Nur die relevanten Prozesse sind zielführend

„CRM ist wieder in“. „Die zweite CRM-Welle rollt“ - was die Medien scheinbar gewichtig melden, beschreibt nur eine Phase. Der Blick aus der „Adlerperspektive“ hilft, Vergangenes zu erklären, Aktuelles zu sehen und Künftiges herzuleiten.

von Martin Baier

CRM ist eine Unternehmensphilosophie und -strategie. Sie spiegelt sich in den Prozessen und in der Unternehmenskultur wider. Ein Blick auf den Wandel der Unternehmensstrategien und ein kurzer Rückblick in die CRM-Historie lohnt: In den 70er Jahren setzten Unternehmensstrategen häufig auf Konglomerate mit breiter Diversifizierung. Der Kunde – geschweige denn die Kundenbeziehung – stand bei dieser Ausrichtung nicht im Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses. Etwa Anfang der 80er Jahre begann eine Konzentration auf Kerngeschäfte und Kernkompetenzen. Business Re-engineering, Lean Management, Kaizen, Total Quality Management und Benchmarking waren die Treiber dieser Entwicklung.

Mit der Integration des Marktdrucks in die Unternehmen in Form von Spin-Offs, Börsengängen und der Orientierung an Rentabilitätskriterien rückte der Kunde zwangsläufig näher in den Mittelpunkt. Denn: Shareholder Value ist nur mit zufriedenen Kunden zu erreichen. Gleichzeitig ermöglichten neue Technologien im Laufe der 90er Jahre zunehmends eine EDV-gestützte Steuerung von Marketingmaßnahmen: Das Database Marketing war geboren. Die geforderte Transparenz machte auch vor dem Außendienst nicht Halt. Er hatt sich Mitte der 90er Jahre zunehmend mit Computer Aided Selling (CAS) anzufreunden. Die geforderte Transparenz und Effizienz kam und zog sich mit IT-Unterstützung kontinuierlich durch alle Funktionsbereiche. Die Backoffice Automation erhielt Zuwachs durch die Automatisierung der Frontoffice-Bereiche, der Vertrieb durch Sales Force Automation, das Marketing durch Marketing Automation und der Servicebereich durch Service Automation.

Dieses Silo-Denken löste um die Jahrtausendwende der ganzheitliche Ansatz des CRM ab. Die CRM-Hersteller riefen den Paradigmenwechsel aus und garantierten mit ihren Softwarelösungen die horizontale Integration von Marketing, Vertrieb und Service. Ob Out-of-the-Box Kontaktmanagement-Lösungen, komplexe ERP-Systeme für Großunternehmen, oder Sales Force Automation mit dem Ziel der Außendienstkontrolle – alles war plötzlich CRM-tauglich. Der damalige Börsen- und Internethype ließ in kürzester Zeit neue selbsternannte CRM-Anbieter und unseriöse Geschäftsmodelle wie Pilze aus dem Boden sprießen.

Die erste CRM-Welle musste verebben. Auf Unternehmensseite verhinderten proprietäre Systeme, unternehmensweit versteckte und verteilte Datentöpfe oder fehlendes Management Commitment dessen erfolgreiche Einführung. Auf Seiten der Hersteller fehlten versprochene Funktionalitäten, Integrationsmöglichkeiten oder die Fähigkeiten, eine Langzeitbeziehung einzugehen.

Der Ernüchterung folgte die CRM-Marktbereinigung, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Aus dieser Konsolidierung gehen zwei Arten von CRM-Anbietern hervor: Zum einen Anbieter, die ihren Ursprung im Datenbank- oder ERP-Geschäft haben. Sie kaufen CRM-Know-how entweder durch Übernahmen hinzu oder bauen es durch Eigenentwicklung allmählich auf. Über eine zu entwickelnde Middleware wollen sie die heterogene Applikationslandschaft integrieren. Zum anderen verstärken CRM-Hersteller, die aus dem Frontoffice-Bereich kommen und noch nie etwas anderes als kundenzentrierte Lösungen entwickelt haben, ihre CRM-Lösungen durch Zukäufe oder Weiterentwicklungen. Während die erste Art von CRM-Hersteller eine integrierende Strategie fährt, verfolgt die letztere den „Best-of-Breed“-Ansatz.

In der Klasse der integrierenden Anbieter finden sich Unternehmen wie SAP, ORACLE oder auch Microsoft. Die Argumente für den Integrationsansatz kommen von den Herstellern selbst: Reduzierung der Costs of Ownership und Harmonisierung von Prozessen lautet es einhellig. Für den Anwender stellt sich jedoch die Frage der Kontinuität. Die sich aneinander reihenden Übernahmen sorgen für Unruhe. Auf konkrete Informationen über Softwareumbau und den daraus resultierenden Ergebnissen warten sie mitunter vergeblich.

