Herr Voss, welche Versicherungen braucht ein junger, moderner Mensch heute auf jeden Fall? Hat sich etwas geändert, in den letzten 20 Jahren, seitdem unsere Eltern quasi überversichert waren?
Ich würde Ihnen jetzt gerne etwas von der schönen neuen, digitalen Welt erzählen. Und wir werden im digitalen Modell in Zukunft sicher auch neue Versicherungsformen anbieten, die sinnvoll und wichtig für den Kunden werden – wie etwa situative Versicherungen für besondere Zeiträume oder selektive Versicherungen bzw. Ausschnittsdeckungen für abgegrenzte Risiken oder Vermögensgegenstände. Aber Sie haben mich danach gefragt, was ein moderner Mensch heute auf jeden Fall braucht. Da ist und bleibt meine Antwort klassisch: Als allererstes braucht er eine gute private Haftpflichtversicherung.
Wie schnell geht uns allen einmal ungewollt etwas schief. Das kann dann zu einem kleinen oder großen Sachschaden werden. Und ab ein paar tausend Euro wird die Situation schnell finanziell kritisch. Wer von uns kann mal eben so die Lackierung einer halben Autoseite bezahlen, weil einem der Einkaufswagen abgehauen ist? Oder – und das kommt leider auch vor – es kann zu einem Personenschaden kommen. Heilt die Verletzung beim Geschädigten aus, ist der Schadenbedarf vielleicht noch überschaubar. Aber wird ein Dritter so geschädigt, dass er bleibende Schäden erleidet oder sogar verstirbt, kommen auf den Verursacher Schadenersatzforderungen zu, die für sie oder ihn dann absolut existenzbedrohend sein können. Hier hatten unsere Eltern recht: Sicher ist sicher – und in diesem Fall kann man auch nicht von Überversicherung sprechen. Die Privathaftpflicht muss sein. Punkt.
Es mag sein, dass einige Premiumversicherungen Risiken einschließen, die den allerwenigsten von uns jemals widerfahren werden. Aber auch hier bestimmt der Markt die Nachfrage. Manchmal sind die Produkte allein schon deswegen „voll“, weil kaum ein Berater heute noch ein ganz schlankes Produkt anbieten möchte – um sich nicht später doch im Fall eines Falles in der Haftungsfrage zu sehen. In dieser Hinsicht hat sich also etwas in den letzten 20 Jahren geändert. Nämlich unser eigenes Risikoempfinden und wie wir damit umgehen. Darüber sollten wir auch einmal nachdenken.
Was machen Sie anders oder besser als die Konkurrenz wie „Element“ oder „Nexible“ von der Ergo?
Wir machen vieles anders, aber wir sehen die Kolleginnen und Kollegen nicht als Konkurrenz. Dazu ist der Markt ja viel zu groß. Ob wir wiederum Sachen besser machen, das können wir natürlich aus unserem Blickwinkel nicht wirklich abschließend beurteilen – aber unsere Produkte werden vom Markt rege angenommen. Unsere schnellen digitalen Services kommen an und die Kunden nutzen unseren digitalen Vertragsordner myNeo gut und gerne. In dieser WebApp, wir nennen sie myNeo, können die Kunden nicht nur ihre Dokumente online und jederzeit verfügbar transparent einsehen, sondern auch Änderungen vornehmen und alle Beteiligten – also auch der Vermittler – bekommen quasi in Echtzeit die Änderung sofort umgesetzt und angezeigt. Und einen Schaden über die App zu melden, ist genauso einfach. Kurzum: Wir machen vieles für den Kunden einfacher und wir reduzieren den administrativen Aufwand für den Vermittler maximal.
Wieso haben Sie sich für eine Vermarktung über Makler und Pools entschieden?
