Vor zwei Wochen hat der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil zum Adblock-Anbieter Eyeo gefällt. Demnach sind Werbeblocker rechtens. Wie bewerten Sie das Urteil?
Es war überraschend, wie eindeutig die Richter in Karlsruhe entschieden haben. Denn im Vorfeld waren einige Juristen unentschieden, wie es ausgehen könnte. Nachdem das Gericht einige Feststellungen zum Wettbewerbsrecht getroffen hatte, war es allerdings eindeutig, dass das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb nicht gegen Adblocker eingesetzt werden kann.
Der Kläger Axel Springer gibt sich nicht geschlagen und möchte vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Erfolgschancen werden als eher gering angesehen. Welche Konsequenzen hat das Urteil für die Branche, sollte es rechtskräftig werden?
Es bleibt so, wie es bereits ist. Im Vorfeld hatte mir Axel Springer gesagt, vielleicht können sie die Adblocker-Sperre aufheben, wenn der BGH für den Verlag entscheidet. Das hat er nicht gemacht, also bleiben die Adblocker-Sperren erhalten.
Eine künftig verstärkte Orientierung der Medienhäuser hin zu Paywalls sehen Sie nicht?
Bereits seit zwei Jahren ist der Trend zu Paywalls für jeden sichtbar. Ich hatte nicht den Eindruck, dass jedes Medienhaus großes Vertrauen in den Prozess gegen Eyeo hatte. Nach den ersten Instanzen war es klar, dass der Kampf schwer wird. Ich hatte auch wenige Argumente von Verlagsseite gehört, die mich tatsächlich überzeugt hätten. Von daher bestätigt das Urteil nur eine bereits bestehende Entwicklung.
Ein Skandal, der uns seit Ende März begleitet, ist der um Facebook und Cambridge Analytica, bei dem Werbetreibende die Daten von Millionen Nutzern abgegriffen haben. Handelt es sich dabei um eine Zäsur für die Werbebranche?
Es hat auf alle Fälle für Aufmerksamkeit gesorgt. Allerdings haben wir in den letzten Wochen gesehen, dass die Leute nicht massenhaft aufgehört haben, Facebook zu nutzen. Was in der Diskussion zu diesem Skandal etwas zu kurz kommt, ist ein allgemeiner Trend in der Werbebranche, nämlich dem Trend zum Billigen.
Was meinen Sie damit?
Cambridge Analytica hat im Prinzip versprochen, dass sie besseres Targeting betreiben als Facebook. Dieses Versprechen konnten sie nach jetzigem Stand nicht erfüllen. Aber dadurch dass sich die Firma so viele Nutzerprofile verschafft hatte, war es ihr möglich, billiger Werbung zu schalten, als es der Konkurrenz möglich war. Viele Entwicklungen in der Werbebranche lassen sich darauf zurückführen, dass es einen Preiskampf nach unten gibt. Wenn man mit dem Preis runter geht, bekommt man viele Kunden, egal wie schlecht das Werbeumfeld ist oder mit wem man zusammenarbeiten muss. Der billige Preis treibt die Entwicklung zum Schlechten.
Sie haben die Entwicklung der Branche umrissen. Welche Folgen aus dem Datenskandal wären für Werbetreibende aber auch für Plattformbetreiber wichtig?
Seit fünf Jahren höre ich auf Werbemessen Bekenntnisse zu besserer Qualität. 2015 hat der globale Werbeverband, IAB, sogar ein öffentliches Schuldbekenntnis abgelegt. Das hieß „We messed up“. Ich habe seitdem noch nie von einem Leser gehört, der gesagt hätte, dass sich sein Werbeerlebnis gebessert hat. Daher wünsche ich mir mehr Selbstreflexion.
Können Sie das mit Beispielen belegen?
Im vergangenen Jahr habe ich über sogenannte „Nerv-Pop-Ups“ berichtet. Man surft auf einer Website und plötzlich schlägt sich ein Pop-Up darüber und man kann es nicht abschalten. In dem Pop-Up steht etwa: „Sie haben ein iPhone gewonnen.“ Wenn man auf „Ok“ klickt und nochmal auf „Ok“ wird man über drei Ecken auf Websites umgeleitet, auf denen man ein Eingabeformular ausfüllen soll, um an einer Verlosung teilzunehmen. Im Kleingedruckten steht dann, dass man bei Teilnahme seine Adresse an Dutzende Direktmarketing-Firmen weitergeben muss.
Nutzer schätzen diese Form der Pop-Ups sicherlich nicht.
