Obwohl der Boom des Outdoor-Marktes zwischenzeitlich vorüber war, hat die Marke Patagonia ihren Nettoumsatz seit 2008 verdreifacht. Was ist Ihr Geheimnis?
ALEX WELLER: Wir konzentrieren uns darauf, permanent unseren Unternehmenszweck zu erfüllen – und unsere Marke an den Werten und der Mission von Patagonia auszurichten. Wir nutzen unser Geschäft als Plattform und binden unsere Kundengemeinschaft bei wichtigen Umweltinitiativen ein und mobilisieren sie. Patagonia hat sich einem konsequenten Weg verschrieben, einerseits fantastische Kleidung zu entwickeln und gleichzeitig seine Produktionsabläufe ständig kritisch zu hinterfragen – daran anknüpfend folgt dann hoffentlich auch das Geschäft im wirtschaftlichen Sinne.
Welche wichtigen Meilensteine gab es im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs von Patagonia?
Ich glaube nicht, dass es bestimmte Momente gab, in denen sich das Geschäft beschleunigte. Was sicherlich geholfen hat, war, dass wir zu bestimmten Zeitpunkten Klartext gesprochen und starke Aussagen in Bezug auf die Mission des Unternehmens gemacht haben. Damit ist sicherlich auch ein Teil des Unternehmenswachstums einhergegangen. Viele Vermarkter wurden 2011 beispielsweise auf unsere damalige „Don’t buy this jacket“-Kampagne aufmerksam. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dies einen einschneidenden kommerziellen Erfolg für Patagonia zufolge hatte. Aber es war mindestens ein sehr sichtbarer Moment für die Marke.
Nachhaltigkeit spielt im Geschäft von Patagonia eine große Rolle. Wie viele Kleidungsstücke werden denn tatsächlich nachhaltig hergestellt?
Unsere gesamte Produktlinie für den Winter 2019 wird zu mehr als zwei Dritteln aus recycelten Materialien bestehen. Zudem werden mehr als zwei Drittel unserer Modelle Fairtrade-zertifiziert hergestellt. Das zeigt: Umweltverträglichkeit und soziale Gerechtigkeit sind für uns gleichermaßen wichtig. Darüber hinaus wird Patagonia im Jahr 2025 klimaneutral sein. Genau deshalb können wir auch guten Gewissens und verantwortungsbewusst sowohl hinter unseren Produkten als auch unserem Ansatz als Marke stehen. 100 Prozent Nachhaltigkeit zu erreichen, ist für uns alle weiterhin eine riesige Herausforderung. Wenn man jedoch ein verantwortungsbewusstes Unternehmen ist und die Auswirkungen des eigenen Handelns versteht, können man auch stolz auf das hergestellte Produkt sein.
Im Frühjahr 2019 bekämpfte Ihr Unternehmen mit Firmenlogos bestickte Patagonia-Westen, die an der Wall Street unter Bankern plötzlich zum „Guten Ton“ geworden waren. Wie sehr dominiert das Thema Nachhaltigkeit die Marketingstrategie von Patagonia?
Wir benutzen wie gesagt nicht so gern den Begriff Nachhaltigkeit, sondern sehen uns eher als verantwortungsbewusstes Unternehmen. Und wir hielten es für unverantwortlich, unsere Produkte an einen Kundenkreis zu verkaufen, der diese nur aus Trendgründen auswählt. Vor allem hatten wir eindeutig das Gefühl, dass wir das Geschäft nicht weiterhin innerhalb unserer Mission und unseres Unternehmenszwecks rechtfertigen konnten. Patagonia steht für verantwortungsvollen Konsum – in der Hoffnung, dass die meisten unserer Kunden aus den richtigen Gründen versucht, Produkte bei uns zu kaufen.
Von der „Don’t buy this jacket“-Kampagne bis zum Westenverbot für Wall-Street-Banker wird klar, dass die Marketingkampagnen von Patagonia häufig den Konsum kritisieren. Wie lange kann Anti-Werbung noch Patagonias Erfolgsrezept im Marketing sein?
Ich finde nicht, dass wir Anti-Werbung betreiben. Zumal wir ohnehin ganz grundsätzlich nicht viel Werbung machen. Wir konzentrieren uns vielmehr darauf, eine starke Community mit Menschen aufzubauen, die unsere Werte teilen, die an die Mission des Unternehmens glauben und die sich aus diesen Gründen für uns entscheiden. Wenn unsere Community das von uns hergestellte Produkt zu schätzen weiß, unsere Produkte verantwortungsbewusst verwendet und über Initiativen wie „Patagonia Action Works“ Zugang zu Maßnahmen zur Verteidigung des Planeten bekommt, dann machen wir einen guten Job.
