Die Otto Group verkauft ihren Softwarespezialisten Blue Yonder und löst sich damit von einem echten „KI-Wunder“

Otto, dm oder Kaufland – sie alle nutzen die KI-Lösungen vom Softwareunternehmen Blue Yonder. Otto ist sogar Gründungsinvestor. Trotzdem wird der Karlsruher Konzern jetzt verkauft – nach Amerika.

Lieferzeiten verkürzen, die Retourenqoute senken oder den Kundenservice verbessern– davon träumt jeder Händler. Damit solche Wünsche keine Träume bleiben, engagieren zahlreiche Unternehmen in Europa und den USA Blue Yonder. Ein Softwareunternehmen, das mit dem Ziel gegründet wurde, den Predicitve-Analytics-Markt aufzurollen und den Handel mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zu revolutionieren. Jetzt ist der Verkauf des Unternehmens an JDA Software geplant, einen amerikanischer Anbieter von nahtlos integrierten Supply-Chain- und Retail-Lösungen.

Das „Baby“ der Otto Group

Das klingt erst einmal nicht sonderlich spektakulär, schließlich sind Akquisitionen mittlerweile gang und gäbe. Doch mit Blick auf die Historie von Blue Yonder steht schnell die Frage im Raum: Warum gibt die Otto Group dieses erfolgreiche Unternehmen aus der Hand? Die Otto Group erkannte nämlich als Erste das Potenzial von Blue Yonder, als sie 2005 zu einem Prognosewettbewerb einlud. Bei dem Wettbewerb mussten die Teilnehmer den Absatz des Kinderkleidungssortiments für eine ganze Saison vorhersagen. Am besten gelang das dem Unternehmen Phi-T, das vom Experimentalphysiker Michael Feindt ins Leben gerufen wurde. Drei Jahre nach dem Wettbewerb entstand zwischen Phi-T und der Otto Group schließlich das Joint Venture Blue Yonder. 2014 gesellte sich dann das New Yorker Private-Equity-Unternehmen Warburg Pincus als zweiter Investor dazu und unterstützte das Unternehmen mit einer Wachstumsfinanzierung von 75 Millionen Dollar.

Zuverlässige Prognosen sind Kernkompetenz

Doch was machte eine Zusammenarbeit mit Phi-T so attraktiv? „Wir sind Weltmeister darin, statistische Relevanz einzuschätzen. Auch beim Teilchenbeschleuniger geht es darum, zu bewerten, ob kleinste Einflüsse tatsächlich wirksam sind oder nicht. Und wir vermögen selbst mit gigantischen Datenmengen problemlos umzugehen. Zudem bestehen unsere Prognosen nicht wie in der Branche üblich aus einer einzelnen Zahl, wir können sehr akkurat ganze Wahrscheinlichkeitsverteilungen vorhersagen“, erklärte Feindt 2015 gegenüber dem Handelsjournal. Diese Fähigkeit der genauen Vorhersage und Analyse ist auch das Herzstück des späteren Joint Ventures geblieben. Seitdem wirbt Blue Yonder vor allem damit, dass sich durch die Automatisierung komplexer Entscheidungen auf Basis künstlicher Intelligenz die Gewinne und der Kundennutzen deutlich steigern lassen. Auf den Handel übertragen, ermöglicht diese Automatisierung von Entscheidungen beispielsweise eine verbesserten Prognosequalität, eine intelligente Preisgestaltung oder die Optimierung der Retouren. „Durch die Integration von KI in die Supply Chain und Merchandisingprozesse können Händler wesentlich schneller auf die Herausforderungen des dynamischen Marktes reagieren und dadurch sowohl ihren Umsatz als auch ihre Margen erhöhen. Unsere Lösungen, die von unseren hoch qualifizierten Data Scientists speziell für den Handel entwickelt wurden, liefern unseren Kunden aus dem Lebensmittel- und Modehandel sowie weiteren Handelsbereichen täglich Hunderte von Millionen Entscheidungen“, heißt es aus dem Unternehmen.

Seit der Gründung ist Blue Yonder für seine Servicelösungen vielfach ausgezeichnet worden –  wie etwa mit dem Big Data Leader Award 2016, dem IGD Award 2017 oder als Top-100-Innovator 2017.


In zwei Case-Studies können Sie nachlesen, welche Leistungen die zur Otto Group gehörenden Unternehmen Otto (hier gehts zur Case Study) und Bonprix (hier gehts zur Case Study) von Blue Yonder in Anspruch nehmen.


 „Das ist eine strategische Entscheidung“

Warum schüttelt die Otto Group das KI-Wunder nun ab? „Das ist eine strategische Entscheidung. Im Rahmen der Konzernstrategie konzentriert sich die Otto Group bekanntlich auf ihre Fokusunternehmen, zu denen zum Beispiel Otto, About You, Hermes und die EOS Gruppe gehören. Entsprechend richten wir unsere umfangreichen Investitionen aus. Im Übrigen halten wir es für absolut notwendig, die entsprechenden Kompetenzen im Bereich Künstlicher Intelligenz im Handel bei unseren jeweiligen Konzerngesellschaften selbst zu verankern. Dies ist in Teilen bereits erfolgt“, erklärt Martin Zander, Head of Corporate Communications E-Commerce bei der Otto Group. Ziel der Otto Group sei es zudem immer gewesen, Blue Yonder gemeinsam mit dem Blue Yonder-Management-Team und Warburg Pincus weiterzuentwickeln und das Unternehmen auf den nächsten großen Schritt zu weiterem Erfolg vorzubereiten. „Dieser Schritt erfordert einen strategischen Partner, mit dem die ehrgeizigen Wachstumsziele noch besser erreicht werden können. Deshalb freuen wir uns über diese großartige Partnerschaft mit JDA. Wir werden auch weiterhin eng mit Blue Yonder zusammenarbeiten“, sagt Rainer Hillebrand, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Otto Group.

Zustimmung der Wettbewerbsbehörde steht noch aus

Die Übernahme von Blue Yonder durch JDA wird vorbehaltlich der Zustimmung der Wettbewerbsbehörden voraussichtlich im August abgeschlossen. Beide Unternehmen werden sich bis zum Abschluss der Transaktion nicht weiter zu dem Erwerb äußern. Auch finanzielle Details oder eine Kaufsumme wurden nicht genannt. Gründer Feindt bleibt dem Unternehmen treu und soll die technologischen Innovationen weiter vorantreiben. Vorstandschef Uwe Weiss wird dem sogenannten Operating Committee von JDA beitreten. „Mit der globalen Ausrichtung von JDA haben wir eine hervorragende Möglichkeit, den Einsatz unserer KI-Lösungen in den größten und komplexesten Lieferketten der Welt voranzutreiben und Unternehmen dabei zu unterstützen, KI-Innovationen und automatisierte Entscheidungen in ihren Lieferketten voranzutreiben“, sagt Uwe Weiss.