Nieselregen über der Elbe, 7.45 Uhr die erste Fähre, 8.45 Uhr Veranstaltungsbeginn und die Hütte ist voll. Was heißt da Hütte: Angekündigt waren 2500 Teilnehmer bei den Online Marketing Rockstars 2015 im Musical-Theater König der Löwen. Die Zahl war nicht zu verifizieren, aber die Zuschauer saßen auf den Treppenstufen und in den Gängen, weil kein Platz mehr frei war. So viel Aktivität in der sonst morgens eher gemächlich erwachenden Agenturstadt Hamburg schafft sonst kein Event. Das ließ sich auch Bürgermeister Olaf Scholz nicht entgehen und kam zu einem Begrüßungswort.
Frühzeitig neue Trends entdecken
Und dann startete des Event mit einem echten Paukenschlag. Gary Vaynerchuk, der berühmte Online-Weinhändler brannte ein Feuerwerk auf der Bühne ab und mahnte die Marketer zu mehr Experimentierfreude und Risikobereitschaft.
Seinen Vortrag begann er sogleich mit der Provokation: „Das Marketing ruiniert alles“. 1997 hatte er frühzeitig einen Email-Verteiler aufgebaut von 240 000 Empfängern und konnte sich über eine sensationelle Öffnungsrate von über 90 Prozent freuen. Heute schreibt er an 1,4 Millionen Menschen und nur noch ein Drittel der Mails werden geöffnet. „Was ich damit sagen will: Es ein natürlicher Prozess ist, dass das Marketing versucht, einen etablierten Mechanismus auszubeuten, sobald klar ist, dass er sich etabliert hat. So ist die Bannerblindheit entstanden und deshalb spulen TV-Zuschauer in den Werbepausen vor.“
Wer gutes Marketing machen will, müsse daher frühzeitig neue Trends entdecken – und hier mutig genug sein, zu investieren. „Das Spiel ist doch uralt. Es geht um Arbitrage. Als Google-Adwords rauskam, kaufte ich den Suchbegriff „Wein“ für fünf Cent pro Klick und hatte ihn ein halbes Jahr für mich, bevor ich überboten wurde“. Aktuell sieht Vaynerchuk in Instagram und Snapchat als Online-Marketing-Kanal das spannendste Feld.
Kreativität statt Zahlen
Sodann entflammte sein Vortrag in einem Appell für besseres Marketing. Aktuell werde viel zu viel über Zahlen diskutiert. Emotionen und Kreativität blieben dabei auf der Strecke, obwohl diese letztlich über den langfristigen Kundenwert entscheiden, so Vaynerchuck: „Sonst hätte Groupon längst alles weggeschwemmt.“
Der New Yorker macht die Tendenz zur Überbetonung der Zahlen an der Entwicklung von Instagram fest. Das schnelle organische Wachstum habe auch damit zu tun, dass die Marketer den Kanal noch kaum für sich erkannt haben. Und das liege, so Vaynerchuck, vor allem daran, dass es keine messbaren Links nach draußen und folglich keinen konkreten Handlungsaufruf gibt.
Aus dem gleichen Gedanken resultiert sein zweites Statement: „Ich verstehe nicht, warum Marketing-Leute immer nach Breite fragen, nach Reichweite, dabei geht es doch gerade im Zeitalter von Social Media mehr um Tiefe“. Der Experte meint wahrzunehmen, dass in den Agenturen neues tatsächlich neues Silodenken entstanden ist: die einen, die nur nach den Zahlen schauen und die anderen, die nur romantisch auf dem Thema Kreation beharren. Dabei gehe es um die richtige Mischung aus beidem.
Fehler zulassen und davon lernen
In seiner eigenen Praxis – so Vaynerchuk – begebe er sich in Klausur, sobald ihm ein Thema begegnet, dass interessant erscheint. Vor zwei Jahren widmet er sich beispielweise 41 schlaflose Nächte lang dem Thema SocialCam: einem neuen Videoformat, das vor allem von Facebook beworben wurde. Vaynerchuck aber lag falsch. So schnell es gekommen war, so schnell ging SocialCam wieder. Neun Monate später aber entstand die Mikro-Videoplattform Vine und alles, was er vorher über SocialCam gelernt hatte, konnte er vom Start weg bei Vine einsetzen.
Mobile First
Zum Schluss mahnte er die anwesenden Marketer, in allem nur noch „Mobile First“ zu denken. Alles andere gehöre nicht mehr in die Lebenswelt 2015. Die mobile Bannerwerbung hält er dabei für ein völlig falsch verstandenes System. Vaynerchuk erntete viele Lacher, als er eine Anekdote erzählte, wie er versuchte Sportinformationen auf dem Smartphone abzurufen. Ein Samsung-Banner störte ihn auf dem Weg zu ESPN online und versehentlich klickte er mehrfach das Banner, statt es mit dem „x“ zu schließen. „Zuhause bei Samsung sah das nach super Klickraten aus, ich aber war so genervt, dass ich meine Frau anrief und ihr sagte, dass wir nie wieder irgendein Gerät von Samsung kaufen werden. Außerdem habe ich das getwittert, Fotos auf Instagram gestellt und erzähle das weltweit bei jeder Konferenz, auf der ich bin. Der Return-on-Investment muss für Samsung furchtbar sein, aber die fragen mich immernoch nach Kooperationsideen“.