Nicht selten werden Systeme auch auf der Basis von Konzernvorgaben ausgewählt. Hier sind die Entscheider an Vorgaben gebunden, die sich für das jeweilige Unternehmen negativ auswirken können, weil kein individueller Zuschnitt des CMS erfolgen kann. Unter der Prämisse der Ausnutzung konzernweiter Synergien werden dabei kleinen Konzerneinheiten CMS-Lösungen aufgezwungen, die für deren Belange nicht sinnvoll sind. Die dadurch entstehenden Opportunitätskosten fallen letztlich weitaus höher ins Gewicht als die ursprünglich beabsichtigten Synergieeffekte.
Fatal wirken sich bei der Auswahl des geeigneten CMS-Systems auch die Missachtung strategischer IT Überlegungen und infrastruktureller Gegebenheiten aus. Ein Beispiel aus der Praxis: In einer 100 Prozent Lotus Notes basierten Firma wird ein notesbasiertes Content Management System angeschafft. Missachtet oder übersehen wird dabei, dass es auf Vorstandsebene strategische Entscheidungen gibt, Notes innerhalb der nächsten drei Jahre abzulösen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand.
Bedarfs- und Software-Analyse
Unerwünschte Ergebnisse zieht auch der Kauf eines im wesentlichen unausgereiften Systems nach sich: Ein Unternehmen kauft ein Content Management System, welches im Backendbereich mit einem Client zu bedienen ist, der wiederum nur auf Windows 32 Bit Plattformen läuft. Das Unternehmen betreibt zu 30 Prozent Macintosh Rechner, einige Unix Workstations und einige Linuxbasierte Rechner. Und erst im Nachhinein stellen die Verantwortlichen fest, dass man besser daran getan hätte, ein CMS zu erwerben, das mit einem Browser basierten Client handhabbar ist.
Im wesentlichen gehen die geschilderten Fehler und Praxisbeispiele auf eine einzige Ursache zurück. In keinem der genannten Fälle wurde im Vorfeld von Auswahl und Kauf des Systems eine genaue Kosten-Nutzen-Analyse, noch weniger eine systematisch strukturierte Bedarfs- und Software-Analyse durchgeführt. In der Vorbereitung des Kaufes Geld einsparen zu wollen, erweist sich jedoch in den meisten Fällen als Trugschluß.
In die Mitarbeiterschulung investieren
Auch wenn das Content Management System bereits in einem Unternehmen implementiert wurde, werden häufig vermeidbare Fehler gemacht, die letztlich dazu führen, dass die Investition CMS nicht den erhofften Erfolg bringt. So lassen viele Unternehmer ihre Mitarbeiter bei der Einarbeitung in das neue System allein. Sie hoffen auf das Prinzip „learning-by-doing“ und erkennen häufig zu spät, dass ein Grossteil des Potenzials des implementierten CMS ungenutzt bleibt. Die Erfahrung zeigt, dass es durchaus Sinn macht, ein bestimmtes Budget für die professionelle Schulung des Teams bereitzustellen. Schließlich sind moderne Content Management Systeme komplexe Softwareprodukte, die ebenso wie Produktionsplanungssysteme oder eine Buchhaltungssoftware einer ausführlichen Einweisung bedürfen.
Systematik bei der Auswahl entscheidend
Weil sich Content Management Systeme letztlich zu Standardanwendungssoftware wie etwa einem Warenwirtschafts-System oder einem Finanzbuchhaltungs-System hinbewegen, können bei der Auswahl von Content Management Systemen ähnliche Methoden angewandt werden. Doch während für die Konzeption und anschließende Entwicklung von Individualsoftware eine schier unüberschaubare Vielfalt an Vorgehensmodellen und Werkzeugen existieren, ist die Literatur zu einer fundierten Unterstützung bei der Auswahl von Standardsoftware noch sehr begrenzt. Dieses gilt insbesondere für die relativ neuen Gattungen von Content Management Systemen. Etablierte und bekannte Methoden zur Lösung des Auswahlproblems lassen sich auf Grund der Besonderheiten des jungen Marktes nicht 1:1 übertragen. Anders als beispielsweise der Markt für Warenwirtschafts-Systeme hat sich der Markt der Content Management Systeme noch nicht bereinigt oder manifestiert.