Patagonia hat seinen Nettoumsatz mittlerweile auf rund eine Milliarde US-Dollar gesteigert. Befürchten Sie nicht, dass die Marke bei weiterhin steigenden Einnahmen und gleichzeitiger Kommerzkritik an Glaubwürdigkeit verlieren könnte?
Nein, denn wir werden uns auch künftig konsequent auf die Auswirkungen konzentrieren, die unser Geschäft hat. Sollte sich das Wachstum des Unternehmens negativ auf die Wahrnehmung unserer Marke auswirken oder von unserer Community infrage gestellt werden, würden wir dies ganz genau ansehen und versuchen, etwas zu ändern. Wie bereits gesagt, bauen wir unser Geschäft so aus, dass unsere Kunden-Community uns weiterhin nicht ausschließlich aufgrund unserer qualitativ hochwertigen Produkte auswählt. Sondern auch, um sich aktiv und sinnvoll an Umweltbewegungen beteiligen zu können.
Warum haben Sie Ihren Umsatz für das Geschäftsjahr 2018, der wie erwähnt erstmals mehr als eine Milliarde US-Dollar betragen haben dürfte, nicht öffentlich kommuniziert?
Weil wir daran nicht den Erfolg und den Zustand des Unternehmens messen. Wir halten Ankündigungen von vermeintlichen Meilenstein-Umsätzen für unangemessen und unaufrichtig.
Die Produkte von Patagonia sind überdurchschnittlich teuer, manche Kritiker nennen die Marke deshalb sogar „Patagucci“. Welche Zielgruppe kann sich Patagonia überhaupt leisten?
Wir haben eine unglaublich breite Kundenbasis und denken nicht wirklich an bestimmte soziodemografische Modelle wie Alter, Standort oder Ähnliches. Wir konzentrieren uns vielmehr auf Werte. Werte in Bezug auf Umweltprozesse und Werte in Bezug auf Outdoor-Sport und Erholung. Von daher sind wir uns sicher, dass viele unserer Kunden Outdoor-Athleten sind – ob nun Kletterer, Skifahrer, Snowboarder oder Surfer. Und sie sind tief mit Patagonia verbunden, weil sie wissen, wofür wir stehen.
Welche Rolle spielt der europäische – und im Speziellen der deutsche Markt für Patagonia?
Europa und Deutschland sind wichtige Märkte. Deutschland ist der größte Outdoor-Markt in Europa. Zudem ist die fortschrittliche deutsche Gesellschaft Vorreiter in der Umweltbewegung.
Sie sagten, dass Patagonia nicht viel Werbung mache. Wie sehen Ihre mittelfristigen Marketingpläne aus?
Wir werden weiterhin Dinge tun, die wir gut können. Wir haben langjährige Erfahrung in der Produktion hochwertiger Filme, im Storytelling sowie in der Fotografie. Unsere Content-Kanäle sind dabei sehr digital ausgerichtet. Ein großer Teil unserer Kommunikation ist zudem eventorientiert. Für uns ist es wichtig, mit unserer Kundengemeinschaft direkt in Kontakt zu treten. Allein im vergangenen Jahr haben wir in ganz Europa in Zusammenarbeit mit Umweltverbänden rund 730 Veranstaltungen wie Sportevents und Filmvorführungen ausgerichtet. Es hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen, Menschen aktiv vor Ort mit der Marke in Verbindung zu bringen. Im September 2019 starten wir darüber hinaus „Patagonia Action Works“ in Europa – eine digitale Plattform, auf der sich unsere Kunden direkt mit den von uns geförderten Projektorganisationen vernetzen können.
Wie groß ist der Anteil klassischer Werbung in Ihrem Marketingbudget?
Wir haben nur ein kleines klassisches Werbebudget, das auf langjährige Partnerschaften mit einer ausgewählten Anzahl spezifischer Outdoor-Sportmedien ausgerichtet ist. Der Austausch mit Kunden aus der Outdoor-Sportbranche bleibt ein wichtiger Teil der Kommunikation. Ansonsten investieren wir weniger in Massenmedien. Und ich kann mir auch kein Szenario vorstellen, in dem sich das ändert. Denn in unserer Strategie spielen wie gesagt digitale Medien eine sehr wichtige Rolle. Die Kombination aus unseren Events, der Erstellung von Inhalten darüber und der digitalen Verbreitung dieser Inhalte ist alles, was wir brauchen, um uns mit unserer Community zu verbinden.
Was ist Ihre größte Herausforderung bei der Umsetzung der Marketingstrategie?
Eine unserer größten Herausforderungen ist die plötzliche Beliebtheit bestimmter Kleidungstile – da geht es uns genau wie anderen Unternehmen der Branche: Modetrends können ohne große Vorwarnung entstehen. Die Dynamik des trendbasierten Konsums verfolgen wir daher mit äußerster Sorgfalt.
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