Präsenz, Hybrid, Remote: Vor- und Nachteile von Arbeitsmodellen

Nachdem viele Menschen zu Pandemie-Beginn im Hauruckverfahren in die heimischen „Büros“ verfrachtet wurden, haben sich inzwischen vielerorts Routinen im hybriden Arbeiten etabliert. Wie entwickeln sich die unterschiedlichen Modelle langfristig? Ein Statusbericht.
Co-Working ist eines der flexiblen Modelle, die durch Corona einen Aufschwung erleben. (© Stocksy)

Corona bringt den Immobilienmarkt durcheinander. Wenn wir weniger Büroflächen brauchen, dann könnte das auch eine Lösung für das wachsende Problem der Wohnungsnot werden, lautet eine der Thesen. Doch der auf den ersten Blick naheliegende Rückgang von Büroflächen ist erst noch zu belegen. So sollte das alte Kölner Telekom-Gebäude eigentlich abgerissen und dort unter anderem Wohnraum geschaffen werden. Im Juli dieses Jahres kam die Kehrtwende. Das Bürogebäude soll erhalten bleiben. Auch wenn das nur ein Beispiel ist, zeigt der Fokus des Investors doch, dass der Langzeittrend keineswegs eindeutig ist.

Auch dass sich die veränderte Arbeitskultur auf die Präsenz von Außenwerbung auswirkt, weil weniger Menschen unterwegs sind und diese Werbung wahrnehmen, darf keineswegs als sicher gelten. Der Außenwerber Planus Media äußert daran jedenfalls seine Zweifel. Schon Anfang 2021, also noch mitten in der Corona-Hochzeit, seien die Mobilitätsdaten wieder annähernd auf dem Niveau von vor der Pandemie gewesen. Das ergebe sich unter anderem aus aggregierten Daten von Google, Apple und Ströer. Selbst wenn man von diesen Daten ein paar Prozent abziehen würde, zeigt sich: Gut möglich, dass die Relevanz für Außenwerbung ebenso hoch bleibt wie der Bedarf an Büroflächen.

Firmen schicken Mitarbeitende ins Ausland

Gleichzeitig gehört zur Wahrheit, dass bei vielen Unternehmen seit Pandemie-Beginn die festen Arbeitsplätze gewichen sind und dass viele Arbeitnehmer*innen nicht mehr für fünf Tage die Woche in die Büros zurückkehren werden. Doch zumindest teilweise wollen die Vorgesetzten ihre Mitarbeitenden schon wieder in Präsenz sehen, stellt Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) fest: „Das muss man verstehen: Wir sehen, dass die Bindung von Arbeitnehmenden abnimmt und der Wissensaustausch teilweise schlechter wird.“ Wichtig sei vor allem, dass der Wunsch nach Präsenz keine „Hidden Agenda“ sei: „Führungskräfte sind hier in der Pflicht, klar zu kommunizieren und vielleicht auch mal verschiedene Modelle der Zusammenarbeit im New Normal auszuprobieren und danach zu sehen, was funktioniert und was nicht“, so die IAO-Expertin. Welche Regelungen passen, sei dabei sehr individuell. Hier spielten nicht nur Meeting-Routinen oder Ansprechbarkeit für Kund*innen eine Rolle, sondern auch die jeweilige Unternehmenskultur.

Immer mehr Firmen nutzen die neu gewonnene Flexibilität durch mobiles Arbeiten auch, um ihre Mitarbeitenden ins Ausland zu schicken. Für internationale Konzerne ist das recht einfach, vor allem wenn es um kurze Phasen geht. Die steuerlichen und rechtlichen Hürden sind dann gering. Doch auch für mittelständische Unternehmen und längere Phasen gibt es Lösungen.

Länder locken mit speziellen Remote-Visa

Durch Kooperationen wird so auch ein Jahresaufenthalt möglich. Anbieter wie Work Paradise bieten Unternehmen diesen Service. Offiziell wird Work Paradise für die Dauer des Auslandsaufenthaltes zum Arbeitgeber, die Arbeitnehmer*innen sind aber weiterhin für ihren eigentlichen Arbeitgeber tätig. Der Dienstleister wurde 2020 von einer Gruppe von in Thailand lebenden Digitalunternehmern mit dem Ziel gegründet, die Work-Life-­Balance von Arbeitnehmer*innen aus aller Welt zu verbessern. Das Geschäftsmodell profitiert davon, dass sich Thailand aktuell mit speziellen Visa stark um Remote Worker bemüht. Costa Rica, Estland, Malta oder Griechenland haben ähnliche Remote-Visa eingeführt. In Indonesien ist das fünfjährige „Nomaden-Visum“ sogar steuerbefreit.

