier-Lösungen benötigt, die das Third-Party-Cookie ersetzen können.
Nach Einschätzung von Nicole Mortier, stellvertretende Vorsitzende der Fokusgruppe Programmatic im BVDW und SVP Account Management & Platform Solutions Yieldlab, sind auch bessere Schnittstellen notwendig, um das Thema Omnichannel voranzutreiben und die Potenziale und Effizienzvorteile von Programmatic ganzheitlicher in eine erweiterte Marketingarchitektur integrieren zu können. „Für die neuen Kanäle müssen wir übergreifende Standards und KPIs schaffen, insbesondere um One-to-Many-Medien sinnvoll programmatisch erschließen und in ganzheitliche Kampagnenkonzepte und Leistungsmessungen einbeziehen zu können“, so die Expertin. Man müsse weg von den derzeitigen technologischen Silos hin zu ganzheitlichen, Komplexität reduzierenden Systemoptimierungsansätzen.