Droht ein Abschwung, werden hier normalerweise zuerst die Schrauben angezogen: beim Budget, bei Produktentwicklungen und Launches. Dabei ist die viel zitierte Krise noch längst nicht in allen Bereichen angekommen. Noch ist es Zeit, gegenzusteuern und die gegenwärtige Herausforderung als das zu begreifen, was sie vor allem ist: eine Chance. Das fängt bei der inneren Einstellung an. Mut zur Innovation und ein offensives Marketing sind Signale, die Verbrauchern Sicherheit vermitteln. Und einem starken Anbieter bleiben Kunden treu – in guten wie in schlechteren Zeiten.
Rekordumsätze im Krisenwinter
Eine unternehmerische Haltung, die Präsenz und Stärke demonstriert, wirkt unmittelbar auf Kunden wie Wettbewerber. Beispiel Amazon: Dass der Online-Medienhändler ausgerechnet im Krisenwinter 2008 Rekordumsätze verbuchte, ist kein Zufall, sondern Resultat stetiger Investitionen in neue Angebote und Services.
Schon 1982 fand eine Studie heraus: Unternehmen, die ihre Marketingausgaben in der Krise steigerten, gewannen im Schnitt 1,5 Punkte Marktanteil hinzu – in Zeiten besserer Konjunktur wären es bei gleichem Aufwand nur 0,2 Punkte gewesen. Der Grund: Nur ein Viertel der Unternehmen verstärkten im Abschwung ihre Marketingaktivitäten – gegenüber 80 Prozent in Zeiten der Hochkonjunktur. Viele Folgestudien haben den Effekt inzwischen bestätigt.
Aktivitäten im Abschwung bergen aber noch weitere Vorzüge. Die Zahl der Werbeschaltungen geht zurück, die Mediapreise fallen. Wer just zu diesem Zeitpunkt eine neue Kampagne oder einen Launch startet, erreicht viel mehr als nur kurzfristige Aufmerksamkeit. Er kann sich einen Wettbewerbsvorsprung über Jahre verschaffen.
Handeln, wenn andere harren
Die Geschichte lehrt, wie in der Krise geborene Kampagnen Unternehmen zu nachhaltigem Erfolg verhalfen: So warf Kellogg’s während der Großen Depression zu Beginn der 30er Jahre seinen Erzrivalen Post endgültig aus dem Rennen um die Marktführerschaft, als dieser seine Werbung drastisch zurückfuhr, derweil Kellogg’s weiter kräftig für die „Crispness“ seiner Cornflakes warb. Procter & Gamble wiederum katapultierte während der Wirtschaftsflaute Ende der 50er Jahre mit einer einzigen innovativen Kampagne den Marktanteil seiner Zahnpastamarke „Crest“ von neun auf über 30 Prozent.
Was antizyklisches Handeln bewirken kann, zeigt sich auch in der Produktentwicklung. Ausgerechnet Mitte der 70er Jahre, kurz nach der Ölkrise, weitete BMW sein Modellportfolio auf die Oberklasse aus – und sicherte sich so für die kommenden Jahrzehnte einen führenden Platz im Premiumsegment des Automobilbaus.
Neun von zehn Unternehmen der Markenartikelindustrie sind heute davon überzeugt, dass Innovationen zu den stärksten Kaufanreizen zählen. Attraktive Neuheiten schaffen nun einmal Nachfrage – zu allen Zeiten. Das belegen zahllose Durchbruchsinnovationen, von Apples iPod über H&Ms Fast-Fashion-Strategie bis zu Red Bull und Bionade.
Heute investieren, langfristig profitieren
Die Erfolgsbeispiele machen deutlich: Phasen des Abschwungs haben sich schon oft als perfekter Zeitpunkt für Produkt-Launches und Marketingoffensiven erwiesen. Denn zu kaum einer anderen Zeit lassen sich Marktanteile so günstig erobern und dauerhaft Wettbewerbsvorteile gewinnen.
Zurück zur Zukunft, zur Krise und zur Formel 1. Selbst wenn der Kurs härter und die Witterungsbedingungen rauer werden, kann es für Unternehmen nur ein Ziel geben: vorn um den Sieg mitzufahren. Wenn die Konkurrenz in Kolonne auf Sparschaltung fährt, ist es an der Zeit, die passenden Reifen aufzuziehen und zum Überholen anzusetzen. Wer die Gunst der Stunde nutzt und jetzt investiert, wird sich nicht nur 2009 behaupten – er sichert sich auch die Pole-Position für alle weiteren Runden in der Zukunft.
Über den Autor: Dr. Jesko Perrey ist Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey & Company und Leiter der deutschen Marketing & Sales Practice sowie der europäischen „Branding & Marketing Spend Effectiveness“-Gruppe.