Interview: Vera Hermes
Die digitale Transformation der Otto Group hätte so nicht stattfinden können, wenn es Sie nicht gegeben hätte. Gehören Sie zu denen, die schon als Junge mit einem Commodore 64 gespielt haben, oder was muss man eigentlich mitbringen, um so einen Job gut zu machen?
Rainer Hillebrand: Ich bin unglaublich neugierig. Neue Themen finde ich spannend, und ich setze mich immer gern mit ihnen auseinander. Und ich weiß noch, dass ich damals in meiner Peergroup der Erste war, der sich einen PC gekauft hat. Das war kein Commodore, sondern schon ein richtiger. An dem habe ich dann gearbeitet und mit einem NEC-P6-Nadel-drucker gedruckt. Damals habe ich Nächte damit verbracht, irgendwelche Peripheriegeräte anzuschließen. Es war die Hölle. Es gab kaum jemanden, den man fragen konnte, und noch kein Internet, wo man hätte googeln können. Diese Bissigkeit und den Antrieb, eine Aufgabe lösen zu wollen, habe ich mitgenommen. Das war mit Sicherheit bei allem, was ich danach so gemacht habe, nicht schädlich.
Sie haben unlängst gesagt, ohne eine langfristige Unterstützung, ein Backing, sei so ein Wandel, wie ihn die Otto Group hingelegt hat, nicht möglich. Wie haben Sie das gemeint?
Wenn Michael Otto den Wandel 1998 nicht eingefordert hätte, dann wäre die Otto Group sehr wahrscheinlich heute nicht da, wo sie jetzt ist. Unsere digitale Transformation wird immer gern mit meiner Person verbunden, aber der ganz maßgebliche Impulsgeber war Michael Otto. Und nicht nur, weil er es gewollt und gesagt hat, sondern weil er immer dafür Sorge getragen hat, dass das, was mein Team und ich vorgeschlagen haben, auch umgesetzt werden durfte.
Sie haben den schönen Begriff vom Emporirren geprägt. Mit Mirapodo ist es zum Beispiel nicht so gut gelaufen – den Online-Schuh-Shop hat die Otto-Gruppe damals quasi zeitgleich und auch noch räumlich nur einen Steinwurf von Zalando entfernt in Berlin gegründet. Mirapodo hätte theoretisch ein Zalando werden können, ist es aber nicht. Wo lag der Fehler?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Die Idee zu Mirapodo ist seinerzeit entstanden, als ich mir mit Marc -Opelt (damals Geschäftsführungsvorsitzen-der von Baur, heute Vorsitzender des Bereichsvorstands bei Otto, Anm. d. Red.) Zappos in Las Vegas angeguckt habe. Wir waren von Zappos sehr angetan, weil das Unternehmen extrem stark auf Service gesetzt hat. Da Service und Kundenorientierung zur DNA der Otto-Gruppe gehören und wir mit Baur schon ein Unternehmen im Portfolio hatten, das für Schuhe stand, war die Grundidee, ein deutsches Zappos zu bauen. Wir haben alle Ressourcen der Otto Group zur Verfügung gestellt, um auszuprobieren, ob so ein Modell in Deutschland funktioniert, und sind dabei in Ausbaustufen vorgegangen. Wir haben zehn Millionen Euro freigegeben, 15 Millionen, 20 Millionen. Jedes Mal, wenn wir Zwischenziele erreicht hatten, mussten wir uns in Vorstandssitzungen die nächste Finanzierung bewilligen lassen und haben das nächste Geld abgefordert. Das war ein sperriger Prozess. Zalando hat es anders gemacht: Die haben vom Kapitalmarkt Geld eingesammelt, sind einfach losgegangen und haben das Geld rausgehauen. Wir alle wissen, was Zalando gekostet hat, wir alle wissen, mit welchen Retouren-quoten die sich anfangs rumgeschlagen haben und mit welchen Bestandsproblemen. Der Vorteil der Zalando–Gründer seinerzeit war vielleicht, dass sie das Versandgeschäft nicht so gut kannten wie wir.
