Warum gibt’s eigentlich noch nicht die Geschmacksrichtung „Schöntrinken“? Nichts gegen Marketing, aber ein bisschen ernst genommen werden möchte ich in meiner Intelligenz schon. Doch ein kurzer Blick in die glitzernde Werbewelt lässt mich immer wieder verzweifeln.
Alle paar Monate bringt Gillette einen neuen Rasierapparat aus der Weltraumtechnik mit absurden Namen wie MACH 3 Turbo auf den Markt und gibt mir damit indirekt zu verstehen, dass die 67 Vorgängermodelle totaler Schrott gewesen sein müssen. Inzwischen gibt es sogar Rasierer mit fünf Klingen. Ich habe hochgerechnet: Im Jahr 2050 haben Gillette-Rasierer Ultra-Hardcore-extraraketensensitive 38 Klingen. Spätestens dann sterben mehr Menschen an Rasierunfällen als im Straßenverkehr. Im Fernsehen schwört der Schauspieler Jan Josef Liefers auf die Byzantiner Königsnuss, die nach kurzer Recherche eine reine Erfindung von Ferrero ist. Es gibt überhaupt keine Byzantiner Königsnuss.
Genauso wenig wie es die Piemont-Kirsche gibt. Die ist eine freche Erfindung von Claudia Bertani, die es aber erst recht nicht gibt. Selbst einfacher Joghurt ist schon lange nicht mehr normal, sondern dreht sich linksherum und beherbergt merkwürdige Buchstaben. Und was war mit der guten alten Vollmilch-Nuss-Schokolade? Die musste den Hot-Chili-Grenadine- und Lemon-Pepper-Kreationen weichen. Es gibt Shampoos gegen Spliss, gegen fettiges Haar und gegen Schuppen – nur gegen normales Haar ist kein Kraut gewachsen. Normal ist total out. Das gibt mir zumindest Laborchef Dr. Klink zu verstehen, der mit ernster Miene erklärt, dass bei erblich bedingtem Haarausfall Alpecin dazu beiträgt, die Wachstumsphasen der Haarwurzel deutlich zu verlängern.
Die Verkomplizierung der Produkte hält in allen Bereichen gnadenlos Einzug. Moderne Kinderwagen sind zu Hightech-Apparaturen mutiert. Fast so kompliziert wie Gillette-Rasierklingen: ein stabiles Voll-Alu-Rahmensystem mit doppelt gebrohmtem Versteifungsgerippe; Einhandschwenkbedienung beim Zusammenlegen mit separatem voll flexiblem Tragenest und separater feuerfester Schutzdecke; Gestell mit
Schwenkschieber-Schablone; modernes, stufenlos regulierbares Dreiphasenverdeck mit modernen Außenstahlbügeln und verchromtem Sichtfenster. Mit einem solchen Kinderwagen können Sie problemlos in die Erdatmosphäre eintauchen, ohne zu verglühen. Und das Verstörendste
dabei ist: Wir kaufen dieses Zeug! Unsere Wohnungen sind bis zum Bersten angefüllt mit Chipstüten-Thermoversieglern, aufblasbaren Gästebetten,
Total-Gym-Geräten, Fusselfräsen mit Auffangbehälter, elektrischen Massagegeräten und Reisezwiebelschneidern. Die meisten von uns sind – ohne
es zu wollen – insgeheim zu Messies geworden. Messies sind unordentliche Menschen heißt es immer. Doch tatsächlich sind Messies keine Chaoten, sondern geradezu ordnungskrank. Das Sammeln von absurden Dingen gibt ihnen Stabilität. Sie können sich von alten Sachen nicht trennen und fügen ständig neue hinzu. Auf diesem Fundament baut ihre Ordnung auf. Messies sind krankhafte Besitzstandswahrer.
Aber ich will keine japanischen Messersets, keine Power-Balance-Armbänder und keine Flaschenregale aus instabilem Weichholz mehr. Lasst mich in Ruhe mit euren Saftpressen, euren magnetischen Nackenkissen und euren Geschirrspültabletten mit drei Aktivzonen und einem Powerball. Ich mag kein Trüffel-Eis mit Cappuccino-Guacamole. Kein Käsekuchen-Rosinen-Kirscheis. Ich will keine mazedonische Bitterorangenhobel und kein Crunchy-Punchy von einem Speiseeishersteller, der klingt wie ein Regalsystem von Ikea. Ich will Vanille. Einfach nur Vanille.
Über den Autor: Vince Ebert ist Physiker und Kabarettist und mit seinem Bühnenprogramm „Freiheit ist alles“ deutschlandweit auf Tournee. Er ist auch Kolumnist der absatzwirtschaft.
Tourdaten unter www.vince-ebert.de.