Von Katharina Hutter
Während die Quadratmeterzahlen im deutschen Einzelhandel rasant wachsen, stagniert das Umsatzvolumen. Zugleich steigen flächenbezogene Kosten etwa für Miete, Energie, Ladenbau und Warenpräsentation. Die Produktivität von Verkaufsflächen in Deutschland sank laut dem Handelsverband Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent. Das Resultat: ein Preiskampf und Verdrängungswettbewerb, dem insbesondere kleine und junge Unternehmen ausgeliefert sind. Sie müssen innovative Distributionskonzepte entwickeln, um sich den Marktauftritt überhaupt erst zu ermöglichen, um sich von ihren Wettbewerbern abzuheben und um die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe zu erlangen. Um die sinkende Flächenproduktivität zu kompensieren, nutzen Unternehmen deshalb zunehmend Pop-up-Stores als innovative Distributionsform.
Das Modelabel Comme des Garçons eröffnete 2004 den ersten Pop-up-Store in Deutschland. Fernab etablierter Läden in einer ehemaligen Berliner Bücherei verlieh das Label seiner Mode somit ein einzigartiges Image. Ganz bewusst behielten die Initiatoren den Zustand des Gebäudes so bei, wie sie ihn vorfanden. Möbel vom Flohmarkt und Wasserleitungen in den Räumen nutzten sie als Kleiderständer, um eine „Secondhand-Atmosphäre“ zu kreieren und das Produkt und nicht die Verpackung in den Mittelpunkt zu rücken. Informationen über die Existenz des Stores waren ausschließlich über Mundzu-Mund-Propaganda zu erlangen, die von 600 in der Stadt verteilten Plakaten stimuliert war. Unabhängig von seiner Wirtschaftlichkeit schloss Comme des Garçons den Store nach einem Jahr wieder und eröffnete zwischen 2004 und 2009 weltweit insgesamt 37 Pop-up-Stores unter anderem in Basel, Beirut und Warschau.
Temporäre Ladeneinheiten an ungewöhnlichen Orten
Pop-up-Stores (auch Guerilla-Stores genannt) sind temporäre Ladeneinheiten, sogenannte Kurzzeitläden, die oft unangekündigt an ungewöhnlichen Orten „aufpoppen“ und nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Die Stores machen sich insbesondere das Prinzip der künstlichen Verknappung zunutze, um für ihre Kunden attraktiv zu sein. Sie bieten demjenigen, der sie zufällig entdeckt, ebenso wie demjenigen, der sie gezielt aufsucht, spektakulär inszenierte Produkte und ein unvergessliches Einkaufserlebnis. Die Stores appellieren gezielt an die Neugier ihrer Zielgruppe, wecken ihren „Jagdinstinkt“ und sorgen dafür, dass die Kunden ihre Erlebnisse weitererzählen. Im Vergleich zu dauerhaften Ladenbaukonzepten resultiert die zeitlich begrenzte Öffnung des Stores außerdem in überschaubaren Kosten, da langfristige Mietverträge wegfallen und häufig auf eine aufwendige Store-Ausstattung verzichtet wird.
Die Idee des Pop-up-Stores entwickelte Vacant-Geschäftsführer Russel Miller 1999 in Tokio, als er realisierte, dass ein Klamottenladen förmlich von Kunden überrannt wurde, als er ankündigte, kurzfristig schließen zu müssen, um den Bestand aufzufüllen. Russel beschloss kurzerhand, seinen bis dahin festen Laden zu schließen und bewusst an wechselnden Standorten immer wieder neu zu eröffnen. So eröffnete Vacant im Jahr 2000 in New York den bis dahin ersten Pop-up-Store. Der Store erzielte die gewünschte Wirkung, sodass andere Unternehmen die Idee übernahmen. Der Sportartikelhersteller K-Swiss mietete sich 2008 mangels leer stehender Ladeneinheiten in Santa Monica, Kalifornien (USA), für einen Monat sogar in ein Geschäft ein, dessen Besitzer für diesen Zeitraum seinen Laden gewissermaßen untervermietete.