Frei nach James Dean: „… denn sie wissen nicht, was sie tun“?
Sie wussten nicht, welche Probleme es geben kann, wo die Probleme lauern. Retourenquoten von bis zu 70 Prozent, die uns killen würden, waren für die zunächst einmal relativ egal, weil sie Kapital hatten. Ob Mirapodo ein Fehler war? Wir haben damals eine Vorgehensweise gewählt, die wir für sinnvoll hielten. Wir haben daraus gelernt. Mein Learning für About You war: Wir müssen anders denken und groß springen. Wir müssen von hinten denken und brauchen ein garantiertes Investitionsvolumen. Das hat funktioniert.
Alibaba und Amazon sind der Otto Group an Größe, Umsatz, Technologie weit überlegen, haben allerdings – Stichworte Datennutzung und Steuervermeidung – moralische Makel. Die Otto Group positioniert sich als wertorientiertes, faires und nachhaltiges Unternehmen. Ist diese Positionierung langfristig ein Wettbewerbsvorteil im harten Handelswettbewerb?
Schon heute gibt es viele Kunden, die auch aufgrund der Werteorientierung eher bei der Otto Group kaufen als bei anderen Anbietern im Markt. Es hängt natürlich sehr stark davon ab, ob das Angebot vergleichbar ist. Wenn wir beim 100-Euro-Artikel zehn Prozent teurer sind als ein Wettbewerber, dann können wir so werteorientiert sein, wie wir wollen, denn dann sind wir zu teuer. Viele Menschen können sich ja wenig leisten. Wenn sich der Unterschied zwischen 100 und 103 Euro bewegt, die Kunden gegebenenfalls noch anrufen können und ein gewisses Vertrauen in die Marke haben, dann gibt es schon viele, die lieber bei uns kaufen. Das Thema Werteorientierung wird im gesellschaftlichen Kontext aus meiner Sicht noch massiv an Bedeutung gewinnen – allein durch die Verunsicherung angesichts künstlicher Intelligenz, Robotik et cetera pp. Werte werden in Zukunft ein ganz zentrales Asset sein. Wird das für alle Menschen so sein? Nein. Aber es wird mit Sicherheit eine zunehmend größere Anzahl Menschen geben, für die Werte wichtig sind. Und da ist die Otto Group nachweisbar ein sehr glaubwürdiges Unternehmen, was die Werteorientierung betrifft.
Setzen Sie diese Positionierung und Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel, wenn die Otto Group auf eine Plattformökonomie setzt und sich sowohl für Investoren wie bei About You als auch für Tausende externe Partner bei der Einzelgesellschaft Otto öffnet?
Wenn man es macht, ohne darauf zu achten, wen man auf die Plattform lässt, mögen Sie recht haben. Aber wir haben schon in der Vergangenheit nur mit Lieferanten und Partnern zusammengearbeitet, die unseren Code of Conduct unterschreiben. Wir haben intensive Kontrolle in den Märkten, in denen wir die Ware beziehen – und wo wir immer wieder unangemeldet kontrollieren, ob unsere Standards eingehalten werden. Das werden wir natürlich auch mit unseren neuen Partnern so machen. Ich glaube, dass viele von den Partnern, die wir suchen und die sich bei uns melden, ganz froh sind, dass sie in einem Umfeld arbeiten können, das einen gewissen Wertekanon vertritt – und sie sich nicht mit Marktplatzanbietern herumschlagen müssen, denen Werte relativ wurscht sind.
Weshalb Berater manchmal unrecht haben, warum ein Vorstand heute kein Feldherr mehr ist, wieso Coding Pflichtfremdsprache werden muss, weshalb Erfahrung Fantasie killt – all das und mehr lesen Sie im vollständigen Interview mit Rainer Hillebrand in der aktuellen Ausgabe der absatzwirtschaft, Ausgabe 04/19, die Sie hier bestellen können.