Die in der Literatur zum Thema Softwareauswahl erhältlichen Quellen haben unterschiedliche Ansatzpunkte und weisen somit voneinander abweichende Schwerpunkte auf. Einerseits gibt es Quellen, die sich ohne einen konkreten funktionalen Bezug mit der grundsätzlichen Problemstellung der Auswahl beschäftigen. Andererseits gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich mit konkreten Anwendungsbereichen und hier auch mit funktionalen Kriterien auseinandersetzen.
Untersuchungen fehlen im Anwendungsbereich
Hinsichtlich der Methodik wird in den meisten Fällen eine Form der Nutzwertanalyse oder das Pflichtenheft beschrieben. Explizite Untersuchungen für den Anwendungsbereich Content Management System gibt es derzeit noch nicht.
Bezogen auf das Pflichtenhefte wird häufig empfohlen, nur drei bis maximal fünf Anbieter in die Betrachtung einzubeziehen. Die Restriktion auf wenige Anbieter begründet sich mit dem hohen Arbeitsaufwand, der sich durch die Angebotsbearbeitung ergibt. Ein derartiger Ansatz eignet sich aber für den noch sehr jungen Markt der Content Management Systeme und artverwandter Software nicht – zumindest derzeit. Hier besteht hier die Gefahr, die für den individuellen Bedarf optimale Lösung zu übergehen. Empfehlenswert ist deshalb in jedem Falle ein breiterer Ansatz.
Die in der praxisnahen Literatur dargestellten Varianten der Nutzwertanalyse bergen in der Regel einige Nachteile. Diese wirken sich insbesondere bei der Aufgabenstellung der CMS-Auswahl aus. Gemeinhin werden bei der Nutzwertanalyse verschiedene Alternativen gegeneinander bewertet. Hierzu wird ein Kriterienkatalog entwickelt; die Kriterien werden nachfolgend gewichtet. Schliesslich werden die Alternativen je Kriterium bewertet und miteinander verglichen. Die folgende Tabelle veranschaulicht das Prinzip.
Ein großes Problem bei dieser Vorgehensweise liegt in der Herkunft der Kriterien. Zur Kriterienbestimmung wird in der Praxis zumeist eine Bottom-up Vorgehensweise gewählt. Bei dieser Methode werden die Kriterien häufig durch Befragungen und Einzelinterviews vieler verschiedener beteiligter Mitarbeiter in einem Unternehmen durchgeführt. Eine Schwierigkeit bei diesem Ansatz ist darin begründet, dass zur Kriterienbestimmung in hohem Masse inhaltliche und funktionale Aspekte herausgearbeitet werden. Hierdurch entsteht die Gefahr, dass die Kriterien nicht mehr konform sind mit vorhandenen Primärzielen bzw. einem umfassenden Zielkomplex. Folge: Die Bedeutung individueller Kriterien und die Gewichtung vorrangiger Ziele verwischen.
Top-down oder Bottom-up
Dieser Mangel kann gerade bei der Auswahl eines CMS nicht durch Erfahrung kompensiert werden. Deutlich geeigneter erscheint daher die Ableitung von Kriterien von einem verabschiedeten Zielsystem oder aber einem Mix beider Methoden. Die folgende Tabelle macht einerseits deutlich, wie die Generierung und Ableitung von Kriterien anhand eines Top-down Zielsystems erfolgen kann. Auf der anderen Seite steht eine Liste von Kriterien, die mittels eines typischen Bottom-up Ansatzes generiert worden sind. Der Vergleich macht deutlich, dass eine reine Bottom-up Methode wahrscheinlich in den seltensten Fällen einen brauchbaren – mit den existierenden Primärzielen konformen – Kriterienkatalog ergibt. Ferner wird deutlich, dass zur Ableitung von Kriterien aus dem Zielsystem ein entsprechendes CMS Basis Know-how vorhanden sein muss – ein Grund dafür, dass viele Unternehmen Know-how von externen IT Beratern oder New Media Agenturen zukaufen.