Versicherungsprodukte erklären sich manchmal, aber zu überwiegendem Teil nicht immer – und auch nicht jedem von alleine. Da kann es sinnvoll und notwendig sein, einen fachkundigen Berater an seiner Seite zu haben. Aber hier möchte ich nicht pauschalisieren. Es gibt natürlich auch Kunden, die sehr genau wissen, was sie wollen und was sie brauchen. Und für diese gibt es natürlich auch Lösungen. Aber wie bei allem im Leben: Nicht jeder ist in allem immer gut oder umfassend informiert. Daher sind wir davon überzeugt, dass es auch in Zukunft genug gute Gründe gibt, die für Beratung und den Vertrieb von Versicherungsprodukten über Makler bzw. über Pools angeschlossenen Maklern sprechen. Hier wird auf Beratungsqualität geachtet und der Kunde bekommt einen guten Überblick über seine Risikosituation und die dafür passende Absicherung.
Ich beneide keinen meiner Kollegen bei den etablierten Versicherern um ihre zum Teil sehr heterogene Technik oder Prozesslandschaft
Wie viele Menschen hat Neodigital schon versichert?
Wir sind stolz darauf, seit unserem Marktstart im April 2018 schon eine sehr große Menge an Kunden für unsere Produkte begeistern zu können. Dies zeigt, dass der Markt bereit ist, digitale Versicherer wie die Neodigital anzunehmen und dass auch die Makler und Vertriebe es schätzen und begrüßen, wenn der Versicherer ihnen administrative Aufgaben abnimmt und für sie jederzeit und von überall aus erreichbar ist.
Wie schafft man es, zu den großen Playern aufzuschließen?
Die Frage ist, ob man das überhaupt muss. Wir sind ein BaFin-regulierter Versicherer mit deutscher Lizenz. Regulatorisch haben wir also schon aufgeschlossen. Nicht alles, was die großen Player vorzuweisen haben, ist erstrebenswert. Das meine ich gar nicht despektierlich. Vielmehr bietet die konsequente Ausrichtung auf ein modernes Target-Operating-Modell einem jungen Versicherer wie uns auf der grünen Wiese viele Vorteile. Ich beneide keinen meiner Kollegen bei den etablierten Versicherern um ihre zum Teil sehr heterogene Technik oder Prozesslandschaft. Da gibt es so viele Hürden zu überwinden, die sich uns gar nicht gestellt haben. Wir kennen das sehr genau, schließlich verfügt unser Team über jahrelang erarbeitete Erfahrung in den großen Konzernen. Aus diesem Grund wissen wir en Detail, was dem Prozess dienlich ist und was nicht, oder wie ein Produkt optimal digitalisiert wird, damit auch im Schadenprozess alles schnell und auswertbar abläuft. Auch bei einem Start-Up ist Erfahrung ein guter Berater.
Generell gilt: Der Markt ist groß genug für Anbieter wie die Neodigital, die mit modernen Produkten und schnellen Prozessen ihren Anteil finden. Denn sind wir mal ehrlich: Der deutsche Versicherungsmarkt wird sich nicht von heute auf morgen komplett auf digital drehen – wenn auch die demographische Entwicklung, speziell bei den Vermittlern, deutlich für eine Veränderung spricht. Hier arbeitet also die Zeit für uns. Digitalisierung ist ein Prozess, kein Paukenschlag.
Was ist der größte Unterschied zwischen Versicherungen, die nun digitale Abbilder schaffen, und neuen komplett digitalen Unternehmen, wie Ihres eines ist?
Sie sagen es bereits, wir sind komplett digital. Wir sprechen hier von der gesamten Wertschöpfungskette eines Versicherers, wir haben ja nicht bei der „fancy App“ oder einer schicken Website aufgehört. Bei Neodigital basiert die gesamte Architektur auf einer Datenbank in einem voll integrierten Bestandssystem. Viele meinen, mit der digitalen Abschlussstrecke sei schon viel erreicht und das Unternehmen digital. Aber dem ist nicht so. Digital bedeutet bei uns: von A wie Antrag bis Z wie Zahlung. Und dazwischen liegen jede Menge Prozesse, die wir Geschäftsvorfälle nennen, und noch viel mehr Daten. Hier liegt das eigentliche Gold der Digitalisierung. Schnelle Prozesse und auswertbare Daten für die Risikosteuerung des Unternehmens. Je besser ein Versicherer sich hier aufstellt, umso besser ist das für die gesamte Produkt- und Servicequalität. Davon profitieren alle – der Kunde, der Makler und letztlich auch das Versicherungsunternehmen.
