Drei Viertel der meistbesuchten Online-Shops in Deutschland sind nicht barrierefrei. Das ist das Ergebnis einer Studie, die am Mittwoch von Google, der „Aktion Mensch“ und der Stiftung Pfennigparade in Berlin vorgestellt wurde. Von den zum Teil massiven Hürden in den Online-Shops sind viele Menschen betroffen: In Deutschland haben 7,8 Millionen Menschen eine anerkannte Schwerbehinderung, darunter sind 351.000 Menschen mit Blindheit oder einer Sehbehinderung.
Christina Marx, Sprecherin von „Aktion Mensch“ sagte, Menschen mit Beeinträchtigung würden durch die fehlende digitale Barrierefreiheit von gesellschaftliche Teilhabe ausgeschlossen. Dabei nutzten sie das Internet und Online-Shops überdurchschnittlich intensiv und seien eine besonders relevante Gruppe von Online-Kunden. Es bestehe auf jeden Fall Nachholbedarf mit Blick auf den Ausbau der Barrierefreiheit.
Bisher kaum barrierefreie Online-Shops
Für die Studie wurden 78 besonders populäre Online-Shops unter die Lupe genommen. 61 Sites waren nicht allein über die Tastatur bedienbar, was Menschen mit einer Sehbehinderung oft vor eine unüberwindbare Hürde stellt. Problematisch für Sehbehinderte ist auch, wenn sich Hintergrundfarben und Textfarben nicht deutlich voneinander abheben. Banner, die Menschen ohne Behinderung im Zweifelsfall nur nerven, sorgen bei Sehbehinderten dagegen dafür, dass die Website unbedienbar wird, weil sich die Inhalte nicht schließen lassen. Dazu gehören auch viele Cookie-Banner.
Die Studie ergab, dass von den 78 untersuchten Online-Shops nur zwölf eine barrierefreie Navigation ermöglichen. Bei immerhin 15 Portalen konnten die Userinnen und User die Textgröße einfach verändern, etwa auf dem Smartphone mit der Fingerspreitz-Geste („Pinch-to-Zoom“), um so eine bessere Lesbarkeit der Webseite zu erreichen.
Von barrierefreien Online-Shops profitieren alle Seiten
Isabelle Joswig, Inklusionsbeauftragte von Google Deutschland, verwies darauf, dass Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderung hilfreich sei. „Sie ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal einer Webseite.“ Unternehmen könnten damit neue Kundengruppen erschließen, die eine einfache Bedienbarkeit und verständlich aufbereitete Inhalte – unabhängig von einer Beeinträchtigung – zu schätzen wissen. Ob bei Fahrten in der Bahn oder bei einem entspannten Gartentag: so sind doch alle Kund*innen glücklich, wenn sie Licht und Lautstärke verändern und sich an Untertiteln orientieren können. Für die Verantwortlichen der „Aktion Mensch“ ist in jedem Fall klar, dass sie ihre Vision verfolgen möchten: eine barrierefreie Gesellschaft, in der Vielfalt selbstverständlich ist.
Die Organisationen verwiesen auf der Pressekonferenz darauf, dass der Online-Handel nach der EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit in zwei Jahren barrierefrei sein müsse. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, den gesamten Online-Handel für Verbraucherinnen und Verbraucher barrierefrei zu gestalten. In Deutschland wird die Richtlinie durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt. Danach müssen Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen auf digitale Barrierefreiheit prüfen und an die gesetzlichen Vorgaben anpassen.
In zwei Jahren soll außerdem das Deutsche Barrierefreiheitsgesetz in Kraft treten. Ab dann müssen Unternehmen mit teuren Strafen rechnen, wenn sie ihre Online-Shops nicht barrierefrei gestalten. Christina Marx sagte dazu auch: Barrierefreie Online-Shops lassen sich fast intuitiv aufbauen, wenn man Menschen mit Behinderung in der Software-Entwicklung einstellt oder sie, beispielsweise über entsprechende Labore, bittet, die eigene Seite zu prüfen. An technischen Prüfungstools mangelt es heute noch, aber wenn eine Seite von Anfang an barrierefrei gebaut wird, so entstünden weder finanziell noch anderweitig ein großer Mehraufwand.
nh/dpa