Umsatzsteigerung und Produktinszenierung
Pop-up-Stores dienen sowohl der Distribution von Produkten und somit der Umsatzgenerierung als auch der Produktinszenierung, das heißt kommunikationspolitischen Zielen. Da Pop-up-Stores unkonventionelle Vertriebswege nutzen, werden sie als Guerilla-Distribution bezeichnet. Adrian Joffe, Geschäftsführer von Comme des Garçons, sagte in einem Interview in der Welt Online (2008) über Pop-up-Stores: „Nichts steht still – nur das Konzept und die Strategie bleiben dieselbe. Genau wie Guerilleros, die immer um Freiheit kämpfen, aber ihre Taktik währenddessen verändern.“ Die Stores überraschen den Kunden, da sie nicht in das erwartete Umfeld des Einzelhandels oder klassischer Vertriebsformen passen.
Wie beim Guerilla-Marketing sind die Platzierung (location), die Ausführung (execution) und der Zeitfaktor (temporal) für Pop-up-Stores von großer Bedeutung. Beispielsweise eröffnete Adidas 2011 einen Pop-up-Store in einem Kölner Hotel für lediglich zwei Tage. In einem Hotelzimmer lagen wild verstreut Adidas-Produkte, die gekauft werden konnten.
Je weiter die Rahmenbedingungen eines Stores, wie Lage, Einrichtung oder Gestaltung, von denen einer gewohnten Ladeneinheit abweichen, umso eher wirkt der Store unerwartet und somit überraschend. Die Bekanntgabe einer Store-Eröffnung und seiner begrenzten Öffnungsdauer erfolgen deshalb häufig ausschließlich über Social-Media-Netzwerke wie Facebook oder Twitter. So wird die Einzigartigkeit des Konzepts aufgrund eines begrenzten Informationszugangs über den Store hervorgerufen. Der Store, seine Produkte und das Wissen darüber erhalten einen Exklusivstatus, der zugleich eine Abgrenzung von anderen Stores, Produkten und Nicht-Wissern erzeugt.
Die besondere Herausforderung für Store-Initiatoren besteht darin, die richtige Personenanzahl zu informieren. Wissen zu viele Bescheid, ist die Information nicht mehr exklusiv und überraschend. Wissen zu wenige von der Existenz des Stores, ist seine Wirkung auf eine zu kleine Zielgruppe begrenzt und womöglich ineffektiv. Treffen die Initiatoren die kritische Masse, bewirken die unerwartete Inszenierung und die künstlich erzeugte Knappheit, dass die Zielgruppe untereinander über den Store spricht und Medien darüber berichten.
Prinzip: Wertsteigerung durch künstliche Verknappung
Je knapper ein Produkt, desto höher der damit verbundene Wert für den Konsumenten. Da knappe Güter begehrter als ausreichend verfügbare sind, lässt sich der Wert einer Ware durch künstliche Verknappung (englisch „Scarcity“) steigern. Mittels begrenzt verfügbarer Produkte lässt sich der Kaufentscheidungsprozess des Kunden positiv beeinflussen, denn Knappheit wird von den meisten Personen nur aufgrund starker Präferenz oder Preisaktion für ein anderes Gut ignoriert. Pop-up-Stores machen sich das Prinzip der künstlichen Verknappung zunutze, indem sie zum einen nur befristet geöffnet sind und zum anderen indem sie über ein erlesenes Angebot verfügen, das nach dem First-come-First-Serve-Prinzip verkauft wird.
Auf diese Weise erzeugen Pop-up-Stores beim Konsumenten ein Gefühl der Dringlichkeit, die angebotenen Waren rechtzeitig erwerben oder erleben zu wollen. Die meisten Personen sind bestrebt, etwas Besonderes zu erwerben, um sich von der Masse abzuheben. Dabei laufen Kaufentscheidungen in der Regel unterbewusst und emotional verzerrt ab. Pop-up-Stores befriedigen das emotionale Bedürfnis nach Abgrenzung, indem sie sich von branchenüblichen Distributionssystemen differenzieren und Produkte einzigartig und überraschend in Szene setzen. Aufgrund solcher Einkaufsinszenierungen erinnert sich der Kunde auch nach dem Kauf an das Unternehmen, fühlt sich eher zum Wiederkauf stimuliert und wird von seinen Erlebnissen berichten. Kurzum: Er wird sich der Marke verbunden fühlen.