Der „Best-of-Breed“-Ansatz im CRM-Markt verfolgt hingegen – ähnlich wie die erwähnte Unternehmensstrategie der Kerngeschäft-Fokussierung – die Konzentration auf CRM-Kernkompetenzen. Hierzu zählen CRM-Komplettanbieter wie update software, Pivotal oder Saratoga. Die reinen CRM-Hersteller von heute verfolgten schon immer einen ambitionierteren Ansatz als Anbieter, die ihr Software-Portfolio um CRM-Funktionalitäten erweitern. Sie stützen sich auf die Managementphilosophie des kundenzentriert arbeitenden Unternehmens. Hinzu kommt: Wenn sich Kunden von CRM-Anbietern immer mehr auf ihre Kernkompetenzen verstärken, erhöht sich der Grad der Vertikalisierung. CRM-Hersteller, die sich wiederum voll und ganz auf die individuellen CRM-Prozesse ihrer Kunden konzentrieren, gewinnen Branchen-Know-how auf. Dieses Wissen fließt als „Best Practice“ in die CRM-Lösung zurück.

Der „Best-of-Breed“-Ansatz lässt sich auch an einzelnen CRM-Funktionalitäten wie dem Kampagnenmanagement aufzeigen. Zum Beispiel die Marktführerschaft durch Fokussierung auf Kernkompetenzen in diesem CRM-Marktsegment. Unternehmen können sich auf dieser Basis „das Beste“ zusammenstellen. Einige spezifische CRM-Bereiche, darunter Vertriebsautomation, Kampagnenmanagement oder agentenbasierter Kundendienst, sind bereits in die Reifephase eingetreten. Eine weitere Konsolidierung und Integration erfolgt durch Zukäufe.

Kritiker wenden ein, hierin läge die Crux des „Best-Of-Breed“-Ansatzes. Würde doch gerade die Vielfalt an unterschiedlichen Anwendungssystemen und die notwendige Integration von Backoffice-, Middleware- und Frontoffice-Elementen häufig zum Scheitern von CRM-Projekten führen. CRM-Anbieter des „Best-of-Breed“-Ansatzes verfügen für diese Fälle jedoch eigene Integrationskomponenten im Portfolio: Middleware von Drittanbietern, Web Services oder andere Technologien. Nehmen wir an dieser Stelle erneut die Adlerperspektive ein und betrachten wir die langfristige CRM-Evolution vor dem Hintergrund sich wandelnder Unternehmensstrategien.

Wenn sich Unternehmen auf die Kernkompetenzen und damit einzelne Teilprozesse der gesamten Wertschöpfungskette konzentrieren und Entflechtungspotenziale durch Mergers & Aquisitions gänzlich ausreizen, erreichen sie, abhängig von der betrachteten Branche und Unternehmensgröße, den Zeitpunkt, sich im Sinne des Kundenauftrags wieder mit anderen Unternehmen temporär zusammenschließen zu müssen. In kürzester Zeit bilden sich lose Unternehmenskooperationen, die nach Erfüllung des Kundenwunsches wieder auseinandergehen.

Die IT muss in diesem Moment die Geschäftsprozesse unterstützen. So sind beispielsweise externe Services von Partnerunternehmen in kürzester Zeit in eigene Prozesse einzubinden. Das hierfür aufkommende Design-Paradigma „Service-orientierte Architektur“ (SOA) kann als Startschuss für prozessunterstützende und flexible IT-Systeme für alle Kanäle gelten.

Die Notwendigkeit eines durchgängigen Business Process Managements (BPM) zieht sich derzeit durch die gesamte Applikationslandschaft, auch bei den Softwarehäusern SAP, ORACLE etc. Nicht zuletzt im eigenen Interesse wollen sie eine durchgängige Anwendungslinie entwickeln. Es wird noch eine Weile und viele Releases dauern, bis der Sprung in die SOA-Welt gelingt. Der Krieg der Plattformen wird eröffnet und nur wenige BPM-Plattformen werden als Sieger hervorgehen. Mit dem Wunsch nach „Best-of-Breed“ – dies werden Kunden auch weiterhin fordern – entwickeln sich die Plattformen zu offenen Architekturen, die auch herstellerfremde CRM-Applikationen und -Prozesse einfach integrieren.

Mit der zur erwartendenen Konvergenz der Plattformen wird sich auch das Problem einer gemeinsamen Semantik früher oder später lösen. Eine einheitliche Business Semantik wird sich in dem Moment ergeben, in dem sich wenige offene Plattformen herauskristallisieren.

In vielleicht weniger als einer Dekade – und hier sind wir wieder bei der Evolution des CRM – wird der Kunde entscheiden können, welche CRM-Prozesse er für seine Branche und seine individuellen Bedürfnisse favorisiert. Dabei wird es egal sein, ob er diese Prozesse vom gleichen Software-Stack bezieht oder über einen reinen CRM-Anbieter, der seine Software natürlich ebenfalls SOA-tauglich aufsetzt. Nur eines wird zählen: die größte Kernkompetenz in den branchenrelevanten Prozessen.

Was bleibt, ist die Frage, ob sich Unternehmen bis zum beschriebenen CRM-Evolutionsziel mehr mit sich selbst als mit der notwendigen Fokussierung auf CRM-Prozesse beschäftigen.

Autor:
Martin Baier ist Marketing Manager bei update software Germany.

eingestellt am 25. Juni 2006