Online vs. TV: Die zwei Gesichter von Edeka

Die Supermarktkette zeigt sich im Onlinemarketing von einer jungen und frechen Seite. Ihre Viral-Kampagnen setzen Maßstäbe im Lebensmittelsegment. Fürs Fernsehen und die Märkte scheinen die kultigen Testimonials aber zu schrill.
Im Netz (l./u.)gibt sich Edeka gern schrill und überspitzt, die TV-Spots sind eher brav.

Der Mann, der in der Marketingbranche mit dem Adjektiv „supergeil“ in Verbindung gebracht wird, gilt als superlangweilig. Wenn Markus Mosa in der Öffentlichkeit auftritt, dann immer wie von einem Kaufmann erwartet: feines Schuhwerk, dunkler Anzug, Hemd und Krawatte. „Die Welt“ beschrieb sein Auftreten einmal knapp: „Mehr Nüchternheit geht kaum.“

Und doch ist Mosa ein Mann der Superlative, der „König der Supermärkte“ und „Meister des Marketings“. Eben weil unter dem gewellten Haar, hinter der schmalen Rahmenbrille ein Geist der Risikofreude, mit Mut zur Empörung und Humor steckt. Irgendwie, so scheint es, ist Mosa der Rockstar unter den Supermarktchefs. Denn er gibt dem meist behäbig wirkenden Image der Supermarktkette ein anderes Gesicht: laut, schrill, provokativ. Mit „Supergeil“ und „Hyper günstig“ hat Mosa neue Maßstäbe im Marketing des Lebensmittelhandels gesetzt. Doch warum zeigt Edeka diese jugendliche Seite nur im Netz und gibt sich im TV wie auch auf den Verkaufsflächen gewohnt verhalten?

https://www.youtube.com/watch?v=IdEH_ZBv-WQ

H.P. Baxxter stimmt bei seinem Gang durch den Supermarkt nach Aufforderung anderer Kunden seinen Hit „How much is the fish?“ an und bekommt prompt die Antwort. Ein Mitarbeiter streckt seinen Kopf hinter dem Regal hervor und nennt ihm den Preis. Weitere Mitarbeiter tauchen auf und feiern mit Scooter-Krachern ihre „hyper günstigen“ Produkte. Der Spot ist Edekas jüngster Viral-Hit, der sich innerhalb der ersten Woche bereits vier Millionen Mal geklickt wurde.

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Jens Pfau, stellvertretender Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt/Alster.

Erfunden wurden die besonderen Onlinekampagnen von Jens Pfau, stellvertretender Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt Alster: „Wir wollen eine jüngere Zielgruppe ansprechen und links und rechts der klassischen Kampagne mit interessantem Content für Aufmerksamkeit sorgen.“ Pfaus Aufgabe ist es, mit vergleichsweise geringem Budget, um die Kaufkräftigen von morgen zu werben, bei denen Edeka traditionell nicht die erste Adresse für den Einkauf ist. Denn Edeka steht für ein gehobeneres Einkaufsumfeld, für Verlässlichkeit und kommt insgesamt etwas behäbig daher, sagt Dr. Stephan Telschow von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung. Er erstellt unter anderem Imagefacetten und Wertewahrnehmungen von Lebensmittelhändlern. „Edeka ist der ältere Kaufmann mit Schnauzbart, trägt weißen Kittel mit Kugelschreiber in der Brusttasche, ist ein jovialer Typ“, so der Marktforscher. „Das wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen, ist aber auch gut, weil es einen Kontrast zu vielen Mitbewerbern schafft.“

Edeka kämpft um die Gunst der jungen Kundschaft

Von Edeka angesprochen fühlen sich nachweislich ältere Zielgruppen. Mehr als 60 Prozent der Edeka-Kunden sind über 40 Jahre alt. Zum Vergleich: Konkurrent Rewe zählt rund 57 Prozent älteres Publikum. Laut der Markt-Media-Studie „best 4 planning 2014“  von der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung liegt Edeka in der Zielgruppe 20 bis 39 Jahre signifikant hinter der Konkurrenz. Der Index gibt Auskunft über die Präsenz verschiedener Kundengruppen. Mit einem Wert von 98 beziehungsweise 108 in den Zielgruppen 20 bis 29 und 30 bis 39 fährt Rewe im Verhältnis zur Gesamtkundschaft ordentliche Ergebnisse ein. Edeka ist mit Werten von 85 beziehungsweise 91 unterrepräsentiert. Ein Zustand, mit dem das Unternehmen nicht zufrieden scheint. 

