Ursprünglich verfolgten Weblogs als Online-Tagebücher berichtend und kommentierend die Entwicklungen in der Web- und Weblog-Welt oder spiegelten, wie traditionelle Print-Tagebücher auch, die persönlichen Befindlichkeiten und Interessen des Autors wider. Die meisten der 40 000 Weblogs widmen sich immer noch diesen Themen. (Die Zahlen über Weblogs schwanken etwas: eine Berlecon-Studie im September 2004 zählte 60 000 bis 75 000 Weblogs in Deutschland, die sich um 15 Prozent pro Monat vermehren, Blogstats listet zurzeit 43 000 Online-Journale auf, rund 1000 neue starten pro Woche.)
Immer mehr Weblogs lösen sich jedoch aus dem Privaten und dem engeren Webbezirk und schreiben über politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen. In den USA haben sich die Blogger bereits zu einer (Meinungs-) Macht entwickelt, die neben den traditionellen Medien die öffentliche Diskussion in vielen Lebensbereichen – und eben auch in der Welt der Wirtschaft und der Unternehmen – beeinflusst und (mit-) bestimmt.
Technisch betrachtet, ist ein Weblog ein einfaches Content Management System, mit dem Blogger ohne jegliche HTML-Kenntnisse Einträge chronologisch geordnet im Web veröffentlichen. Der aktuellste Beitrag steht oben auf der Seite und wandert mit jedem neuen Beitrag nach unten. Schließlich landet er im Archiv, das in leistungsfähigen Weblog-Systemen mit einer internen Suchfunktion, auf jeden Fall aber mit Google oder anderen Suchmaschinen, durchforstet werden kann.
Zur Grundausstattung gehören weiter eine Kommentarfunktion, um Lesern ein direktes Feedback zu den Einträgen zu erlauben, und ein „Trackback-Mechanismus“. Mit einem Trackback signalisiert ein Blogger, dass er sich in seinem eigenen Weblog auf den „getrackbackten“ Blog-Eintrag bezieht.
Weblogs stehen nicht nur auf einer Website. Ihre Einträge verbreiten sich auch über „RSS-Feeds“. Sie beschreiben die Inhalte eines Weblogs im XML-Format. Spezielle News-Reader oder neuere E-Mail-Programme holen sich abonnierte Feeds selbstständig von den Webseiten und präsentieren dem Leser die Inhalte vieler Weblogs konzentriert und übersichtlich in einer Software. Interessenten müssen ein Weblog so nicht mehr direkt ansurfern, um sich zu informieren. Sie behalten ohne großen Aufwand eine große Anzahl von Weblogs im Auge und können gegebenenfalls auf neue Einträge reagieren.
Aus der Vogelperspektive betrachtet, bilden aktive Weblogs die Knotenpunkte eines mit Trackbacks und Direktverlinkungen geknüpften Netzes von Meinungen, Kommentaren, Beschreibungen und Informationen, das in seiner Gesamtheit die „Blogosphäre“ bildet.
Die Punkte auf der Unternehmensagenda
Für die Unternehmensagenda ergeben sich aus dem „Phänomen“ Weblog zwei wichtige Punkte:
- Das Weblog als neues Instrument für die Marketingkommunikation
- Die Blogosphäre als „Multiplikatoren-Öffentlichkeit“ mit der Macht, Meinungen über ein Unternehmen und seine Produkte zu beeinflussen, zu formen und zu verbreiten.
Blogosphäre mit massenmedialer Wirkung
Zwar hat in Deutschland noch kein einzelnes Weblog solch einen Einfluss, wie dies in den USA der Fall ist, wo auch schon prominente Fernsehmoderatoren über Webveröffentlichungen gestolpert sind. Aber die Blogosphäre als Ganzes kann auch in Deutschland durchaus massenmediale Wirkung entfalten. Denn Neuigkeiten pflanzen sich in der Blogosphäre durch Trackbacks, Kommentare, Verlinkung und RSS-Feeds rasend schnell fort. Suchmaschinen, die begriffsreiche, stark verlinkte Weblog-Einträge sehr weit oben in den Ergebnislisten platzieren, und Journalisten traditioneller Medien, die Weblogs als Recherchequelle nutzen, sorgen dann für die Diffusion der Inhalte in die breitere Öffentlichkeit.
Der inzwischen berühmte und dargestellte Fall des Klingeltonverkäufers Jamba hat im Dezember 2004 illustriert, wie dies funktioniert: Ein kritischer Weblog-Eintrag über die angeblich unlauteren Geschäftspraktiken beim Verkauf von Klingeltönen an Jugendliche löste zunächst in der Blogosphäre eine Jamba-kritische Eintragswelle aus. Dies veranlasste dann auch etablierte Medien wie den Spiegel oder die FAZ dazu, über Jamba und seine Geschäftspraktiken (und über die Macht der Weblogs) zu berichten. Noch heute taucht diese Geschichte in den Google-Ergebnislisten beim Suchbegriff Jamba auf der ersten Ergebnisseite auf.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie die Blogosphäre als vormedialen Raum genauso zum Gegenstand ihres Issue-Managements machen müssen wie die etablierte Medienlandschaft auch. Geht man davon aus, dass sich Weblogs hierzulande ähnlich entwickeln wie in den USA und dass täglich hunderte neue Weblogs in Deutschland entstehen, ist diese Aufgabe nicht mehr nur wichtig, sondern auch dringlich. Positiv gewendet, stellt die Blogosphäre natürlich auch eine hervorragende Informationsquelle für die Marktforschung dar. Denn hier werden Trends sichtbar, bevor sie sich zum Mainstream verbreitern, lassen sich Meinungsbilder über Produkte, Personen und Unternehmens analysieren, bevor sie die breitere Öffentlichkeit erreichen.