Investieren große Versicherer in die richtigen Projekte oder wird momentan zu viel Geld verbrannt und damit ein nachhaltiges Wirtschaften gefährdet?
Die Digitalisierung steht bei den allermeisten Unternehmen ganz weit oben auf der Agenda. Und da gehört sie auch hin. Das ist gut. Es wurde aber zum Teil zu lange gewartet. Hier den richtigen Weg zu finden, hängt ganz essentiell von der Struktur des Unternehmens ab und dem Willen der gesamten Organisation, sich zu verändern. Das wird natürlich umso schwieriger, je größer das Unternehmen ist. Denn damit steigt die Komplexität exponentiell an. Auch erscheinen die Zeitpläne für die Projekte vielerorts sehr ambitioniert. Oder man will gleich alles und auf einmal im laufenden Betrieb umstellen. Das hat großes Potential zu scheitern. Einem großen Tanker einen neuen Anstrich zu geben, erledigt sich eben nicht mal so nebenbei wie bei einem Schnellboot. Und das haben ja auch einige im Markt erkannt und gliedern digitale Einheiten bewusst aus, um im Schnellboot zügig Fahrt aufzunehmen – oder sie kooperieren mit InsurTechs, um agil auf die Anforderungen der modernen Kunden einzugehen. Es ist clever, das eine zu tun, ohne das andere in seinen Grundfesten zu erschüttern. Das macht absolut Sinn.
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Welche Konsequenzen drohen Versicherern, die die Digitalisierung verschlafen haben?
Das werden gute Übernahmekandidaten. Bei allem Augenzwinkern, die Situation ist ernst. Man kann sich nicht ewig auf dem gewachsenen Bestand ausruhen. Nicht nur beim Makler zeigt sich der demographische Wandel. Der Kunde wächst heute viel schneller in neue Technologien hinein als noch vor 20 Jahren – da haben wir es heute schon viel besser als unsere Elterngeneration. Wer damals in den späten Neunzigern digital sein wollte, musste zu Beginn noch programmieren lernen. Denken Sie doch mal an das Smartphone: ja, das ist auch erst zehn Jahre alt. Und es wurde in der kurzen Zeit so anwenderfreundlich, dass heute schon unsere Oma aus dem Urlaub Panoramabilder schickt. Das hätte vor zehn Jahren niemand für möglich gehalten – und Oma schon gar nicht. Und doch: Wir alle leben heute ganz selbstverständlich mit den digitalen Begleitern. Einem Versicherer, der diese Veränderung im Kundenverhalten ignoriert, kann man nur noch viel Glück für die Zukunft wünschen.
Wie wichtig ist Ihnen das Thema Nachhaltigkeit und wie lassen Sie dies Ihre Kunden spüren/wissen?
Nachhaltigkeit ist das A und O eines Versicherers, sie beginnt mit hoher Kundenzufriedenheit und sie endet auch damit. Wer hier etwas anderes erzählt, hat Versicherung nicht begriffen. Per Definition ist Versicherung der Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit. Dazwischen gilt es, angemessen mit den Ressourcen umzugehen. Wir tragen Verantwortung, und das meine ich nicht nur unter dem Risikoträger-Aspekt. Wir tragen unseren Teil dazu bei, Ressourcen – seien sie personell, finanziell oder natürlich – zu schonen. Unsere Produkte sind ausgestattet mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Da spürt der Kunde das ganz konkret. Und ganz nebenbei, das alles läuft bei uns völlig papierlos. Handakten gibt es im digitalen Workflow-Management nämlich nicht mehr. Und gehen Sie mal bei uns in das Impressum und suchen Sie die Faxnummer… Es gibt keine.
Stephen Voss ist Gründer und Vorstand der Neodigital Versicherung AG mit Sitz in Neunkirchen im Saarland. Voss hat über 20 Jahre Erfahrung in der Versicherungswirtschaft und vor seiner aktuellen Tätigkeit in verschiedenen führenden Positionen in der Versicherungsbranche gearbeitet.