Wohl deshalb hat sich Edeka-Vorstand Mosa Unterstützung von Jens Pfau und seinem Team geholt. Dabei zeigt Edekas oberster Marketer, dass er die kaufkräftige Zielgruppe von morgen fest im Blick hat. Vor den viralen Erfolgen begann aber erst mal eine Gratwanderung. Denn der gewissenhafte Manager, der eigenen Aussagen zufolge jede nationale Marketingaktion am Ende über seinen Tisch gehen lässt, ließ seine Kreativagentur erst mal machen. An den Drehtagen zur „Supergeil“-Kampagne war kein Edeka-Verantwortlicher anwesend. Bis das finale Produkt stand, gaben Mosa und seine Mitarbeiter die Kontrolle ab. Eine Strategie, die sich beweisen sollte. „Supergeil“ wurde zum Erfolg. Was als günstig gedachte Onlinewerbung begann, wurde von nahezu allen Medien aufgegriffen, selbst international wurden Liechtenstein und der „supergeile Dorsch“ bekannt. Ein sensationeller Effekt, sind die Ausgaben für Onlinewerbung – eigenen Aussagen aus 2013 zufolge ein einstelliger Millionenbetrag – im Vergleich zum gesamten Markenbudget doch relativ gering.

https://www.youtube.com/watch?v=jxVcgDMBU94

Das mediale Echo zahlte vor allem auf die Werbewahrnehmung der Supermarktkette ein. Das Video, das bis heute mehr als 13 Millionen Mal geklickt wurde, brannte sich in den Köpfen der jungen Zielgruppe ein. Laut YouGov-Markenmonitor war die Supermarktkette bei den unter 30-Jährigen kurz nach dem Erscheinen des Spots so präsent wie im Rest des Jahres nicht mehr und erreichte mit 48 Prozent im März 2014 ihren Höhepunkt. Werte, die Pfau sowie Mosa offenbar anspornten. Mit der Kassensymphonie streuten die Marketingstrategen in der Vorweihnachtszeit einen weiteren Viral-Hit.  37 Prozent der Befragten konnten sich zu diesem Zeitpunkt an Edeka erinnern. „Allein in 2014 haben wir mit ‚Supergeil‘ und der ‚Kassensymphonie‘ rund 60 Millionen   Views über Facebook und Youtube generiert“, resümiert Pfau. Mit H.P. Baxxter als Testimonial schoss die Markenwahrnehmung bis Mitte Januar noch mal um sechs Prozent nach oben. „Die aktuellen Kampagnen scheinen bei Alt und Jung gut anzukommen, denn die Deutschen reden derzeit überwiegend positiv über die Supermarktkette“, erklärt Nikolas Buckstegen von YouGov. Dessen Index zufolge liegt Edeka mit 19 Punkten an der Spitze der Lebensmitteleinzelhändler. Konkurrent Rewe liegt fünf Punkte darunter auf Platz 2.

Marke muss den Erwartungen des Kunden gerecht werden

Um diese Ergebnisse zu erreichen, war Edeka bereit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Wichtigste Komponenten für die Internetschlager waren das Überraschungsmoment sowie die richtige Dosierung an Selbstironie. Wenn ein älterer Herr mit Sonnenbrille in Milch badet oder sich eine Techno-Ikone vom Kassenband in die Menge stürzt, als wäre es eine Konzertbühne, hat es etwas Weltfremdes, was Andreas Baetzgen, Professor für Strategische Kommunikation und Branding an der Hochschule Stuttgart, bestätigt: „Der Kontrast wurde ganz bewusst gesetzt und letztlich nicht nur als lustig, sondern auch als mutig empfunden. Das hat den Kunden beeindruckt.“  „Obwohl diese Spots mit dem vertrauten Image von Edeka brechen, finden Experten doch auch hier die gleiche Handschrift wieder“, so Telschow. „Wir denken an die Fleischverkäuferin, die auf das Gramm genau Wurst abwiegt oder den aktuellen Spot, in dem sich der Sensenmann nach gesunder Ernährung erkundigt.“ Diese Szenen entstammen der übergeordneten Markenkampagne „Wir lieben Lebensmittel“. „Dieses leicht Schrullige, etwas Absonderliche wurde bei ‚Supergeil‘ und ‚Hyper günstig‘ noch mal überspitzt.“

