Online führen mit Gefühl

Jahrelang wurde das Thema "Usability" auf reine Funktionalität reduziert. Neue Studien beweisen: Wer die richtigen Gefühle beim Internetnutzer auslöst, kann sich auch Fehler in der Navigation leisten. Denn die User kommen dennoch ans Ziel.

Von Frank Puscher

Usability ist, wenn der Nutzer den Button, den er klicken soll, findet, antizipieren kann, was dieser macht, und in der Lage ist, ihn zu klicken. Was banal klingt, ist eine Königsdisziplin guten Webdesigns. „Ein guter E-Mail- Newsletter zeichnet sich dadurch aus, dass die Links so viel Leerraum zwischen sich haben, dass man sie mühelos mit dem Finger antippen kann“, erklärt Martin Bucher, Geschäftsführer von „Inx-Mail“, mit Blick auf die mobile Nutzung von E-Mail.

Entscheidend ist die User-Experience

Die schiere Betrachtung der Funktionalität eines Onlineangebots ist unterdessen nur ein Schritt, um einen Nutzer in einen wertvollen Kontakt oder in einen Käufer zu verwandeln. Zu harten Fakten, wie der Frage, ob ein Werbemittel auf einem Rechner abgespielt werden kann, kommen weiche, aber kaufentscheidende Faktoren hinzu. Etwa Vertrauen. Vermittelt ein Webangebot dem Nutzer keine Sicherheit, so zweifelt er an seiner Kaufentscheidung. Die Usability-Experten sprechen von der User-Experience, also der Gesamtheit der Erfahrungen, die Nutzer mit einem Anbieter, seinen Produkten und der entsprechenden Website machen.
Hierzu zählen Informationen aus dritter Hand, etwa aus Testberichten oder von Freunden. Thorsten Wilhelm vom Usability-Dienstleister „E-Result“ hat eine Reihe von Onlineshops hinsichtlich deren emotionaler Aktivierung getestet. In Shops, bei denen mit freundlichen Farbwelten oder großen Bildern oder gar Videos gearbeitet wurde, stieg die Laune der Probanden an. Gleichzeitig sank die Abbruchrate. Wilhelms Fazit: „Gutgelaunte Nutzer kaufen mehr.“

Im Shop von Esprit hat er eine besondere Aktivierung festgestellt: Unmittelbar nachdem der Nutzer ein Produkt in den Warenkorb gelegt hat, erscheint die sogenannte Warenkorbzwischenseite. Sie dient aus technischer Sicht als Feedback nach dem Motto: „Das Hinzufügen zum Warenkorb hat funktioniert.“ Eine regelrechte Euphorie bei den Probanden stellte Thorsten Wilhelm an dieser Stelle fest. Die vollzogene Kaufentscheidung stimmte die Nutzer derart fröhlich, dass sie hier geneigt waren, weitere Produkte anzuschauen oder eventuell zu kaufen. „Die Warenkorbzwischenseite ist geeignet, um Crossselling zu betreiben. Die Nutzer haben hier eine rosarote Brille auf“, fasst der Experte zusammen.

Emotionen mittels „Lügendetektor“ messen

Für die Messung der Emotionen nutzt Thorsten Wilhelm eine Art „Lügendetektor“. Dieser misst den Leitwiderstand der Haut. Ein hoher Widerstand entsteht durch eine Erhöhung der Hautfeuchtigkeit, und diese wiederum entsteht durch emotionale Aktivierung. Auch Sabrina Duda von der Berliner Agentur „Eyesquare“ findet immer wieder Verbesserungspotenziale im Bereich der emotionalen Ansprache. Sie betreut unter anderem Finanzdienstleister, für die der Aufbau von Vertrauen durch die Webseiten enorme Bedeutung hat. Ein professionelles Webdesign ist ausschlaggebend für den so wichtigen ersten Eindruck.


Hotelzimmer-Buchung als Wettbewerb: Das Portal „Booking.com“ inszeniert Gefühle bei Internetnutzern meisterlich. Das Vertrauen von und
die gesteigerte Relevanz für Kunden sind Teil der Funktionalität.

Persönliche Ansprechpartner fördern die Emotionalität von Angeboten

Banken, Versicherer und andere Dienstleister können die Emotionalität ihres Angebots fördern, indem sie persönliche Ansprechpartner für ihre Kunden in den Mittelpunkt stellen. Sabrina Duda stellte fest, dass hier die Bildwahl einen großen Unterschied macht: „Männer mit Bart gehen gar nicht“, mahnt die Wahlberlinerin. Selbst die Blickrichtung im Porträtfoto habe eine Bedeutung: „Unsere Probanden fanden es wichtig, dass ihnen die Ansprechpartner vom Bild aus entgegenschauen. Ein Blick zur Seite vermittelt ihnen den Eindruck, nicht so wichtig genommen zu werden.“
Derartige Reaktionen testet die „Eyesquare“-Expertin durch ein Assoziationsverfahren. Den Probanden werden dazu Bilder vorgelegt, und sie
müssen dann dazu passende abstrakte Begriffe finden, die die ausgelösten Gefühle beschreiben.
Herstellung und Optimierung von Bildwelten sind unterdessen mit erheblichem Aufwand verbunden. Die einfachere Optimierungsmethode widmet sich den Texten. Rolf Saim Alkan führt eine Agentur, die sich mit der – teils automatisierten – Verbesserung der Onlinetexte befasst. Im Fokus stehen zunächst die Produkt- und Teaser-Texte im Onlineshop. Sie sollen vor allem das jeweils eine emotionale Kernbedürfnis
des Nutzers ansprechen.

