Herr Biermann, sind Sie heute im Homeoffice oder im Büro?
Ich sitze im Büro und das diese Woche schon den dritten Tag in Folge. Eigentlich ohne Grund, aber ich genieße es gerade sehr, dass ich hier wieder so viele Kolleginnen und Kollegen live treffe. Ich hatte einfach ganz persönlich das Bedürfnis, vor Ort zu sein – kurz gesagt: Ich hatte Bock.
Sie haben vor Kurzem offiziell verkündet, dass es nach dem neuen Arbeitsmodell von Crossmedia keine Quote für die Anwesenheit im Büro mehr gibt – wie organisieren Sie das konkret?
Die Teams organisieren sich selbst. Einige haben feste Tage vor Ort, andere nicht. Wir nutzen eine eigene Desk-Sharing-App, in der alle sehen können, wer für wann welchen Platz gebucht hat. So kann sich jede*r dann bewusst daneben einbuchen, oder eben nicht (lacht). Denn New Work hat, neben vielen anderen Faktoren, ja auch mit der Gestaltung des Arbeitsplatzes zu tun. Wir sammeln jetzt die nötigen Learnings für unseren Umzug in ein neues Gebäude, in dem es nicht nur freie Schreibtische geben soll, die man buchen kann, sondern auch feste Arbeitsplätze für diejenigen, die das bevorzugen. Auch, was die Umgebung angeht, in der jede*r am besten arbeiten kann, wird es Unterschiede geben. Ziel ist es, dass in einer Buchungs-App dann auch nur noch die Plätze angezeigt werden, die zum individuellen Arbeitsstil passen.
Nach der sechsmonatigen Testphase haben Sie die 35-Stunden-Woche nun fest etabliert. Was war eigentlich der Anlass für den Test?
Durch Corona waren plötzlich Dinge möglich, die es vorher nur unter Vorbehalt gab. Wir mussten remote arbeiten, niemand hatte mehr eine Wahl. Auch wenn es bei uns auch schon vor Corona New-Work-Ansätze gab, war das schlussendlich der ausschlaggebende Punkt, sie richtig anzupacken, oder der Beschleuniger.
Wie definieren Sie New Work bei Crossmedia?
Wir sprechen lieber von Future Work, denn New Work steht oft nur für bunte Möbel und Turngeräte. Es hat aber noch eine ganz andere Dimension. Future Work heißt nicht, dass wir nur noch relaxt und ohne Ziele arbeiten, sondern es ist der Versuch, die Bedürfnisse der Kund*innen und der Mitarbeitenden mit unserer Kultur unter einen Hut zu bringen. Da geht es darum, die Freiräume, die wir durch Corona erfahren konnten, sinnvoll einzusetzen. Das ist ein großer Gewinn für die Mitarbeitenden. Es geht auch um interne Dinge wie den Führungsstil, die Art des Umgangs, transparente Kommunikation nach innen und außen, Identifikation, Architektur, das Miteinander, Zielführung. Eine große Gemengelage.
Sie sagen, die neuen Freiräume sind ein Gewinn für viele Mitarbeitenden. Doch am Ende müssen ja die Kund*innen zufrieden sein – wie können auch sie gewinnen?
Wenn wir für die Mitarbeitenden die richtige – keine pauschal richtige, sondern ihre individuell richtige – Arbeitsumgebung herstellen, dann entstehen viel eher Höchstleistungen, die am Ende den Kund*innen zugutekommen. 35-Stunden-Woche und flexibles Arbeiten bedeuten nicht, dass Kund*innen plötzlich nach 16 Uhr niemanden mehr erreichen. Wenn jemand früher Schluss macht, übernimmt jemand anderes und das sprechen die Teams untereinander ab. Da zählt das Verantwortungsgefühl, das alle miteinander haben. Das ist aber kein neues Phänomen, sondern war bei uns schon immer so. Die neue Freiheit bedeutet übrigens nicht, dass alle das tun können, was sie gerade wollen. Sondern dass sie nicht das machen müssen, was sie nicht wollen. Wer sich eine Freiheit nimmt, muss dafür sorgen, dass die Freiheit des anderen nicht eingeschränkt wird und die Kunden gut betreut sind. Das erwarten wir.