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Trotz der Parallelen entpuppt sich der Supermarkt dem jungen Kunden nicht als Techno-Schuppen, in dem die „Superuschi“ wartet oder es „super chillig“ zugeht. Spätestens am Eingang legt Edeka dieses zweite Gesicht wieder ab, gibt sich wie gewohnt klassisch und gediegen. Weshalb das so ist, wollte der Konzern auf Anfrage nicht erklären.

Marktforscher Telschow gibt für den konservativen Auftritt im Geschäft folgende Erklärung: „Vielleicht sind die Kampagnen für ältere Kunden zu sehr vom vertrauten Auftreten von Edeka entfernt, zu schrullig und verstörend.“ Trotz allen Mutes sei Vorsicht geboten, um den existierenden Kundenstamm nicht zu verprellen. Baetzgen unterstützt: „Letztlich ist diese Onlinewelt so schrill, übertrieben und konträr, dass der Kunde nicht davon ausgehen kann, dass das Einkaufserlebnis genauso ist. Wichtiger ist tatsächlich, dass die Marke dem Anspruch der Dachkampagne ‚Wir lieben Lebensmittel‘ und den so geweckten Erwartungen des Käufers gerecht wird.“

Für Edeka-Chef Mosa geht es aber nicht alleine um das Erreichen junger Zielgruppen. Pfaus Aufgabe war es auch, die Eigenmarken auf neuem Wege zu präsentieren – ein Wachstumsmarkt für die Branche. Auf ein Viertel beziffert Edeka den Anteil der Eigenmarken im Sortiment. Vergangenes Jahr erklärte Mosa die Expansion, weil Herstellermarken Innovationen vermissen ließen. Baetzgen, früher Strategieplaner bei Jung-von-Matt-Konkurrent
Scholz & Friends, hält dagegen: „Innovationsmangel halte ich für ein Scheinargument. Es ist eine Kampfansage.“  Für ihn liegen die Gründe vielmehr in höherer Umsatzrendite, Differenzierung vom Wettbewerber, aber auch Profilierung gegenüber Herstellermarken.

Lebensmittelketten bauen Geschäft mit Eigenmarken aus

Während das Umsatzwachstum der Herstellermarken bei etwa einem Prozent liegt, locken Eigenmarken mit dem Zehnfachen. Der Handel mit eigenen Produkten macht mittlerweile 40 Prozent des Gesamtumsatzes im Lebensmitteleinzelhandel aus. Edeka geht sogar noch einen Schritt weiter: Statt die Ware einzukaufen und ein Etikett aufzukleben, produziert Edeka selbst, hat eigene Fleischwerke und Bäckereien. Konkurrenz, die Hersteller nicht gerne sehen. Als Edeka vor zwei Jahren mit Comedian Kaya Yanar im TV für Eigenprodukte warb, hagelte es bereits Kritik von Seiten der etablierten Marken, erinnert sich Baetzgen. Edeka ließ sich davon offensichtlich nicht beirren, platziert seine Produkte in nahezu jedem Werbespot. Die zusätzliche Strahlkraft der Viral-Erfolge scheint Hersteller wieder auf den Plan zu rufen – und es deutet sich ein Kompromiss an: Denn Edeka legte mit einem Liechtenstein-Clip nach. Anders als noch vor einem Jahr liegt beim Spot „Mann zieht blank“ der Fokus auf einem Rasierer der Marke Gillette. Für Stratege Baetzgen eine nachvollziehbare Aktion: „Handel und Hersteller sind gut beraten, wenn sie sich nicht gegeneinander ausspielen. Eine strategische Partnerschaft ist für beide Seiten erfolgsentscheidend, insofern ist der Schritt konsequent und klug.“