Von Michael Donhauser, dpa
Kurzarbeit auf Rekordjagd, Arbeitslosigkeit im Steigflug, Wirtschaftsleistung im freien Fall: Der Coronavirus hält die deutsche Volkswirtschaft im Würgegriff. Europaweit mehren sich die Stimmen, dass eine neue Eurokrise bevorstehen könnte, weil ohnehin hoch verschuldete Staaten wie Italien und Spanien extrem von den Auswirkungen der Pandemie getroffen werden. Schlüssel-Volkswirtschaften wie China und die USA sind im Kampf gegen die das Virus ökonomisch gelähmt.
Zukunft der Wirtschaft: deutsche Experten optimistisch
Trotz dieses erdrückenden Rahmens sind deutsche Experten die Zukunft der deutschen Wirtschaft betreffend noch immer vergleichsweise optimistisch, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergab. Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg, Detlef Scheele, sieht gegenwärtig keinen Grund zur Panik. Zwar werde die Kurzarbeit einen neuen Rekord erreichen und damit die Verhältnisse der großen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009, als 1,44 Millionen Menschen in Kurzarbeit waren, deutlich übertreffen.
Wenngleich die veranschlagten 255 Millionen Euro für konjunkturelle Kurzarbeit nicht annähernd ausreichten: Mit einer Rücklage von gegenwärtig 26 Milliarden Euro sei die Bundesagentur erst einmal gut ausgestattet. „Ich glaube, dass die Rücklage für das laufende Jahr ausreichen wird“, sagte Scheele.
Der BA-Vorstandschef geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in der Lage sein wird, die Krise zu überstehen. „Es wird auch danach Gastronomie und Tourismus in Deutschland geben“, betonte Scheele. Allerdings werde die Krise verschiedene Unternehmen und Branchen in unterschiedlicher Härte treffen. „Es wird einige geben, die sich schnell erholen und andere, die nicht mehr auf die Beine kommen.“
Das könnten unter anderem auch diejenigen sein, die von der Bundesagentur in den vergangenen Jahren in die Solo-Selbstständigkeit begleitet wurden – Gastronomen, kleine Hoteliers, Handwerker, kleine Taxiunternehmer. Marc Schattenberg, Volkswirt bei der Deutschen Bank, geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung insgesamt in Deutschland um rund fünf Prozent sinken, die Arbeitslosigkeit dagegen deutlich steigen wird.
Damit wäre beim Bruttoinlandsprodukt der Bereich der Finanzkrise in etwa erreicht – allerdings mit einem deutlich stärkeren Fokus auf Dienstleistung und auch Exportwirtschaft, nicht so stark wie damals auf die Finanzwirtschaft ausgerichtet. Wichtig sei jetzt ein Ausstiegsszenario aus dem Stillstand. „Wir sollten aus Angst vor dem virologischen Tod nicht den ökonomischen Tod riskieren“, sagte Schattenberg.
Rechenmodelle gehen von Wiederanlauf der Wirtschaft im Mai aus
Wie Schattenberg glaubt auch Katharina Utermöhl von der Allianz-Gruppe, dass der volkswirtschaftliche Schaden vor allem von der Dauer des Stillstandes abhängt. Die Rechenmodelle gehen derzeit davon aus, dass die Wirtschaft spätestens Anfang Mai wieder anläuft – eine in den Augen von Medizinern eher optimistische Annahme. Auch wenn der Vergleich hinken mag: China hat bei völligem Stillstand zwei Monate gebraucht, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Deutschland hat mildere Kontaktsperren erst vor einer Woche verhängt.
Einig sind sich die Volkswirtschaftsexperten in einem Punkt: Die Regierungen in Bund und Ländern haben mit ihren historisch großen Paketen von Eindämmungsmaßnahmen richtig reagiert. „Allein in Deutschland beläuft sich dieses staatliche Sicherheitsnetz für den Privatsektor auf rund 1,2 Billionen Euro – rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung“, sagte Utermöhl. „Diese helfen besonders betroffenen Betrieben über Liquiditätsengpässe hinweg und bewahren sie vor der Zahlungsunfähigkeit“, betonte Fritzi Köhler-Geib, Chef-Volkswirtin der KfW-Gruppe.
Corona-Folgen: Streit um Kurzarbeit für Auszubildende
Ein Streit entbrannte unterdessen um die Frage, ob Kurzarbeit in der Krise ausnahmsweise auch für Auszubildende möglich sein sollte. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte der „Welt am Sonntag“: „Wir müssen dringend vermeiden, dass Betrieben, die von der Krise massiv betroffen sind, nichts anderes übrig bleibt, als Ausbildungsverhältnisse zu beenden“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält das hingegen für falsch. „Hände weg von den Azubis“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Die Auszubildenden bekämen ohnehin vergleichsweise sehr wenig Geld und würden durch weitere Kürzungen in existenzielle Probleme gestürzt.
Klar ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam zum Durchhalten verdonnert sind. „Voraussichtlich wird die Industrie nicht so schnell hochfahren, wie sie jetzt runterfährt“, sagte Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Industrie sei international stark vernetzt und abhängig von Lieferketten auf der einen und Absatzmärkten auf der anderen Seite. „Wir haben dabei das Problem, dass die Pandemie einige Länder und Regionen jetzt erst erreicht – allen voran die USA, aber auch wichtige Emerging Markets wie Brasilien, Indien, Russland“, sagte Niklasch.