In einer Pressemitteilung beschreibt Crossmedia die Testphase für das Future-Work-Konzept als „gewagt, getestet, geglückt“. Warum war das ein Wagnis, welche Vorbehalte gab es?
Alle anfänglichen Befürchtungen sind nicht eingetreten. Etwa die schlechtere Erreichbarkeit der Kund*innen, ein Urlaubsstau am Ende des Jahres, oder die Tatsache, dass man sich gar nicht mehr sieht. Das haben wir ernstgenommen, aber wenn wir es nicht getestet hätten, hätten wir nie erfahren, dass das alles gar nicht eintritt. Auch das Thema 35-Stunden-Woche: Natürlich hatten viele Angst, dass sie jetzt die gleiche Arbeit in weniger Zeit schaffen müssen. Es hätte schon sein können, dass wir in der Testphase feststellen, dass wir neue Leute einstellen müssen. Wir haben aber gesehen, dass die Mitarbeitenden im Team und auch für sich selbst die Effizienz steigern konnten und besser abwägen, was sinnvoll ist und was nicht. Es wird mehr priorisiert, fokussiert und anders gearbeitet.
Die Mitarbeitenden können ihre 35 Stunden flexibel auf sechs Tage verteilen. Warum dieses Modell und nicht etwa eine Vier-Tage-Woche?
Wir wollten eine Verknappung der Arbeitszeit gleichzeitig auf mehr Tage ausdehnen als vorher. Wir haben immer mehr internationale Kund*innen, die es auch schätzen, mal samstags zu telefonieren. Und wer vorher ein schlechtes Gewissen hatte, wenn er montags später ins Büro kam, weil er samstags einen Call hatte, macht das jetzt ganz offiziell. In unserem Zeiterfassungssystem sieht jeder auch immer, wie viel Arbeit er schon geleistet hat und wann es Zeit wird, runterzufahren. Wobei man sagen muss, dass der Samstag nach wie vor nur in Ausnahmefällen genutzt wird. Für die absolute Mehrheit unserer Leute geht die Arbeitswoche von Montag bis Freitag. Aber auch da ist jetzt wesentlich mehr Flexibilität drin als vorher.
Welche Herausforderungen gibt es aktuell noch?
Wir müssen vor allem einen guten Einklang finden zwischen dem Austausch über Teams, dem Gemeinschaftsgefühl und dem persönlichen Austausch. Da stehen wir noch am Anfang. Das Büro muss neu belebt werden. Das heißt aber nicht, dass wir die Leute „zurück ins Büro“ holen müssen. Sondern wir wollen, dass die Menschen wieder zusammenkommen wollen. Und dass nicht alles Neue an alten Kriterien gemessen wird. Zurück ins Büro heißt nicht mehr fünf Tage in der Woche am Schreibtisch sitzen, sondern es geht um gemeinsame Erfolgserlebnisse, den Austausch. Das Büro spielt heute eine andere Rolle. Jetzt müssen wir herausfinden, was das genau heißt.
Welchen Rat geben Sie Unternehmen, die das Thema New Work anpacken wollen und vielleicht nicht genau wissen, wie?
Es muss schon ein Wille zur Veränderung da sein, und zwar gepaart mit dem Thema Kultur. Man kann nicht New Work anbieten wollen, wenn man keine offene Kommunikationskultur hat. Starre Hierarchien lassen sich nicht einfach durch bunte Möbel auflösen. Und umgekehrt darf man New Work nicht mit Open Office verwechseln, dann vegetiert man nur noch dahin. New Work wird nicht verordnet, sondern muss von allen gemeinsam gelebt werden!
Spüren Sie schon, ob sich das Future-Work-Konzept auch am Arbeitsmarkt auswirkt?
Wir merken, dass wir anders wahrgenommen werden als andere. Und auch das ist eines der Learnings aus der Testphase: Es gab Vorbehalte, dass wir nur noch Bewerbungen bekommen von Menschen, die keine Lust auf Arbeiten haben. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es haben sich nur die richtigen Kandidat*innen beworben, und das nicht wegen der 35-Stunden-Woche, sondern weil ihnen das Grundprinzip gefällt. Weil sie erkannt haben, dass hier der Mensch im Mittelpunkt steht. Und das, ohne dabei zu verschleiern, dass es am Ende immer noch um eines geht: die Arbeit.