Von Nils Jacobsen
Es sah nach einem furiosen Coup aus: Um mehr als acht Prozent schoss die Twitter-Aktie Donnerstag nach Handelsschluss empor, nachdem die Meldung von der Ablösung von CEO Dick Costolo durch Jack Dorsey die Runde machte. So beliebt Costolo bei Mitarbeitern war, so verhasst war er nach immer größeren Verlusten an der Börse.
Doch der Jubel verhallte schnell wieder. Am Ende des Handelstags am Freitag blieb gerade mal ein Plus von ganzen 4 Cent hängen – die Gewinne der Twitter-Aktie waren auf 0,11 Prozent zusammengeschmolzen. Die Vorschusslorbeeren waren damit in ganzen 6,5 Stunden zunächst einmal wieder aufgebraucht.
Die Twitter-Story: Jack Dorsey scheiterte zunächst…
Dabei gilt Dorsey als ausgemachter Hoffnungsträger. Dem inzwischen 38-Jährigen setzte New York Times-Reporter Nick Bilton in seinem Enthüllungsbuch „Hatching Twitter: A True Story of Money, Power, Friendship, and Betrayal“ (Deutsch: „Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat“) bereits ein fragwürdiges Denkmal.
Bilton schilderte Dorsey als hoch emotionalen Tausendsassa, der immer wieder damit kokettierte, dass Mode Design seine wahre Berufung wäre und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit Steve Jobs-Zitaten um sich warf. Etwa, als der frühere CEO, der 2008 wie Jobs einst bei Apple aus dem Amt gedrängt worden war, 2010 wieder in den Verwaltungsrat zurückkehrte. Größter Promoter der Rückkehr seinerzeit: Dick Costolo.
…und kehrte dann im Stil von Steve Jobs zurück
Weitere fünf Jahre später scheint die Blaupause zu Steve Jobs nun komplett: Wie der Apple-Gründer baute sich Dorsey in seinen „Wilderness Years“ mit dem Bezahldienst Square, der nach jüngsten Branchengerüchten noch dieses Jahr an die Börse gehen dürfte, ein eigenes Unternehmen auf, so wie Jobs seinerzeit mit NeXT und wenig später Pixar. Wie Jobs, der NeXT später an Apple verkaufte und damit seine Rückkehr vorbereitete, blieb Dorsey Twitter weiter verbunden – diesmal zunächst im Hintergrund im Verwaltungsrat.
Der Moment, aus dem Schatten zu treten, kam nun vergangenen Donnerstag – und das in der gleichen Manier wie Jobs 1996 zunächst als Berater zu Apple zurückkehrte und dann nach gewonnenem Machtkampf gegen den damaligen Apple-Chef Gil Amelio als Interims-CEO.
Interims-CEO: Weitere Blaupause aus dem Lehrbuch von Steve Jobs
Genau diese Seite aus dem Lehrbuch seines großen Vorbilds riss sich nun auch Dorsey mit seinem Coup heraus: Er kehrte zurück als Interims-CEO. So zumindest lautete die Sprachregelung, der sich Twitter bediente – nicht zuletzt auch, weil Dorsey weiter als CEO von Square fungiert.
In der Praxis bekommt Dorsey damit einen Blankoscheck ausgestellt: Er kann das nächste Jahr wirken und den kriselnden 140-Zeichen-Dienst nach Belieben umgestalten. Geht das Unterfangen auf, streicht Dorsey den Interimstitel, gibt den Vorstandsposten bei Square nach erfolgtem IPO ab und lässt sich in einem Jahr als Mann feiern, der Twitter rettete – als der neue Steve Jobs.
Jack Dorsey kann in neuer Rolle nicht verlieren
Geht es schief, gibt Dorsey den Mann des Übergangs, der wenig später bei Twitter einen harten Sanierer präsentiert – und sich bei Square wieder ins gemachte Nest setzen kann. Er kann dabei nicht verlieren.
Wie sehr dem Seriengründer aber an der langfristigen Beschäftigung an der Spitze von Twitter gelegen zu sein scheint, konnte Dorsey im Interview zur Amtsübernahme mit dem Business Insider kaum verhehlen: gleich zweimal wich er der Frage nach der Dauer seines Engagements aus.