Der auf die eine oder andere Weise entstehende Kriterienkatalog wird – wie bereits erwähnt – in der Regel deshalb einer Gewichtung unterzogen, weil nicht alle Kriterien gleich bedeutend für die jeweils individuelle Unternehmenssituation sind. Häufig wird hierfür ein holistischer Ansatz angewendet. Das grundsätzliche Problem dieses Ansatzes ist, dass die Anzahl der den verschiedenen Primärzielen zuzuordnenden Kriterien stark divergieren kann. Die Folge ist ein verzerrtes Bild des Ganzen, da während des Auswahlprozesses eine Summierung der auf die Kriterien bezogenen Einzelgewichtungen erfolgt. Ein weiterer Schwachpunkt dieser Methode liegt darin, dass bei einer unkritischen und unreflektierten Betrachtung die Nichterfüllung eines Kriteriums durch die Übererfüllung anderer Kriterien scheinbar kompensiert werden kann. Deshalb ist bei der Zusammenstellung des Kriterienkataloges besondere Vorsicht geboten.
Mehrstufiger Entscheidungsprozess optimal
Da die Bewertung der einzelnen Alternativen auf Basis dieser Methode sehr aufwendig ist, empfiehlt sich ein mehrstufiger Entscheidungsprozess. Dies insbesondere auch deshalb, weil bei der Auswahl von Content Management Systemen nicht allein eine Vielzahl möglicher Alternativen gegeben ist, sondern jeweils auch eine Reihe verwandter Produktgattungen am Markt existieren, die unter Umständen ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden können. In einem mehrstufigen Auswahlprozess kann bei sinkender Anzahl der Alternativen die Anzahl der Kriterien erhöht werden. Auf diese Weise wird der Aufwand in Grenzen gehalten. Gleichzeitig wird eine gewisse Entscheidungssicherheit durch die schrittweise Zuführung weiterer relevanter Kriterien in aufeinanderfolgenden Stufen gewährleistet.
Die folgende Grafik veranschaulicht anhand einer fiktiven potentiellen Alternativenanzahl von 100, wie ein Stufenverfahren aussehen könnte. Natürlich ist bei der tatsächlichen Festlegung eines Auswahlprozesses immer die individuelle Unternehmenssituation zu berücksichtigen.
- Stufe 1 – K.O.- Kriterien werden definiert. Anhand dieser scheiden 50 Systeme aus.
- Stufe 2 – Fragebogenaktion: Es wird ein Soll-Profil (Kriterien) entwickelt. Aus diesem Profilkatalog wird ein Fragebogen entwickelt, der an die Hersteller bzw. Agenturen versandt wird. Die Rückläufer werden ausgewertet, beispielsweise mittels Tabellenkalkulation. Weitere 40 Systeme werden ausgeschlossen.
- Stufe 3 – Die verbleibenden 10 Systeme erhalten ein Pflichtenheft. Die Rückläufer des Pflichtenheftes werden ausgewertet. Es verbleiben drei Systeme.
- Stufe 4 – Bei den verbleibenden drei Systemen werden Besuche bei Referenzkunden gemacht und/oder evtl. Teststellungen.
- Stufe 5 – Entscheidung für ein System
In der Praxis werden bisweilen auch Methoden praktiziert, bei denen ein Höchstpreis als K.O.-Kriterium bereits in Stufe 1 definiert ist. Dieser bezieht sich in der Regel jedoch auf Lizenzkosten. Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse wird dann wegen des vorzeitigen Ausschlusses der teureren Produkte häufig nicht durchgeführt. Übersehen wird bei dieser Vorgehensweise, dass die Lizenzkosten in der Regel nur einen Bruchteil der Gesamtprojektkosten ausmachen, was wiederum für eine Wirtschaftlichkeitsanalyse als ergänzendes Entscheidungskriterium spricht.
Autor: Erwin Lammenett, ist Firmengründer und Geschäftsführender Gesellschafter des Aachener Multimedia-Dienstleisters Team in Medias GmbH. Die aus einer Unternehmensberatung hervorgegangene Agentur hilft großen und mittelständischen Unternehmen, digitale Kommunikationslösungen in einen Wettbewerbsvorteil umzusetzen. Lammenett leitet als Mitglied im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater die Arbeitsgruppe E-Business; er ist Vorstand des Landes NRW im Bundesverband Junger Unternehmer und Mitglied im Marketing-Club.
eingestellt am 13. September 2001
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