Der erste große Kunde war BMW. Der Autobauer wollte sein Elektromodell i3 so nachhaltig wie möglich ausstatten, auch bei den Sitzbezügen. Da kam die Innovation aus dem Herzen Schwabens gerade recht: ein Ledergerbstoff, der aus Olivenblättern gewonnen wird. Zertifiziert kreislauffähig, hautfreundlich und garantiert ohne Chromsalze, wie sie in vielen konventionellen Gerbstoffen stecken. Das Produkt, das so entsteht, heißt Olivenleder. Thomas Lamparter nennt es „ein Geschenk der Natur“.
Thomas Lamparter ist Head of Sales der kleinen Reutlinger Firma Wet-green und selbst Spross einer Gerberdynastie. Den natürlichen Gerbstoff, der am ehemaligen Lederinstitut in Reutlingen erfunden wurde, vermarktet er seit fast zehn Jahren. „Wir waren früh dran“, sagt Lamparter, Cradle-to-Cradle war damals nur wenigen Unternehmen ein Begriff. Doch inzwischen setzen nicht nur BMW und andere Autofirmen das Olivenleder im Premiumsegment ein, sondern auch Marken wie Hugo Boss, Marc O’Polo oder der Kinderschuhproduzent Richard’s Boots.
Der Rohstoff ist im Überfluss vorhanden, weil er als Abfall bei der Olivenernte anfällt: Blätter machen rund zehn Prozent der Erntemasse aus. Verarbeitet wird er in Deutschland, von der auf Pflanzenextrakte spezialisierten Martin Bauer Group, zu der Wet-green inzwischen gehört. „Wir könnten 40 Prozent des Weltledermarkts abdecken“, sagt Lamparter. Noch sind es weniger als ein Prozent. Was auch daran liegt, dass die nachhaltige Lösung, wie so oft, die etwas teurere Lösung ist, schon weil sie bei Skaleneffekten nicht mithalten kann – vorerst.
Blätter, Trester, Abwasser – wertvolle Rohstoffe für Lebensmittel oder Kosmetika
Kreislaufwirtschaft in der Olivenölindustrie ist ein ebenso spannendes wie unterschätztes Thema. Eine 2021 veröffentlichte wissenschaftliche Studie, die erstmals zirkuläre Geschäftsmodelle in der Olivenölindustrie untersuchte, kam zu dem Schluss: „Jede Form von Abfall und alle Nebenprodukte der Olivenverarbeitung können genutzt werden.“ Aufgelistet werden 41 Praxisbeispiele, von Seife und Shampoo über Messergriffe und bis zu Grillbriketts und Pellets. Und das ist erst der Anfang: „Das Potenzial ist durchaus noch nicht ausgeschöpft“, sagt Mechthild Donner, eine der Autorinnen der Studie, die am französischen Nationalinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt INRAE forscht.
Allein in den Mittelmeerstaaten Spanien, Italien, Griechenland, Tunesien, Marokko und Frankreich werden jährlich rund 2,3 Millionen Tonnen Olivenöl produziert, auf einer Fläche von fast acht Millionen Hektar. Was nach Ernte und Verarbeitung übrig bleibt, sind nicht nur Blätter und Äste. Sondern auch Olivenkerne, ausgepresstes Fruchtfleisch und veröltes Wasser. Die Reststoffe werden heute meist verbrannt, auf Deponien entsorgt oder einfach in die Landschaft gekippt. Einheitliche Vorschriften für den Umgang mit Produktionsabfällen, die doch eigentlich Wertstoffe sind, gebe es nicht, sagt Donner: „Derzeit ist die Gesetzgebung ein einziges Durcheinander.“
Dabei eignen sie sich für eine erstaunliche Vielzahl von Produkten: zum Beispiel Tierfutter, Dünger, Zusätze für die Lebensmittelindustrie, Bioenergie, kunsthandwerkliche Produkte, gereinigtes Wasser. Das größte Wertschöpfungspotenzial aber besteht in der Kosmetik- und Pharmabranche. Das liegt daran, dass Polyphenole, die das Gesunde am Olivenöl ausmachen und jung halten sollen, auch in den Rückständen nach der Pressung zu finden sind.