Dieses Kernbedürfnis variiert je nach Produkt und Kontext. Bei kleineren, preiswerteren Produkten appelliert der Text an die (unterbewusste) Spontanität. Im Mittelpunkt steht die Verbesserung des Status, den der Kauf eines Produktes auslösen kann. In einem früheren Test optimierte Rolf Saim Alkans Agentur „Aexea“ den Onlineshop „Der gepf legte Mann“. Der Shop nutzt die Namen von Stilikonen wie George Clooney, David Beckham oder Orlando Bloom, um die Seiten emotional aufzuladen. Die Pf legeprodukte werden mitunter blumig umschrieben, ähnlich wie bei der Präsentation guter Weine. „In der frischen Kopfnote dominieren Lavendel, Thymian, Bergamotte und Minze, während Sandelholz und Moos für die männlich-aromatische Herznote verantwortlich sind“, heißt es beispielsweise in der Ansprache für alle interessierten Männer.

Zweifel am Produkt werdenn durch den „Reason Why“ ausgeräumt

Bei hochpreisigeren Produkten genügt allerdings die spontane Assoziation nicht als Kaufanreiz. Der potenzielle Käufer fragt sich dann nämlich, warum er mit 109 Euro relativ viel für einen Nassrasierergriff ausgeben soll. Dieser Zweifel muss durch den „Reason Why“ ausgeräumt werden. Zum Beispiel dadurch, dass man die Seltenheit und Exklusivität des verwendeten Holzes in den Vordergrund hebt.
Alkan empfiehlt den Sitebetreibern, Passivkonstruktionen zu eliminieren und auf Negativbegriffe zu verzichten. Ein Kosmetikprodukt ist nicht einfach „gut gegen Hautunreinheiten“, sondern es sorgt vielmehr für „schönere, glattere, gepflegtere Haut“.
Die emotionale Optimierung folgt weiterhin klassischen Spielregeln des Webdesigns. Und die oberste Regel heißt „testen“. Rolf Saim Alkan räumt allerdings ein, dass es auch im Onlineshop „Der gepf legte Mann“ zu Verlusten in der Konversion kam. Insbesondere dann, wenn beispielsweise die falschen Begriffe optimiert oder das falsche emotionale Kernbedürfnis zugrunde gelegt wurden.
Tatsächlich ist eine der wichtigsten Fragen diejenige, wer und auf welcher Grundlage die Alternativen für einen A-B-Vergleichstest entwirft. In den vergangenen Jahren hat die Usability-Forschung immer wieder belegen können,
dass der einzelne Webdesigner oder das Marketing insgesamt mit ihren Annahmen über die Bedürfnisse der Nutzer falschliegen können.

IBM-Studie belegt: Die Nutzer wollen Schnäppchen, keine Informationen

Eine Studie von IBM zur Frage, was die Nutzer sich vom Fan-Dasein auf Facebook erhoffen und was die Unternehmen ihnen unterstellen, erbrachte gewissermaßen diametral entgegengesetzte Resultate: Die Nutzer wollten Schnäppchen. Die Unternehmen meinten
aber, dass sie Informationen wollten. Wer aus dem Bauchgefühl heraus optimiert, kann gewaltig danebenliegen. Am Beispiel des Modeladens „Frontlineshop“ konnte dies André Morys vom E-Commerce-Optimierer „Webarts“ eindrucksvoll darstellen: Drei Produktabbildungen von Schuhen wurden getestet. Jede für sich war auf den ersten Eindruck frei von „Fehlern“ und durchaus geeignet. Tatsächlich aber zeigte der Schuh vor einem stylischen schwarzen Hintergrund eine um satte 79 Prozent verbesserte Verkaufsrate im Vergleich zur klassischen Darstellung vor weißem Hintergrund.
Ein ähnliches Beispiel zitiert Philipp Winklhofer vom Baur-Versand: Auf der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten im Onlineshop dachte man kurzfristig darüber nach, den blätterbaren Flash-Katalog abzuschaffen. Sowohl Flash als Technologie als auch das Umblättern von „Seiten“ mit der Maus mag für den erfahrenen Webdesigner anachronistisch wirken.

Eine Betrachtung der Verweildauern und der Konversionsraten lehrte Philipp Winklhofer schnell das Gegenteil: „Die Kataloge haben eine ansehnliche Konversionsrate, da sie aber in der Herstellung extrem günstig sind, ist das ein absoluter ‚No-Brainer‘.“
Will sagen: Die Flash-Filmchen bleiben drin. Und mehr noch: Derart wachgerüttelt analysierte Winklhofer auch noch, welche Kataloge besser funktionierten
als andere. Das Ergebnis war eindeutig: „Schön designte Kataloge mit viel Freiraum zwischen den Produkten funktionieren deutlich besser.“ Es macht eben mehr Spaß.

Weiterführende Links:
Wie Social Media beim Texten helfen
kann: www.marketingsherpa.com/
sample.cfm?ident=31617

Die subtile Kunst der Verführung: www.slideshare.net/stephenpa/
the-subtle-art-of-seduction

Stimmungen versus Emotionen –
eine Analyse: www.usabilityblog.de/2011/11/
stimmung-und-emotion-wo-liegendie-
unterschiede-und-wie-lassen-siesich-
beeinflussen/