Neue Mobilitätskonzepte: Acht Thesen zur Relevanz der Automarke

Auf dem Genfer Autosalon feierten Hersteller und Publikum die Automarke: Über 70 Marken gaben sich ein Stelldichein. Für Furore sorgen derzeit aber nicht nur neue Modelle, sondern auch neue Mobilitätskonzepte. Die sind flexibler, individueller und oft auch pragmatischer. Das Produkt Auto entwickelt sich zum Service. Welche Rolle spielt in diesem Kontext die Marke? Bleibt sie relevant oder zählt am Ende nur noch, dass man von A nach B kommt?
Die Automarke der Zukunft definiert sich nicht allein über Produktdesign oder PS-Zahlen, sondern zunehmend über ihre Services.

Ein Gastbeitrag von Dr. Matthias Hüsgen

Neue Mobilitätskonzepte boomen. Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing oder Auto-Abos befinden sich an der Schwelle zur Massenmarktfähigkeit. Ihr Erfolg beruht dabei auf den sich wandelnden Ansprüchen der Kunden. Dazu gehören etwa eine hohe Flexibilität, die Scheu vor langfristigen Investitionen und eine hohe Erwartung an mobile Service-Erlebnisse. Neue Bedürfnisse erzeugen neue Angebote, wie beispielsweise Care by Volvo, Mercedes me Flexperience oder Moiavon VW, um nur einige zu nennen. Porsche hat gerade angekündigt, seine Sportwagen seien jetzt auch im Abo erhältlich. Das heißt: Flexibler Wechsel auf ein anderes Modell oder eine andere Marke – je nach Wunsch oder Saison. Da längst nicht nur die Hersteller mitmischen, wird der Mobilitätsmarkt zunehmend unübersichtlich. In Deutschland agieren mittlerweile über 165 Carsharing-Anbieter.

Ein ähnliches Bild beim Auto-Abo: Neben Start-ups wie Faarenoder Clunosind auch Mietwagenanbieter wie Sixt Flat oder Softwarehersteller wie fleetster oder free to move mit von der Partie. Das führt zu verschärftem Wettbewerb. Etablierte Player können nicht mehr uneingeschränkt auf existenter Markenstärke aufbauen. Sie müssen sich neu definieren und ein zeitgemäßes Markenerlebnis kreieren, das im Dschungel der unübersichtlichen Angebotsvielfalt Orientierung bietet.

Automarken unterliegen derzeit einer grundlegenden Veränderung: Sie lassen sich nicht mehr auf den reinen eindimensionalen Produktbesitz begrenzen, sondern werden zum persönlichen und situationsbestimmten Mobilitätserlebnis mit allen Sinnen. Die Automarke der Zukunft definiert sich nicht allein über Produktdesign oder PS-Zahlen, sondern zunehmend über ihre Services. Also der Driving- und User Experience entlang einer langen Customer Journey: Angefangen von der Buchung über das Fahren bis hin zu Reifenwechsel und Wartung. Indem das Markenerlebnis vielschichtiger und umfassender wird, gewinnt die Automarke im Kontext neuer Mobilitätskonzepte somit an Bedeutung.

Diese acht Thesen sollen Markenverantwortlichen Anhaltspunkte geben, um die Automarke erfolgreich durch den aktuellen Mobilitätswandel zu führen:

1. Die Automarke als Produkt-Service-Marke

Über den Erfolg einer Marke entscheiden Kunden, welche zunehmend gute Services und Zusatznutzen einfordern. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt die Taxi- und Carpool-App Dida. Sie matcht Fahrer und Mitfahrer anhand von Kriterien wie Job- oder Beziehungsstatus und verbindet damit Mobilität mit Karriere- und Beziehungschancen.

2. Mobilitätstypologien vs. Käufertypologien

Je nach Lebenssituationen legt ein und derselbe Mensch einen unterschiedlichen Fokus auf Funktionalität, Prestige und Spaß, weshalb Marken künftig Mobilitätgruppen anstatt Käufergruppen ansprechen müssen.

3. Anwenderbrille statt Entwicklerbrille

Customer-Mobility-Lifecycles werden komplexer, weshalb ganzheitliche Markenerlebnisse über unterschiedliche Nutzungsarten (Kauf, Miete, Leasing etc.) hinweg zu entwickeln sind.

4. Ubiquitous Open Door vs. Window of Opportunity

Markenerlebnisse dürfen sich nicht allein auf den Moment des Kaufs fokussieren. Sie müssen überall und stets inspirierend erlebbar sein.

5. Markenpositionierung vs. Organisationsmodell

Durch Reintegration separater Organisationsformen wie Drive, Moia oder Audi Business Innovation werden etablierte Herstellermarken zu einer umfassenden, integrierten Mobilitätsmarke.

6. Themenübergreifende Erlebnisse vs. vereinzelter Touchpoints

Markenführung muss alle Kontaktpunkte in die Erlebnisgestaltung integrieren. Beispielsweise indem durch Kooperationen mit Servicepartnern Marken-Ökosysteme aufgebaut werden, wie beispielsweise durch die Kooperation von Porsche mit Cluno.

7. Agile Markenführung vs. Markendogma

Hochdynamische Märkte erfordern Agilität und damit die Freiheit, sich flexibel anpassen zu können.

8. Die Produkt-Marke als Basis für die Produkt-Service-Marke

Im Brand-Driven Innovation Prozess wird die Produkt-Marke zur Basis der Markenweiterentwicklung hin zur die Produkt-Service-Marke. Dabei sollte an allen Kontaktpunkten auf Brand Fit geachtet werden.

 

Dr. Matthias Hüsgen ist Managing Partner bei der Münchener Markenberatung Blackeight, einem Experten für Markenstrategie, Branding, strategische und operative Markenführung sowie Customer Experience.