Das Durchschnittsalter liegt bei 22 Jahren, kaum jemand aus dem Team hat je eine Uni von innen gesehen und die Agentur wird in der Presse gefeiert als heißer Laden und Generation-Z-Versteher: Das Werbe-Start-up Zeam aus Zürich punktet in Pitches teilweise gegen gestandene Agenturen samt ihren erfahrenen Leuten.
Zeam-Gründerin Yaël Meier findet akademische Weihen und formale Ausbildungsgänge nicht nützlich, um im Marketing erfolgreich zu sein. Welche Ausbildung jemand mitbringen muss? Meier antwortet trocken: „Keine, sie müssen verstehen, wie die Aufmerksamkeit von Menschen im Jahr 2023 gecatcht wird. Marketing ist schnell – Bildung hinkt hinterher. Um erfolgreich zu sein, muss man immer auf dem neusten Stand sein, aber den lernt man in klassischen Ausbildungen nicht.“
Dass frischgebackene Bachelor- und Masterabsolvent*innen von der Praxis meist keine Ahnung haben und Unternehmen sie erst mal mühsam ans Tagesgeschäft gewöhnen müssen, ist eine altbekannte Klage. Das ist erst recht der Fall, wenn jemand promoviert und vielleicht erst mit Anfang 30 mit dem realen Wirtschaftsleben in Berührung kommt.
„Den Doktortitel braucht es nicht mehr, und ich bin auch gar nicht sicher, ob wir ihn überhaupt je gebraucht haben“, sagt Frank Dopheide, Chef der Agentur Human Unlimited. „Die wissenschaftliche Herangehensweise hat das Marketing in die Irre geführt.“
Starre Mediapläne und in Stein gemeißelte Steuerungsmechaniken, wissenschaftliche Modelle und akademische Analysen – dabei fehle das Gespür für Marken, Märkte, Menschen. „Die Akademisierung nimmt uns das Intuitive, das Unlogische, das Sprunghafte – und das ist ja Teil des Marketings.“ Dopheide empfiehlt dem Marketingnachwuchs zwar, viel zu lernen und sich auszubilden, aber eben in der Praxis. Texter*innen müssten viele Texte schreiben, Produktdesigner*innen viele Produkte designen, Vertriebsleute viele Gespräche führen – es gehe ums Machen und Lernen, ums Verstehen und Begreifen.
Mehr Theorie, mehr Gehalt
Allerdings, es gibt mindestens einen gewichtigen Grund für Studium, High-End-Abschluss und Promotion: das liebe Geld. Je höher der Berufsabschluss, desto höher das Gehalt.
An dieser alten Regel ändert bisher auch der Fachkräftemangel nichts. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) verdient eine Person mit Masterabschluss im Schnitt 1.600 Euro mehr als jemand mit Bachelorabschluss. Wer promoviert oder habilitiert, liegt im Schnitt noch mal knapp 2.500 Euro über den Masterabsolventen – und mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 8687 Euro satte 111,6 Prozent über dem durchschnittlichen Verdienst. Also Vorsicht, wenn es heißt: Abschlüsse sind nicht nötig. Denn noch sind sie das Ticket zu einem hohen Gehalt.
Und: Sie sind die Eintrittskarte für Top-Positionen. Die „WirtschaftsWoche“ lässt regelmäßig ermitteln, von welchen Fachhochschulen und Universitäten Personalverantwortliche in Unternehmen besonders gern Leute einstellen. Teilweise spiele sogar der Hochschultyp eine Rolle, so ein Ergebnis aus der WiWo-Erhebung 2022: Je höher die ausgeschriebene Position, desto wichtiger wird es, ob der Master an einer Fachhochschule oder an einer Universität gemacht wurde. „Wer eine Führungsposition anstrebt, sollte eher an einer Universität studieren“, so der WiWo-Tipp.