Kommunizieren mit Weblogs
Interessanter noch als die sich gerade formende Weböffentlichkeit der Blogosphäre dürften die Möglichkeiten sein, die Weblogs als innovatives Instrument für die Unternehmenskommunikation bieten. In Deutschland gibt es bereits erste Corporate Weblogs, aber sie haben durchweg Pioniercharakter für ihre jeweilige Branche.
Der Unified-Messaging-Anbieter MCA veröffentlicht beispielsweise auf seinem Unified-Messaging-Blog Fachaufsätze, kommentiert Entwicklungen in der Branche und setzt sie in Beziehung zu den eigenen Konzepten und Lösungen. SAP lässt seine Management-Mannschaft via Executive Blogs kommunizieren, bei Sun bloggen neben dem COO und Präsidenten die Chefs der Entwicklungsdepartments.
Als gängiger Bestandteil des Kommunikationsmix haben sich Weblogs noch nicht etabliert. Dabei stellen sie vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen ohne große Marketingbudgets ein hervorragendes Medium dar, um ihre Zielgruppe direkt kommunikativ zu erreichen.
Mit Weblogs verbreiten und kommentieren Unternehmen Informationen aller Art in „Echtzeit“: Geschäftszahlen, Produktmeldungen, Hinweise auf Presseerwähnungen, Personalien, Fachaufsätze, Case Studies, Statements zu wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen, Linktipps oder schnelle Reaktionen auf aktuelle Ereignisse. Sie kommunizieren alles, was neu und aktuell sowie von allgemeinem Interesse für die avisierte Zielgruppe ist (also nicht unbedingt nur reine Unternehmensinformationen). Zusammengehalten werden alle Einträge durch die chronologische Ordnung und die definierte Perspektive des Weblogs.
Weblogs im Vergleich der Kommunikationsinstrumente
Gegenüber dem Newsletter hat das Weblog den Vorteil, dass es nicht verschickt werden muss – Stichwort Spam – und dass es eine wesentlich schnellere Publikationsgeschwindigkeit erlaubt. Auch kleine Meldungen können „mal eben“ publiziert werden, ohne auf die kommende Newsletter-Ausgabe im nächsten Monat zu warten, wenn der Anlass längst vergessen ist.
Im Vergleich zu Pressemeldungen erlaubt das Weblog einen größeren Spielraum bei der Themenauswahl und der Gestaltung der Texte. Darüber hinaus „spricht“ das Online-Journal direkt die Zielgruppe an, ohne dass ein „medialer“ Filter dazwischen geschaltet ist. Auch Schnelligkeit ist hier ein Thema: Veröffentlichungen auf der Basis einer Pressemeldung ziehen sich in der Fachpresse oft über drei Monate hin, was etwa bei der Einführung eines neuen Produkts ärgerlich ist. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen, denen die Journalisten ihre Pressemeldungen nicht immer aus der Hand reißen, kann das Weblog deshalb ein unterstützendes Sprachrohr sein, mit dem sie medienunabhängig ihre Zielgruppe erreichen – wenn es konzeptionell und inhaltlich klug gestaltet ist.
Gegenüber allen anderen Medien für die Marketingkommunikation haben Weblogs einen weiteren massiven Vorteil: Sie sind absolut suchmaschinenfreundlich und sorgen für gute Platzierungen in den Ergebnislisten: Weblogs werden häufig aktualisiert, sind voll von relevanten Suchbegriffen und sind, wenn sie erfolgreich sind, über Trackbacks und Links stark vernetzt – alles Kriterien, nach denen Google die Relevanz von Suchergebnissen bewertet. Das Unified-Messaging-Blog hat MCA beispielsweise innerhalb von einer Woche auf der ersten Google-Ergebnisseite zum Begriff Unified Messaging platziert – ohne jegliche Suchmaschinenmanipulation.
Weblogs laden über die Feedback-Mechanismen Trackback und Kommentar den Leser zur persönlichen und öffentlichen Stellungnahme ein. Jeder Eintrag ist damit nicht nur ein Unternehmensstatement, sondern die potenzielle Eröffnung eines öffentlichen Gesprächs. Als dialogische Kommunikationsinstrumente folgen Weblogs damit der zentralen These des Cluetrain-Manifests, dass Märkte Gespräche sind.
Weblogs können die traditionellen Offline- und Online-Medien der Unternehmenskommunikation sicherlich nicht ersetzen, ergänzen sie aber hervorragend. Aber das Management von Weblogs ist nicht trivial und ohne Tücken. Im nächsten Beitrag erklären wir, wie Sie ein erfolgreiches Weblog aufsetzen und für welche Zwecke Sie es konkret einsetzen können. Zum Beispiel zum Aufbau eines Expertenstatus im Markt, als persönliches Kommunikationsinstrument für Sprecherpersönlichkeiten wie Geschäftsführer oder Entwicklungsleitung oder eben als universellen Newskanal mit eigener Tonalität, der die Markenpersönlichkeit des Unternehmens unterstützt.
Hartmut Giesen ist Journalist und publiziert regelmäßig praxisorientierte Beiträge zu Strategie, Marketing, Management und Wissenschaft/Technik.
Weblogs II: Potential für Experimente
eingestellt am 24. September 2005