Bis 16.30 Uhr war die Welt in den Messehallen zu Hamburg in Ordnung. Hatte es in den letzten Jahren immer wieder gravierende organisatorische Reibungsverluste gegeben, die vor allem dem schnellen Wachstum geschuldet waren, so hatte man bis zum Nachmittag alles gut im Griff. Dann aber prallten zwei Welten aufeinander. Während die Partygemeinde schon damit begann, sich auf die abendlichen Konzerte einzustimmen, wollte gleichzeitig ein Großteil des Fachpublikums der Debatte um die anstehende ePrivacy-Richtlinie zwischen EU-Kommissar Andrus Ansip und Springer-Chef Mathias Döpfner lauschen. Beides prallte in Halle A4 aufeinander und brachte das Festival kurzzeitig komplett zum Stillstand. Riesige Warteschlangen begehrten Einlass vor den Hallen. Die Security stellte Absperrgitter auf. Und viele Besucher drehten frustriert ab.
Was für ein Rockfestival normal ist, mutet bei einer Fachveranstaltung für Onlinemarketing merkwürdig an. Die Auslagerung der Diskussion auf einer der anderen Bühnen wäre vermutlich die bessere Wahl gewesen, aber fakt ist: Die OMR leidet nicht darunter, dass keiner kommt, sondern dass sie zu beliebt ist.
DeepDives statt Buzzword-Bingo
Und das zu Recht. Der erste Tag bot deutlich mehr Online-Marketing fürs Geld, als es die DMexco leistet. Die Veranstalter rund um Philip Westermeyer haben das etwas spröde Hamburger Messegelände gut im Griff. Der Festival-Einlass am Morgen funktionierte fast reibungslos. Die unterschiedlichen Workshop-Räume – bis zu acht parallele Sessions – waren sehr gut ausgeschildert und räumlich so voneinander getrennt, dass man zwar gut wechseln konnte, sich die Teilnehmer aber nicht in den gemeinsamen Wartebereichen auf den Füßen standen.
Die gelöste und arbeitssame Atmosphäre wurde auch dadurch unterstützt, dass sich die Veranstaltungsmitarbeiter große Mühe gaben, die Besucher gut zu betreuen. Es gab ein sehr entspanntes Wartelisten-Management: Wenn zur jeweiligen Session nicht alle vorangemeldeten Besucher kamen, wurden wartende eingelassen. Kaum ein Teilnehmer der nicht das sehen konnte, was er wollte.
Inhaltlich kann die OMR das Rad auch nicht ständig neu erfinden. Die Rede ist viel von Bots, von Automatisierung und von Künstlicher Intelligenz. Google war am ersten Tag sehr stark präsent und positionierte sich unter anderem gegen Amazons Alexa. Neue Erweiterungen bei den Google Actions (den „Skills“ für den Google Assistant) wurden vorgestellt. Es deutet sich an, dass hier eine neue Form der „Suchmaschinenoptimierung“ entstehen wird, wenn die Unternehmen beginnen, ihre bereits bestehenden Inhalte so aufzubereiten, dass sie auch via SmartSpeaker oder Sprachsuche zugänglich sind.
„Gute Personalisierung ist echt harte Arbeit“
Zahlreiche der Masterclasses widmeten sich Themen, die schon länger auf der Agenda der Marketer stehen. Das Thema Echtzeit-Personalisierung steht ganz oben und angenehmerweise präsentierten die Workshop-Leiter eben nicht nur die letzte CuttingEdge-Technologie sondern konnten durchaus differenzieren. Gregor Wolf von Smart Digital: „Gute Personalisierung ist echt harte Arbeit. Das lohnt sich meistens, aber man muss sehr genau hinschauen, was die Nutzer wollen und vor allem, was ein Unternehmen kann.“ Wolf wollte eigentlich eine große Fallstudie von der Personalisierung bei VW zeigen. Doch der Konzern trat nicht an und gab die Präsentation nicht frei. Auch das ein gutes Zeichen für die Rockstars: Die Öffentlichkeit schaut genau hin, was in Hamburg gesagt wird.
Döpfner versus Andrus Ansip
Und sie war enttäuscht, von dem, was nicht gesagt wurde, denn Andrus Ansip ging praktisch auf keinen der Angriffe von Döpfner fachlich ein. Döpfner hatte sich erst letzte Woche auf das Panel setzen lassen und wurde nicht müde zu betonen, dass ePrivacy das Gegenteil macht von dem, was eigentlich geplant war, nämlich die Macht von Google und Facebook zu begrenzen. Tatsächlich befeuert ein faktisches Cookie-Verbot die Geschäftsmodelle der GAFA, die ja darauf basieren, dass der User sich freiwillig einloggt oder automatisch eingeloggt ist und mit dem LogIn auch seine Zustimmung zum Tracking gibt. „Warum sollte die europäische Industrie das nicht auch hinbekommen“, ließ der EU-Kommissar die Anwürfe an sich abprallen. Das Publikum hatte zwangsläufig den Eindruck, dass sich Ansip der Tragweite der Richtlinie für die Digitalindustrie in keiner Form bewusst ist.
So ging ein toller erster OMR-Tag mit einem leicht schalen Beigeschmack zu ende. Dafür, dass die EU-Kommission schweigt, kann aber das Festival nichts. Man hat zumindest für den ersten Tag einen guten Job gemacht. Den Ausfall im Livestream kann man verkraften. Reibungsloses WLan gibt es sowieso nie. Aber dafür gibt es in Hamburg zwischen den Hallen HipHopper, Shantie-Chöre und Tanzgruppen. Und in den Hallen Hektoliterweise Bier und donnernde Beats. Arbeiten und Feiern geht auf dem OMR-Festival ganz gut zusammen.