Yannic Haupenthal arbeitet für die Berliner Agentur Familie Redlich in der Systemadministration, hat das Angebot, für ein Jahr nach Thailand zu gehen, genutzt und ist seit Kurzem zurück in Deutschland. Die Zeitverschiebung empfand Haupenthal dabei sogar als Vorteil: „So konnte ich zum Beispiel morgens einen Tauchkurs machen und war […] rechtzeitig zurück am Rechner, als in Deutschland die Leute anfingen zu arbeiten. Gerade die Flexibilität habe ich sehr geschätzt.“ Gleichzeitig konnte Haupenthal Wartungsarbeiten zu den Zeiten durchführen, als die Kolleg*innen in Deutschland noch nicht an ihren Plätzen waren. An Tagen ohne Wartungsarbeiten war der Tag aber eher umgedreht: erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Haupenthal kann sich gut vorstellen, in den kommenden Jahren in ein anderes Land zu gehen. Allein die bürokratischen Prozesse müssten ein wenig besser vorbereitet werden. Die Wiedereingewöhnung in Deutschland hingegen war – auch aufgrund des mobilen Arbeitens nach der Rückkehr – kein Problem.


Quelle: Bitkom

Familie Redlich muss aber selbst zugeben, dass das Unternehmen das Angebot nicht für alle Mitarbeitenden machen kann. Zwar seien die Erfahrungen durchweg positiv, aber die Zeitverschiebung erschwere die je nach Fachbereich nötige Erreichbarkeit zu Bürozeiten. Vielleicht aber gibt es diese Notwendigkeit in Zukunft weniger stark – wenn sich auch Kund*innen darauf einlassen.

So oder so ist die Agentur überzeugt, dass sich das Angebot positiv auf die Attraktivität für (potenzielle) Arbeitnehmende auswirkt. Man verspreche sich „auch über unsere Angestellten hinaus eine Strahlkraft“, erklärt das Unternehmen. Gerade im Bereich Entwicklung sei das ein besonderes Merkmal im Employer Branding.

Berenberg: Komplett zurück zur Präsenzpflicht

Während bei Firmen wie Familie Redlich die Flexibilisierung durch die Pandemie deutlich zugenommen hat und immer neue Modelle möglich werden, existiert auch das andere Extrem: komplette Präsenzkultur, obwohl mobiles Arbeiten möglich wäre. In den Schlagzeilen war damit jüngst das traditionelle Privatbankhaus Berenberg. Dort müssen sich wieder alle Mitarbeitenden für ihre volle Arbeitszeit im Büro einfinden. Bei Berenberg ist man überzeugt, „dass die Zusammenarbeit, die Produktivität, das Mentoring, die Ausbildung und unser Service für unsere Kunden optimiert werden“, wenn die Mitarbeitenden gemeinsam im Büro sind, erklärt ein Sprecher.

Ob Berenberg auch negative Auswirkungen etwa auf das Employer Branding befürchtet, beantwortet das Unternehmen nicht. Auch vom Betriebsrat ist kein Statement zu bekommen, auch wenn die Mitarbeitenden dem Vernehmen nach alles andere als begeistert waren. Das bisherige Hybrid-System habe gut funktioniert, heißt es da laut Finanz-Szene.de.

Bewerber*innen erwarten mobiles Arbeiten

Josephine Hofmann kann diese starren Modelle nicht nachvollziehen: „Wir haben jetzt zwei Jahre gesehen, dass mobiles Arbeiten gut funktioniert und die Leute trotzdem arbeiten. Ich finde es jetzt problematisch, nachdem man den Leuten auch viel zugemutet hat, den Schalter komplett umzulegen, nur weil man es will“, sagt die IAO-Vertreterin. Dadurch würde die Motivation der Angestellten nicht steigen. Und ein Unternehmen verliert an Attraktivität. Für viele Bewerber*innen sei mobiles Arbeiten längst eine feste Erwartung, also eher Hygienefaktor als Add-on.

Dass auch Beschäftigte mitunter übers Ziel hinausschießen, zeigt sich in einem anderen Fall. Hofmann beschreibt eine Situation, bei der eine Mitarbeiterin während der Pandemie heimlich nach Skandinavien ausgewandert sei. Das zieht nicht nur steuerrechtliche Probleme nach sich, sondern kann je nach Branche auch juristisch mehr als komplex sein – und ist natürlich verboten. Die Mitarbeiterin ist mittlerweile nicht mehr im Unternehmen. Zu sehr davon ausgehen, dass es künftig ganz ohne Präsenz geht, sollten Mitarbeiter*innen also nicht. Oder zumindest vorher mit ihrem Arbeitgeber sprechen.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.