Um Exklusivität zu demonstrieren und die Akzeptanz des Stores beim Kunden zu erlangen, ist der Store-Standort entscheidend. b in stark frequentierten Einkaufsgebieten oder in unkonventioneller Randlage abseits belebter Ladenstraßen: Kommunizieren Unternehmen nicht klar, dass beziehungsweise wann ein Store schließt, könnten Kunden glauben, der Store musste aus Wirtschaftlichkeitsgründen schließen und mit negativer Mundpropaganda reagieren.
Die Zielgruppe innerhalb kürzester Zeit auf einen Store aufmerksam zu machen ist besonders herausfordernd, wenn er fernab von Ballungszentren liegt. Dort gibt es keine Laufkundschaft, die den Store zufällig entdecken könnte. Zudem werden Neugierigen lange Anfahrtswege abverlangt, währenddessen nicht selten ihre Erwartungen an das Ziel steigen, die es wiederum zu erfüllen gilt. Außerdem betrachten Konsumenten etablierte Einkaufsgegenden häufig als Bühne für neueste Trends. Das Image eines solchen Hotspots ließe sich auf den Store und seine Produkte transferieren, und die Infrastruktur und mögliche Erfahrung des Centermanagements im Umgang mit ungewöhnlichen Ladenbaukonzepten ließen sich nutzen.
Andererseits könnte die unkonventionelle Lage fernab typischer Einkaufsmöglichkeiten (wie Lagerhallen, Garagen, Hangars) dazu beitragen, ein „Underground-Image“ zu kreieren und Stores abseits der typischen Einkaufsmeile auch aufgrund kostengünstigerer Rahmenbedingungen zum Erfolg machen, sofern es dem Store gelingt, genügend Aufmerksamkeit beim Zielpublikum zu generieren.
Die Gestaltung (Einrichtung) der Verkaufsräume sowie das Auftreten des Verkaufspersonals spielen auch neben dem Store-Standort eine große Rolle. In Pop-up-Stores sollten unbedingt Mitarbeiter beschäftigt werden, die mit dem innovativen Konzept vertraut sind. Die Ausgestaltung eines Pop-up-Stores bietet hingegen mehr Spielraum zum Experimentieren. Nicht selten werden Räume ungewöhnlich aufgeteilt, aus Kosten- oder Gestaltungsgründen im improvisierten Rohbauzustand belassen oder Bars, Clubs und so weiter direkt ins Ladenkonzept integriert.
Auch NPOs können profitieren
Dass auch Nonprofit-Organisationen (NPOs) von Pop-up-Stores profitieren können, zeigt der Pop-up-Store des US Potato Board (USPB) in New York. Der Store öffnete 2006 während der Thanksgiving-Woche inszeniert als das symbolische „Headquarter“ von Mr. Potato Head, dem Maskottchen des USPB, der die Geschichte der Kartoffel in Amerika verbreiten sollte. Angesichts der für die Branche völlig untypischen Aktion erregte der Store, der Kartoffeln als gesundes Lebensmittel als Event inszenierte, sogar das Interesse der „New York Times“ und einiger in ganz Amerika populären Morgenmagazine. Die Medien verhalfen der Institution somit zu einer Aufmerksamkeit, die bei gleichem Budget mit klassischen Werbemitteln keinesfalls möglich gewesen wäre.
Demnach sind Pop-up-Stores nicht nur für vermeintlich trendige Produkte wie Mode oder Sportswear geeignet. Es können auch Produktkategorien von Pop-up-Stores profitieren, die auf den ersten Blick eher konventionell sind wie Haushaltsgeräte oder Lebensmittel.
Über die Autorin: Katharina Hutter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Marketing an der Technischen Universität Dresden.
Beitrag zuerst erschienen in absatzwirtschaft 1/2 -2013