Frau Professor Funken, wie ambitioniert ist die befragte „Generation 35plus“ bezüglich Führungsaufgaben in der Wirtschaft?
CHRISTIANE FUNKEN: Sie haben hohe Ambitionen und ein starkes Karrierebewusstsein. Fast alle befragten Führungskräfte waren äußerst karriereorientiert. Aber die Art und Weise, wie sie ihre Motivation umsetzen, unterscheidet sich sehr von vorherigen Führungskräfte-Strategien. Nach den „Babyboomern“ der 50er- und 60er-Jahrgänge wurde den Nachfolgern, der so genannten „Generation Y“ der nach 1980 Geborenen, ja in der öffentlichen Diskussion insbesondere über die Medien eher ein Interesse am Chef-Dasein abgesprochen. Die von uns befragten Nachwuchsführungskräfte zwischen Anfang 30 und Anfang 40 verschreiben sich mit Haut und Haaren ihrem Unternehmen. Sie sind geprägt von neuen Arbeitsformen und der Wissensökonomie. Die klassische industrielle Produktion verliert in ihrem Arbeitsumfeld an Bedeutung, sie arbeiten oft an Dienstleistungen als innovative Lösungen. Sie sind Projektarbeit und flache Hierarchien gewohnt, arbeiten zeitlich und örtlich entgrenzt, sind stark selbstorganisiert und hoch kreativ. Sie kennen kaum noch Aufgabenbeschreibungen, sondern eher Zielvereinbarungen. Leistungsverdichtung ist ihr täglicher Begleiter. Dennoch sagen sie: Früher war der Handlungsspielraum größer und der Druck kleiner.
Wie planen diese willigen Führungskräfte Ihren Aufstieg in Top-Positionen?
FUNKEN: Das war eine Ausgangsfrage unserer Studie über die Generation 35plus: Aufstieg oder Ausstieg? Wir wollten wissen, was die jungen Führungskräfte für ihre Karriere unternehmen in den beschriebenen neuen Arbeitsstrukturen, in denen sie jederzeit erreichbar und auch übers Wochenende für ihr Unternehmen tätig sind. Im Ergebnis zeigen drei Gruppen unterschiedliche Reaktionen, obwohl sie alle Karriere machen wollen – aber eben nicht alle um jeden Preis. Manche sind sogar bereit auszusteigen, weil sie insbesondere in den Konzernen keine Chance auf Karriere sehen. Wir bezeichnen sie als Kulturkritische und finden es alarmierend, dass nicht wenige von ihnen abwandern wollen in kleine und mittlere Unternehmen, um dort bis an die Spitze zu kommen. Oder sie versuchen sich vermutlich auch als Selbstständige. Die Dynamiker bleiben in den Konzernen, passen sich Veränderungen an, kreieren Nischen, stoßen in diese vor und halten Karriere im Prinzip für nicht planbar angesichts der schnell und permanent sich verändernden Strukturen. Für die Entschleuniger wiederum sind Status und Macht kein Thema, denn sie werden bereits jetzt sehr anerkannt, fühlen sich inhaltlich mit ihrer Aufgabe wohl, wissen aber auch, dass ihr Ausharren nicht lange gut gehen kann.
Für das Marketing wird aktuell als ganzheitliche Unternehmensführungsdisziplin ein Bedeutungsverlust und eine Abkehr von der Leadership-Rolle konstatiert. Sagen die Ergebnisse Ihrer Studie etwas zum Führungsanspruch bestimmter Fachgebiete?
FUNKEN: Das zwar nicht, aber sie sagen etwas aus zur Führungsnotwendigkeit in allen Disziplinen. Viele Führungskräfte sagten uns, dass mit ihnen keine regelmäßigen Personalgespräche geführt werden. Entsprechend der Tenor: Die Firmen wissen nicht, was wir wollen. Das ist für mich eindeutig eine Frage des Marketings nach innen. Wenn schon Führungskräfte keine hinreichende Wertschätzung empfinden und sich obendrein häufig ausgebeutet und ausgebrannt fühlen, wie können Unternehmen dann einen Wertekanon verwirklichen, der von ihrer Belegschaft gelebt wird? In Summe bleibt bei den befragten Führungskräften der Eindruck: Wir geben alles und bekommen nichts zurück. Ihr Problem: Sie erleben und erleiden die stetigen Veränderungen im Unternehmen und die daran gekoppelten enormen Erwartungen an ihr Arbeitsvermögen hautnah. In Bezug auf ihre eigenen Arbeits- und Karrierebedürfnisse erweisen sich die Strukturen und die Haltungen der Unternehmen jedoch als äußerst träge oder starr.
Träge Strukturen, starre Haltung – würden Sie das bitte konkreter beschreiben.
FUNKEN: Gerne am Beispiel: Unsere Befragten berichten von Projekten, für die sie viele Wochenenden durchgearbeitet haben. Wenn sie nach Fertigstellung dann mal um 17 Uhr gehen, fragt der Chef sie spitz, warum sie schon nach dem halben Tag gehen. Autonomie und Flexibilität werden also umgekehrt nicht zugestanden. Sie bemängeln die große Schere zwischen den Erwartungen an sie und einem angemessenen Entgegenkommen.
Gibt es Unterschiede nach Geschlechtern?
FUNKEN: Grundsätzlich nein, was in der deutlichen Annäherung erstaunlich war. Frauen und Männer sind mittlerweile gleich stark karriereorientiert. Bei den Dynamikern, die ihre Karriere in Konzernen mit ihren ständig verändernden Strukturen für kaum planbar halten, warten die Frauen nicht ab, sondern sprechen aktiv die Weiterentwicklung in Top-Positionen an. Unter den Entschleunigern ohne ausgeprägte Aufstiegsambitionen entgegneten uns unter den Befragten vor allem Mütter, ihnen werde im Konzern keine Karriere ermöglicht. Ihr Kinderwunsch hat sie ausgebremst, sie fühlen sich ausgebeutet und sind sauer. Wir fragen uns angesichts des Fach- und Führungskräftemangels: Wie lange können sich Firmen das noch leisten?
Haben die vielen Krisen der vergangenen Jahre nach Auffassung der Befragten auch Auswirkungen auf ihre Aussichten?
FUNKEN: Das war bei unseren Karriereambitionierten überhaupt kein Thema.
Welcher der von Ihnen ermittelten Typen hat nach Ihrer Einschätzung die besten Führungsqualitäten und Karrierechancen?
FUNKEN: Dazu kann und möchte ich nichts sagen. Das ist auch schwierig. Wir haben nicht ihre Qualitäten ermittelt, sondern ihre Erfahrungen. Grundsätzlich dürfte man bei den Dynamikern und Kulturkritischen das beste Potenzial vermuten. Aber in der Persönlichkeitsentwicklung gleicht unsere Studie einer Momentaufnahme.
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