Von Europa Bendig
Wie steht es um Ihren Energiehaushalt zu Beginn des neuen Jahres? Welche großen Veränderungen planen Sie für sich und Ihr Unternehmen? Oder ermüdet Sie schon meine Frage? 70 Prozent der Deutschen nennen weniger Stress und mehr Zeit mit der Familie und Freunden als Ziel. Arbeit, Wettbewerb, Karriere, finanzieller Erfolg sind offenbar keine Narrative, die uns 2022 ziehen.
Vielleicht lieben Sie wie ich gute Storys. Wir Menschen sind ja erzählende und zuhörende Wesen. Und die Welt ist ein sich ständig neu schreibendes Narrativ. Daher lohnt es sich sehr, den Forscher*innen der narrativen Transformation zu lauschen. Ihnen zufolge ist ein vorherrschendes Narrativ in unserer Kultur aktuell: „A monster is in the house.“
Blake Snyder beschreibt dieses Narrativ in seiner Zusammenfassung der universellen Masterplots. Ein Psychothriller, ein Narrativ der Angst vor einer unsichtbaren Bedrohung aus den eigenen Reihen. Wie das Monster in „Alien“ ist der Feind bereits an Bord. Er kann verschiedene Formen annehmen: Digitalisierung, Klimakatastrophe, Viren, Zulieferengpässe, Social-Media-Trolle und viele mehr.
Michael Müller ist Leiter des Instituts für Angewandte Narrationsforschung an der Hochschule der Medien Stuttgart. Er konstatiert, es sei „eines der geschlossenen Narrative, die Veränderungen von Kulturen oder Organisationen erschweren“. Als Verhaltensforscherin kann ich nur zustimmen – Angst kann Menschen zwar zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Sie ist als Antrieb und Führungstool aber ungeeignet, da sie Eigenantrieb und Kreativität versiegen lässt.
Welches Narrativ bringt die Lösung?
Und welches Narrativ führt uns nach vorne und raus? Beispielsweise die Suche nach dem „goldenen Vlies“ wie in den Geschichten „Der Herr der Ringe“ oder „Der Zauberer von Oz“. Wichtige Elemente sind laut Snyder „the road, the team, a prize“. Ein ungleiches Team bricht auf und macht sich auf eine beschwerliche Reise, geleitet von einer großen, manchmal trügerischen Hoffnung. Laut Professor Müller ein „offenes Narrativ“, welches Unternehmen und Kulturen einen Aufbruch ermöglicht.
Auch die Verhaltensforschung kann belegen, dass Visionen und Bilder Menschen ziehen und ihr Verhalten ändern können. Und wir wissen ja alle, wir sollten und müssen in eine bessere, regenerativere, sozialere Welt aufbrechen. Der Weg erscheint aber unbequem und beschwerlich, und für die meisten ist das Ziel, der persönliche „Price“, nicht greifbar. Kein Wunder, wenn uns da die Energie fehlt.
Hier meine erste Idee, wie das Narrativ „goldenes Vlies“ vielleicht doch Aufbruchsenergien erzeugen kann:
- Indem Sie Ihre Wünsche oder Vorstellungen im Kleinen einfach mal ausprobieren und schauen, was Ihnen wirklich Erfüllung gibt („the prize“).
- Indem Sie sich mehr Diversität aussetzen und gemeinsam im heterogenen Team neue Energien freisetzen („the team“).
- Indem Sie statt der großen Ziele lieber die ersten Schritte in die zukünftige Gegenwart definieren („the road“).
Ich finde, wenn man das Monster schon im Haus hat, fällt einem ein solcher Aufbruch deutlich leichter. Haben Sie ein gutes Jahr. Wir sehen uns auf dem Weg.
Unsere Kolumnistin Europa Bendig ist Managing Director der Hamburger Research- und Transformationsagentur Sturm und Drang.
Die Kolumne erschien zuerst in der Januar-Printausgabe der absatzwirtschaft.