Genau, eigentlich sind diese „Nerv-Pop-Ups“ in niemandes Interesse. Die Website-Betreiber müssen sie hassen, weil die Leser sauer werden, wenn sie solche Pop-Ups sehen. Außerdem leiten sie den Nutzer von der eigentlichen Seite weg. Erst gestern hatte ich wieder so eine Werbung auf der Mobil-Website des Kölner „Express“ gesehen. Die Verlage schaffen es einfach nicht diese absolut unerwünschte, unseriöse Werbung loszuwerden.
Woran liegt das?
Das liegt zum einen an einer enormen Fragmentierung der Werbeindustrie. Das heißt, Verantwortung wird immer weiter abgeschoben. Die Verlage schalten ja kaum noch selber Werbung, sondern das läuft über Werbenetzwerke, die Werbeplätze über Echtzeitbörsen verkaufen. Diese werden wiederum von anderen Plattformen geliefert. Irgendwo am Ende können sich Betrüger mit erfundener Identität bedienen, die teils unseriöse Werbekampagnen schalten. Teils begehen solche Leute auch Betrug, indem sie Werbung auf Verlagsseiten verkaufen, in Wirklichkeit aber irgendwo anders ausspielen. Diese Betrügereien haben mittlerweile einen Umfang von Milliarden Euro pro Jahr.
An welcher Stellschraube müsste gedreht werden, damit die Werbebranche wieder seriöser wird?
Es fehlt ein offener Dialog, mehr Ehrlichkeit aller Beteiligten. Als Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress ausgesagt hat, meinte er, dass Facebook auf Tracking nicht verzichten könne, weil die Nutzer zielgerichtete Werbung wollen. Sie würden sie zwar nicht mögen, aber nicht-zielgerichtete Werbung würden sie noch mehr hassen, sagte er. Ich glaube, das stimmt so nicht. Denn wir bekommen tagtäglich so viel schlecht gezielte Werbung zu sehen, dass es sich für den Nutzer nicht lohnt dem allumfassenden Tracking zuzustimmen. Ich kann jedem nur raten, in die Werbeeinstellung von Google oder Facebook zu gucken, was einem die Weltkonzerne für Hobbys und Interessen andichten. Bei mir steht zum Beispiel, dass ich Country-Musik liebe, was gar nicht stimmt. Aufgrund dieser angeblichen Vorliebe wird mir aber Werbung angezeigt.
Jetzt haben wir bislang über die Fehlentwicklungen bei der Online-Werbung im Netz gesprochen. Gibt es denn auch positive Aspekte in diesem Zusammenspiel von Internet und Werbung?
Durch das jetzige Werbemodell wurde eine enorme Informationsfreiheit geschaffen. Wir Nutzer konnten uns quasi auf der ganzen Welt bedienen, um Nachrichten zu lesen, Analysen oder hochwertige Reportagen. Durch die jetzt immer verbreiteteren Paywalls merken wir nun erst, wie einfach es bisher war an Informationen zu kommen. Niemand wird so viele Abos abschließen, die den Zugang ermöglichen, den wir teilweise vor wenigen Jahren noch selbstverständlich kostenlos hatten. Für Geringverdiener sind mitunter schon die Kosten einer einzelnen Paywall ein Problem.
Also müssen Medienhäuser günstigere Paywalls anbieten.
Ich kann die Preisfindung der Verlage nicht genau analysieren, weil mir die Zahlen fehlen. Ich sehe nur die Entwicklung dahin, dass Informationen weniger verfügbar werden als sie es jetzt sind. Gleichzeitig sehe ich auch, wie die Werbung in unsere Kommunikation vordringt, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. Als kürzlich jeder über die Preisträger des Echos berichtet hat und auf Twitter war der Hashtag #Echo mit einem kleinen Amazon Echo-Symbol versehen, weil das gerade eine Werbekampagne des US-Konzerns war. Wir nehmen das einfach nicht mehr wahr.
Lassen Sie mich auf Grundlage der aufgezeigten Tendenzen ein Szenario entwerfen: In naher Zukunft erhält ein Teil der Nutzer im Netz qualitativ hochwertige Informationen ohne Werbung und der andere Teil bekommt unseriöse Nachrichten mit Werbung, eine Zweiklassengesellschaft.
Ganz so kann man es nicht sagen. Es gibt immer noch viele Projekte, die sich um Qualitätsberichterstattung kümmern. Außerdem gibt es immer wieder neue Akteure und öffentlich-rechtliche Angebote. Niemand wird komplett von qualitativer Information abgeschnitten, gerade in Deutschland haben wir da eine vergleichsweise gute Situation. Aber nicht jeder hat die Zeit oder Kompetenz sich gute Informationen erst zusammenzusuchen.
Torsten Kleinz beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Online-Werbung und Adblockern. Auf der re:publica hat er in seinem Vortrag über die Entwicklung des Internets im Zusammenspiel mit der Werbung gesprochen und welche Folgen künftige Gesetze in diesem Spannungsfeld haben könnten.