Facebook erfindet sich wieder einmal neu. Was Mark Zuckerberg vergangene Woche in einem 3000 Worte langen Blogpost verkündete, kann man getrost als einen der radikalsten Einschnitte in der fünfzehnjährigen Konzerngeschichte verstehen.
“Ich glaube, dass sich die Zukunft der Kommunikation in private, verschlüsselte Dienste verschieben wird, in denen Menschen darauf vertrauen können, dass das, was sie sagen, sicher ist und ihre Nachrichten und Inhalte nicht ewig verfügbar sind”, erläutert der 34-Jährige das neue Unternehmensmantra.
Es ist eine bemerkenswerte 180-Grad-Wende vom „Die-Privatsphäre-ist-vorbei“-Zeitalter, das Zuckerberg 2010 im Zuge der immer größeren Bedeutung des Newsfeeds proklamierte. Von endlosen Daten- und PR-Skandalen um Cambridge Analytica & Co. gebeutelt, vollführt der wendige Konzernchef nun die große Rolle rückwärts und setzt mit seinen Messenger-Diensten künftig auf die Kommunikation im Privaten. „Privatsphäre gibt Leuten die Freiheit, sie selbst zu sein und sich auf natürlichere Weise zu verbinden“, verkauft Zuckerberg den Umbau des Social Networks einmal mehr im Sinne der Nutzer.
Facebook rüstet sich für das Post-Newsfeed-Zeitalter
Allein: Es fehlt Zuckerberg nach unzähligen Datenschutz-Desastern die Glaubwürdigkeit. „Zuckerberg interessiert sich einen Sch… um eure Privatsphäre. Hat er nie, wird er nie“, wird Marketing-Professor Scott Galloway am Wochenende einmal mehr deutlich. Was verspricht sich Zuckerberg nun also von dem Schachzug, zumal das weltgrößte Social Network bislang exzeptionell am Anzeigengeschäft des Newsfeeds und der Unternehmensseiten verdient hat?
Man kann die Neuausrichtung als durchaus defensiv verstehen. In den USA und Europa verbucht das weltgrößte Social Network praktisch keinen Nutzerzuwachs mehr. Die Kritik am werbegetriebenen Geschäftsmodell des Newsfeeds, in dem Fake News mit dem Einsatz fünf- bis sechsstelliger Summen Millionen Nutzer erreichen können, hat in den vergangenen zwei Jahren massiv zugenommen. Es erscheint entsprechend absehbar, dass das Wachstum im Newsfeed endlich ist.
Was wird aus Facebooks datengetriebenem Anzeigenmodell im Newsfeed?
Dass Zuckerberg die Zukunft des Social Networkings abseits des linearen Newsfeeds sieht, hat der 34-Jährige bereits in vergangenen Telefonkonferenzen mit Analysten angedeutet, als er erklärte, das Stories-Format wäre Facebooks Zukunft. Nun geht der Facebook-CEO noch einen Schritt weiter und erklärt, die Kommunikation werde künftig „im digitalen Wohnzimmer“ stattfinden: also in Facebooks Messengerdiensten – und das sogar verschlüsselt und mit automatischer Löschfunktion.
Angesichts eines Werbegeschäfts, das im vergangenen Geschäftsjahr mehr als 55 Milliarden Dollar erlöst hat, könnte der Einschnitt massiver kaum sein – auch wenn er erst mittelfristig erfolgen soll. Den Löwenanteil der Werbeerlöse fährt Facebook schließlich durch seine gesponserten Posts und maßgeschneiderten Anzeigen im Newsfeed ein, die es, basierend auf den unzähligen Nutzerdaten, so zielgruppengenau wie wohl kein zweiter Werbedienstleister ausspielen kann.
Das goldene Targeting-Zeitalter könnte im Messenger vorbei sein
Verlagert das weltgrößte Social Network nun das Geschäftsmodell in seine Messengerdienste, in denen der Austausch von Nachrichten verschlüsselt erfolgen soll, stellt sich die Frage, ob Facebook das Erfolgsmodell seiner datengetriebenen Anzeigen im Newsfeed so einfach wiederholen kann.
Facebook dürfte künftig – wie bereits jetzt vereinzelt – im Messenger einerseits in der Nachrichtenübersicht Anzeigen einblenden; andererseits erscheinen Werbeeinblendungen innerhalb von Nachrichten absehbar. Für Werbetreibende könnte das goldene Targeting-Zeitalter ohne die bislang vorhandenen Nutzerinformationen aus dem Facebook-Profil bei verschlüsselten Nachrichten jedoch vorbei sein.
Bereits zwei Millionen Werbekunden in Messenger-Diensten
Was bleibt, ist ein verschärfter Fokus auf das Stories-Format, das Facebook mit der Macht seiner Reichweite in alle drei Messenger-Dienste – Instagram, WhatsApp und den Facebook Messenger – gedrückt hat. Wie Mark Zuckerberg am Rande der jüngsten Quartalsbilanz mitteilte, schalten bereits zwei Millionen Werbekunden bis zu 15 Sekunden lange vertikale Anzeigen im Stories-Format der Facebook-Familie. Für zusätzliche Erlöse konnte unterdessen der Vorstoß in den Bereich der Bezahldienste sorgen, den Zuckerberg in seinem Post gleich viermal andeutete.
Von werbetreibender Seite ist das erste Echo auf Facebooks Messenger-Umbau, durch den Nutzer plattformübergreifend alle drei Dienste erreichen können, durchaus positiv. „Es spart Kosten“, erklärt etwa Noah Mallin von WPP-Tochter Wavemaker gegenüber dem Branchenorgan AdAge. „Warum für verschiedene Plattformen entwickeln, wenn man alles in einem Backend vereinheitlich werden kann?“
Auch die Wall Street scheint sich nicht um die Fokus-Verlagerung auf die Messenger-Dienste zu sorgen. In den zwei Handelstagen, die seit Mark Zuckerbergs wegweisendem Post vergangen sind, hat sich die Facebook-Aktie nicht schlechter als die Technologiebörse Nasdaq entwickelt.