Eine kleine Ölmühle am Gardasee wird zum Pionier der neuen Zeit
Das ist auch eine Chance für Familienbetriebe, wie das Beispiel OlioCru zeigt, einer Ölmühle mit angeschlossenen Olivenplantagen oberhalb des Gardasees. Eigentümer Mario Morandini begann sich schon vor Jahren mit Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen und stellte einen Teil der Produktion um. Inzwischen ist daraus ein Kosmos unterschiedlicher Produkte entstanden. Etwa die hauseigene Consumer-Marke, YouvOn, die neben Health Food auch Kosmetika wie Cremes und Öle umfasst. Ihr Grundstoff stammt aus Olivenkernen, die aufgespalten werden: Während der holzige äußere Teil als Brennstoff dient, wird der Samen zu hochwertigem Öl verpresst, das – so das Produktversprechen – „dank des Gehalts an Polyphenolen und Vitamin E die Haut hydratisiert und den Alterungsprozess verzögert“. Das Sortiment vertreibt OlioCru online.
OlioCru beschränkt sich jedoch nicht aufs B2C-Geschäft. Der entsteinte Oliventrester wird in Olivenpulver verwandelt, das ebenfalls Polyphenole, Vitamine und Mineralstoffe enthält. „Wir verkaufen es als Gesundheitszusatz für die Lebensmittelindustrie“, sagt OlioCru-Produktmanagerin Anna Zotta. Sie zeigt Beispiele, etwa Cracker, Nudeln, Kekse und Grissini. Mit Kostproben wie diesen fuhr sie dieses Jahr auf die Nürnberger Messe Biofach.
Aber aller Anfang ist schwer, da macht Zotta die gleiche Erfahrung wie Lamparter mit seinem Olivenleder. „Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist großartig, alle mögen sie“, sagt die Italienerin. „Aber weil die Produkte ganz neu sind, ist es schwer, sie auf dem Markt zu platzieren.“ Perspektivisch sieht sie zirkuläre Geschäftsmodelle gleichwohl als einen Weg, durch den gerade kleine Ölmühlen profitabler werden können. „Wir sind Pioniere. Diejenigen, die uns nachfolgen, werden es leichter haben“, glaubt sie.
Ökologisch sind die Produkte top – aber vielfach noch ein Nischenprodukt
In der Agrarwirtschaft ist das Kreislaufprinzip alt und neu zugleich. Auf traditionellen Bauernhöfen herrscht seit jeher das Gebot, Abfälle als Rohstoffe anzusehen und möglichst viel wiederzuverwenden. „Durch Spezialisierung und Intensivierung der Landwirtschaft ist das in Vergessenheit geraten“, sagt Donner. Eine klimabewusste Generation nehme den Gedanken neu auf, viele kleine Start-ups seien in den vergangenen Jahren entstanden. Und auch Traditionsbetriebe sehen zunehmend Chancen, wie das Beispiel OlioCru zeigt.
Doch dass aus den mutigen Avantgardisten eine breite Bewegung wird, ist keineswegs ausgemacht. Die Olivenölindustrie ist fragmentiert; viele Plantagen und Ölmühlen sind so klein und abgelegen, dass es schwierig ist, sie in eine professionelle Wertschöpfungskette einzubeziehen. Hinzu kommt: Viele Techniken zur Weiterverarbeitung sind teuer. Wenn es keine Subventionen gibt und Verbraucher*innen nicht bereit sind, einen Aufpreis zu zahlen, bleiben Olivenprodukte ein Nischenangebot für Besserverdienende.
So wie die Grillbriketts, die Attila Merth vertreibt, Geschäftsführer der Firma Fruteg im hessischen Weiterstadt. Sie heißen „OlioBrics“ und bestehen aus Trester, der zunächst zum Ausbrennen von Kalköfen verwendet und danach mit Stärke und Wasser zu Briketts gepresst wird. Dritte Nutzungsstufe also, ökologisch top, noch dazu stimmt offenbar die Brennqualität: Von der Zeitschrift Ökotest jedenfalls gab’s im vergangenen Jahr ein „Sehr gut“.
Trotzdem bleibt der Durchbruch aus, vor allem im stationären Einzelhandel. Merth weiß auch, warum: „Es ist ein hochpreisiges Produkt.“ Schon im vergangenen Jahr kostete ein Drei-Kilo-Sack 7,99 Euro, jetzt hat der griechische Lieferant erneut die Preise erhöht. Wer kauft das, wenn die gleiche Menge Holzkohle bei Aldi für die Hälfte zu haben ist? Merth klingt leicht frustriert, als er sagt: „Ich bin total überzeugt von dem Produkt, aber mir fehlt die Fantasie, wie ich es an den Mann bringen soll.“ Trotzdem hat er wieder bestellt, 20 Tonnen. Langfristig werde sich der Trend Richtung Nachhaltigkeit durchsetzen, tröstet er sich. Außerdem: „Die Konkurrenz wird auch Preiserhöhungen haben.“