Für viele ist das Ereignis unverzichtbar: Mehr als 70 000 Marketer*innen werden kommende Woche zum OMR-Festival in Hamburg kommen, ein Highlight für die Branche. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten jedoch ist genau das ein Problem: 10 446 Tonnen CO2-Äquivalente fallen im Zuge von OMR an, großteils verursacht durch die Mobilität der Gäste, hat der Veranstalter ausgerechnet. „Ein Event in der Größenordnung des OMR-Festivals ist nicht nachhaltig“, heißt es auf der Website. Ehrlichkeit ist ja immer entwaffnend. Aber was jetzt? Etwa Absagen?
Nein, das Ergebnis besser machen! Schließlich ist eine Klimabilanz nicht in Stein gemeißelt. Der Veranstalter jedenfalls verspricht: „Wir lernen stetig dazu.“ So gibt es Flächen für Impact-Organisationen, übrig gebliebene Lebensmittel werden an die Hamburger Tafel weitergereicht, alle Müllbeutel bestehen aus eingesammeltem Plastik. Und auch die Teilnehmer*innen können beitragen.
Ein Rabattcode macht die klimaneutrale An- und Abreise mit der Bahn satte 20 Prozent billiger. Liebe Marketer*innen, stürmt die Bahnhöfe! Für die grüne Revolution braucht es keine Bahnsteigkarte.
Science Based Targets Initiative streitet über CO2-Kompensation
Eine blutige Nase bei dem Versuch, pragmatisch zu sein, hat sich indessen das Board of Trustees der Science Based Targets Initiative (SBTi) geholt. Die Organisation prüft die Klimastrategien von Unternehmen darauf, ob sie mit dem Pariser Klimaziel – maximale Erderwärmung um 1,5 Grad – vereinbar sind; den Service nehmen auch zahlreiche deutsche Unternehmen in Anspruch, wie die Telekom oder Vonovia. Es geht um das ambitionierte Ziel einer Netto-Null, also Klimaneutralität. Die Frage ist, was in die Bilanz einfließt – auch Investitionen in negative Emissionen, wie Wiederaufforstung oder CO2-Speicherung?
Nicht wenige Expert*innen halten das für notwendig. Auch die SBTi hat Anfang April die Absicht bekundet, zum Ausgleich von Treibhaus-Emissionen von Zulieferern (Scope 3) künftig Kompensationszertifikate zu berücksichtigen. Seither tobt ein Glaubenskrieg. Gegner*innen der geplanten Neuregelung, unter ihnen auch Mitarbeiter*innen der Organisation, wittern den Versuch einflussreicher Geldgeber*innen, Unternehmen das Leben leichter zu machen. Befürworter*innen verweisen darauf, dass viele Firmen eine grüne Null nicht komplett schaffen können, ohne ihren Betrieb stillzulegen – oder eben Restemissionen zu kompensieren. Egal, wie die Kontroverse ausgeht, eins steht fest: Die Auseinandersetzung zwischen Klima-Fundis und -Realos wird härter.
Mehr Umsatz, weniger CO2-Ausstoß? Vaude zeigt, wie’s geht
Unter den Unternehmen, die ihre Ziele von der SBTi verifizieren lassen, ist auch Nachhaltigkeits-Primus Vaude. PR-taktisch geschickt kurz vor dem heutigen Erdüberlastungstag platziert, meldet er eine Reduzierung seiner Treibhaus-Emissionen von 30 Prozent im Vergleich zum relevanten Basisjahr 2019, während der Umsatz im gleichen Zeitraum um 32 Prozent stieg.
Für den Outdoor-Spezialisten gehört Klimaschutz zum Markenkern, er kommuniziert seine Klimastrategie aber so transparent, dass sie anderen als Anleitung dienen kann. Übrigens: Auch Vaude darf sich zurzeit nur deshalb weltweit klimaneutral nennen, weil Rest-Emissionen kompensiert werden.
Striptease wirbt für Stromverbrauch zur rechten Zeit
Der effektivste Weg, Emissionen einzusparen, ist die Umstellung auf erneuerbare Energien. Für das schwierige Problem, dass Wind und Sonne ohne teure Speichertechnik nicht rund um die Uhr die Versorgung sichern, hat der Stuttgarter Stromanbieter TransnetBW eine einfache Lösung gefunden.
Mit einer witzigen Kampagne inklusive Männer-Striptease wirbt er dafür, möglichst viel grünen Strom genau dann zu verbrauchen, wenn er im Überfluss zur Verfügung steht. Die Gratis-App „StromGedacht“ zeigt an, wann die Hüllen fallen und die Waschmaschinen angeworfen werden sollen. Wie praktikabel das jenseits von Videoclips ist? Ansichtssache.
Nachhaltigkeit nervt? Auf zur ersten „Klima Biennale“
Es soll ja auch Menschen geben, die das alles nicht mehr hören können. „Nachhaltigkeit nervt nur noch“, schreibt absatzwirtschaft-Kolumnistin Stefanie Kuhnhen. Meint sie natürlich nicht so, vielmehr fordert die Markenstrategin bessere Narrative und spannende Geschichten.
Dem schließen wir uns gern an und verweisen für Anregungen auf die erste „Klima Biennale Wien“, die noch bis zum 14. Juli läuft: Ein Kunstfestival, veranstaltet vom KunstHaus Wien, besser bekannt als Hundertwasser-Haus, mit Ausstellungen, Performances und Projekten wie einer „Biofabrique“. Zu den Sponsoren des neuen Formats gehört Siemens Österreich – jedoch leider nicht die Bahn. Aber ehrlich, auch ohne Rabattcode fährt es sich mit der ÖBB gar nicht so schlecht.
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!
Anmerkung: Wegen des Feiertags am 1. Mai erscheint dieser Green Wednesday am heutigen Donnerstag.