Die meisten Unternehmen haben nur den umsatzstarken Markt der Heavy User im Visier (in dem sich aber auch die meisten Wettbewerber tummeln). Über die Nichtkunden sehen sie üblicherweise hinweg. Sie übersehen, welche beträchtlichen Potenziale hier vielleicht schlummern. Oftmals ist es nur ein Mangel oder ein fehlendes Merkmal im aktuellen Angebot, was Nichtkunden vom Kauf abhält.
Drehen Sie den Ansatz der Fokussierung auf den Heavy User einfach um! Wie würden Sie den Kunden definieren, der nicht zu dieser Gruppe zählt? Welches Segment würde das Gegenstück bilden? Welche Modifikation des Angebots würden Heavy User ablehnen? Welche neue Anwendung wäre für Heavy User uninteressant?
Vielleicht lassen sich die Nichtkunden mit Erweiterungen oder Veränderungen des Angebots gewinnen? Die ersten Energieriegel von PowerBar waren betont männlich, was Geschmack, Konsistenz, Zusammensetzung, Verpackung und Assoziationen anging. Wettbewerber Cliff Bar entwickelte daraufhin Luna, den Energieriegel speziell für Frauen. Die meisten Biersorten orientieren sich am Geschmack des regelmäßigen Biertrinkers. Beck’s Gold dagegen wurde gezielt für jüngere Kunden entwickelt, die ein leichteres Bier mit einer entsprechenden Markenpersönlichkeit bevorzugen.
Nintendos Erfolgsstrategie
Der Erfolg kann durchschlagend sein. Nintendo ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür. Die Abkehr von grafisch anspruchsvollen Gewaltspielen für das junge, männliche Publikum und die Verlagerung auf aktivierende, zum Teil lernfördernde Spiele für Familien und Mädchen katapultierte die Marke binnen weniger Jahre von einem Platz um 150 auf Platz eins des japanischen Markenrankings. Mit den Spielkonsolen DS und Wii brachte Nintendo eine neue Art von Computerspielen auf den Markt, die ein riesiges, bis dahin kaum bedientes Segment ansprachen. Die Autovermietung Enterprise Rent-A-Car stach den Konkurrenten Hertz aus, indem sie sich statt auf Geschäftsreisende auf Privatkunden konzentrierte, die ihr Auto in Reparatur gegeben haben. Mit einer entsprechenden Vermietungsinfrastruktur baute das Unternehmen darüber hinaus eine Hürde für Wettbewerber auf.
Oft ist der Preis das Problem
Hilfreich ist zumeist, die Kaufhürden für Nichtkäufer zu identifizieren. Häufig ist der Preis das Problem, vor allem in Schwellenländern: Der Preis, den die Kunden sich leisten können, und der Preis der angebotenen Produkte klaffen auseinander. Nokia fand durch Marktforschung in Indien heraus, dass selbst ein einfaches Handy zu teuer war. Bot man das Handy jedoch mit integrierter Taschenlampe, Wecker und Radio an, war der Preis zwar hoch, aber wesentlich eher akzeptabel. Es gab aber noch weitere Probleme: Staub, der die Zuverlässigkeit beeinträchtigte, glitschige Hände durch die Luftfeuchtigkeit und grelles Sonnenlicht, das die Lesbarkeit der Displayanzeige erschwerte. Nokia reagierte darauf mit einem staubgeschützten, griffigen Handy mit kontrastreichem Display. Da der Einzelhandel keine Handys im Sortiment führte, baute Nokia ein Netz von Kleinhändlern auf, die die Mobiltelefone an eigenen Ständen anboten. Dieses Netz wuchs nach und nach auf um die 100.000 Verkaufsstellen.
Clayton Christianson beschreibt in seinem Buch The Innovator’s Dilemma, wie in vielen Produktkategorien Nichtkunden, die keine leistungsstarken Produkte wünschen, der Ausgangspunkt einer Marktumwälzung sein können, die am unteren Ende beginnt. Bieten Unternehmen für diese Kunden ein einfacheres Produkt zu einem günstigeren Preis an, können sie eine Nische besetzen. Von dort aus können sie nach und nach hochwertigere Angebote entwickeln und über ihren Status als Nischenanbieter hinauswachsen. Als Beispiele nennt Christianson Toyota und Canon (Kopierer) in den 1970er Jahren, Southwest Airlines und viele andere.
Nichtkunden können eine ergiebige Quelle für Wachstum sein – vorausgesetzt, man erreicht sie mit dem passenden Angebot. Bisweilen führt nur der unbequeme Weg zum Ziel: Die Abkehr vom Heavy User. Es gilt, das Marketing und die Kundensegmentierung neu zu überdenken – keine leichte Aufgabe!
Über den Autor: David Aaker gilt als der Guru der Markenstrategie – Er hat das Markenwertmodell „Aaker Model“ erfunden und über 100 Artikel und 15 Bücher veröffentlicht. Als Vice Chairman berät David Aaker zudem exklusiv die Kunden von Prophet. Als Ehrenprofessor an der Haas School of Business, University of California, Berkeley, bekam er vier Karriere-Auszeichnungen, einschließlich des Paul D. Converse-Preises im Jahre 1996 für seine herausragende Arbeit zur Weiterentwicklung des Marketing.