Von Gastautorin Iris Heilmann, Geschäftsführerin Palmer Hargreaves, Agenturgruppe für Marketing und Kommunikation
Minus 43 Prozent: So stark sank zwischen 1998 und 2009 in England die Zahl der Selbstmorde und Vergiftungen, die auf Paracetamol-Missbrauch zurückzuführen war. 1998 trat auch ein neues Gesetz in Kraft, das die Verpackungsgrößen beschränkte. Deutschland zog inzwischen nach. Weil Pillen einfach nicht in so großer Zahl in ein und derselben Packung sind, verhalten sich Menschen vernünftiger?
Mit kleinen Schubsern Entscheidungen beeinflussen
Die Antwort findet sich in der Verhaltensökonomie. Deren These: Das Verhalten von Menschen in wirtschaftlichen Situationen ist nicht rein rational. Ökonomie meets Psychologie. Nach dem Psychologen Daniel Kahnemann, für seine Studien zur Verhaltensökonomie mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet, treffen Menschen Entscheidungen auf Basis von zwei konkurrierenden Systemen: System 1 entscheidet schnell, emotional, unbewusst und auf Basis von Stereotypen. System 2 dagegen ist langsam, logisch, bewusst – und sehr viel seltener im Einsatz. Heißt: Nicht nüchterne Logik, sondern Daumenregeln, Selbstüberschätzung und Kontext prägen unsere Entscheidungen. Wer das berücksichtigt, kann Entscheidung beeinflussen. Ganz ohne Verbote und Gebote – durch „Nudging“. Im Weißen Haus, der Downing Street und im Kanzleramt sitzen ganze Teams, die diese kleinen „Schubser“ einsetzen, um Menschen dazu zu bringen, gesünder zu leben, vorsichtiger zu sein oder sich sozialer zu verhalten. Zum Beispiel durch Vorsorgepläne, in die automatisch einzahlt, wer sich nicht aktiv dagegen entscheidet.
Faustformel EAST
Was das mit B2B-Kommunikation zu tun hat? Jede Menge. Stützen wir uns doch beim Konzipieren kommunikativer Strategien immer noch stark auf System 2 und wollen mit Infos und Nutzenkommunikation überzeugen. Dabei würde gerade der B2B-Kommunikation mehr Bezug auf System 1 gut tun. Klar: Wer über hohe Investitionen nachdenkt, braucht ausführliche Informationen. Auf dem Weg zur Entscheidung kann eine Marke jedoch mit dem Aktivieren von System 1 viel erreichen. Dabei geht es nicht nur um die eine große, emotionale Kampagne, sondern um viele kleine Stellschrauben.
Als Faustformel haben Verhaltensökonomen das Akronym EAST geprägt. Erfolgreiche Kommunikation soll danach „easy, attractive, social und timely“ sein: mit einer Kombination aus einfacher Sprache, Nutzerführung und reduzierten Infos („nicht mehr als fünf bis neun“), attraktivem Design und cleverer Kontextualisierung, Personalisierung und Bezug zur sozialen Norm („3 von 4 Menschen mit Ihren Interessen nutzen schon …“) sowie dem Finden des optimalen Zeitpunkts.
Zwei Beispiele: „Attractive“ machte der Economist sein Angebot durch einen überraschenden Schachzug. Der Verlag verkaufte erst dann mehr Bundle-Abos, als er den Optionen „Print & Online 125 Dollar“ und „Online Only 59 Dollar“ die scheinbar sinnlose Variante „Print Only für 125 Dollar“ hinzufügte. Beim Thema „timely“ lohnt es zu beachten, dass Menschen zukünftige Erfolge nur ungefähr halb so hoch schätzen wie unmittelbare Belohnung. Da lässt sich von Game-Entwicklern lernen, die es schaffen, Spieler mit schnellen, spielerischen Rewards lange ohne reale Belohnung bei der Stange zu halten.
Kurz: Mehr EAST für die B2B-Kommunikation – es lohnt sich. Denn egal ob auf der Couch oder im Konferenzraum und frei nach Gertrude Stein: der Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch.
Zur Autorin: Iris Heilmann ist Geschäftsführerin von Palmer Hargreaves in Deutschland. Die Kommunikationsagentur ist fokussiert auf Unternehmen mit komplexen Produkten und Aufgaben. Weltweit betreuen 160 Mitarbeiter – 100 davon in Köln – Kunden in den Feldern Strategie, Content, Kreation und Digital & Technologie.