Soft Skills werden wichtiger
Die Praxis zeigt: Noch ist es für Berufseinsteiger*innen wichtig, eine wie auch immer geartete Ausbildung vorweisen zu können. Studiengänge mit Schwerpunkten in Marketing, Kommunikation und Digitalem sind dabei am relevantesten; aber auch Wirtschaftsinformatik und Informatik sind gefragt, da viele Marketingberufe immer datengetriebener werden. Generell werden duale Ausbildungen und duale Studiengänge beliebter, eben weil sie eine Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen.
Jedoch sind es insbesondere in Sachen Nachwuchs nicht mehr nur die Hard Facts, die zählen. Harald Fortmann, Partner der Personalberatung five14, sagt: „Es wird mittlerweile auch in Deutschland mehr nach dem Potenzial der Mitarbeitenden geschaut.“ Welche Soft Skills bringt die Person mit, wie passt sie fachlich, aber vor allem auch menschlich in das jeweilige Arbeitsumfeld? Wie viel Lust hat sie, sich in ein Thema einzuarbeiten? Wer die richtigen Antworten hat, kann im Marketing auch als Quereinsteiger*in Karriere machen.
Die BMW-Welt ist anders als die von Zeam
„Fürs Marketing von heute zählen nicht die Noten, sondern die Skills. Und die lernt man by doing“, so Zeam-Chefin Meier. Das mag in manchen Agenturen gelten. Viele Unternehmen blicken aber auf beides: Abschlüsse und Potenzial.
Die BMW Group zum Beispiel landet mit schöner Regelmäßigkeit auf den Spitzenpositionen der bei BWL-Studierenden beliebtesten Arbeitgeber. „Wir sehen uns immer das Gesamtpaket an, das eine Bewerberin oder ein Bewerber mitbringt, zum Beispiel Studienrichtung oder Praxiserfahrung, aber auch Motivation, Leidenschaft für ein Thema. Und wir sehen uns vor allem den Menschen an“, sagt BMW-Sprecher Hans-Peter Ketterl, selbst promoviert.
Gesamtpaket bedeutet hier: Für jede offene Position definiert die BMW Group im Vorfeld die notwendigen fachlichen und überfachlichen Qualifikationen. Die, so Ketterl, könne man oftmals auch außerhalb klassischer Ausbildungs- und Studiengänge erwerben. Es komme darauf an, dass die Kenntnisse, Eigenschaften und Fähigkeiten bestmöglich zu den definierten Anforderungen und zur Unternehmenskultur passen. Und, ja, die in Schule und Universität erzielten Noten spielten bei der Personalauswahl von BMW noch eine Rolle. Noch wichtiger sei das Abschneiden in den unternehmenseigenen Leistungs- und Persönlichkeitstests. Außerdem sehr relevant: Praktika. Je nach Position sind zudem Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung von Vorteil oder zwingend erforderlich. Die Anforderungen bei BMW sind Welten von denen der Agenturchefin Yaël Meier entfernt.
Irgendwann ist die Ausbildung egal
Und wie sieht es aus, wenn man schon ein paar Karrierejahre vorweisen kann und sich neu bewirbt? Fortmann kennt die Branche in- und auswendig. Im Moment, sagt er, könne er binnen weniger Stunden eine Liste mit Top-Marketing-Führungskräften zusammenstellen, von denen die Unternehmen vor zwei Jahren nur geträumt hätten. Viele gestandene Marketingprofis sind wechselwillig.
Bei den High-Level-Leuten sei es ziemlich egal, was sie mal studiert haben oder mit welcher Abschlussnote. Hier geht es nur darum, wo sie wann mit welchem Erfolg was erreicht haben. Doktortitel oder MBA-Abschlüsse seien ein Nice-to-have, aber keinesfalls ein Karrieregarant oder gar eine Karrierevoraussetzung, so Personalberater Fortmann.
Bei der Frage, was jemand gelernt haben muss, um einen guten Job im Marketing zu bekommen, bleibt es also bei einem „Kommt darauf auf“. Darauf, ob man in Agenturen oder Unternehmen arbeiten will, ob man eine Karriere mit einem hohen Gehalt möchte, ob man Berufseinsteiger*in ist oder Profi. Was nie schadet, um in der Praxis zu reüssieren, ist … Praxis!