Nachhaltigkeit ist längst kein „Nice to have“ mehr, sondern eine Pflichtaufgabe für Unternehmen – getrieben durch Regulierungen wie die CSRD oder das Lieferkettengesetz. Diese neuen Anforderungen schaffen jedoch nicht nur Chancen, sondern auch immense Herausforderungen: vom Aufbau effizienter IT-Systeme bis hin zur umfassenden Transformation der Unternehmenskultur.
Daniel Schlee, Business Partner für Sustainability Transition bei der Strategieberatung Diffferent, gibt im Interview Einblicke in die größten Hürden, die Unternehmen bewältigen müssen, und erläutert konkrete Ansätze, wie nachhaltiges Wirtschaften erfolgreich umgesetzt werden kann.
Herr Schlee, in vielen Unternehmen gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch, nachhaltiger zu werden, und dem tatsächlichen Handeln. Was sind Ihrer Meinung nach die größten internen Hindernisse, die Unternehmen daran hindern, diese Lücke zu schließen?
Das ist in der Tat ein komplexes Thema, das je nach Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt ist. Ein Hauptproblem ist der immense Druck zur Kurzfristigkeit. Unternehmen sind oft gezwungen, regulatorische Anforderungen wie die CSRD oder das Lieferkettengesetz schnell umzusetzen, während sie gleichzeitig die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele, die sie sich gesetzt haben, erfüllen müssen. Dieser schnelle Wandel führt oft dazu, dass kurzfristige Maßnahmen ergriffen werden, die wenig nachhaltige Effekte haben, wie etwa CO2-Kompensation oder einfache Marketinganpassungen. Die wirkliche Herausforderung – die Umstellung von Geschäftsmodellen – kann nicht in dieser kurzen Zeitspanne umgesetzt werden.
Welche Hindernisse gibt es außerdem?
Unternehmen fehlt es oft an einem klaren Mandat für Transformation. Es gibt zwar oft Nachhaltigkeitsabteilungen oder Stabstellen, aber diese haben häufig nicht den Einfluss, um tiefgreifende Veränderungen im Unternehmen durchzusetzen, sei es in der Unternehmenskultur oder im Geschäftsportfolio. Diese Abteilungen sind oft mehr mit Berichterstattung als mit wirklicher Transformation beschäftigt. Außerdem spüren viele Unternehmen noch nicht den Marktdruck, sich grundlegend zu verändern. Der Konsumentendruck wächst zwar, aber nicht alle Branchen stehen unter der gleichen öffentlichen Beobachtung wie etwa die Automobilindustrie. Das führt dazu, dass einige Unternehmen größere Veränderungen aufschieben.
Glauben Sie, dass der Druck seitens der Konsument*innen größer sein müsste, damit sich wirklich etwas verändert?
Der Druck von Konsument*innen ist bereits signifikant gestiegen, besonders seit Bewegungen wie Fridays for Future ab 2019 das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus gerückt haben. Eine Studie von PwC zeigt, dass viele Verbraucher*innen in den letzten Jahren ihre Konsumgewohnheiten geändert haben und Unternehmen nun stärker in der Pflicht sehen, nachhaltige Lösungen zu liefern.
Wo liegt also das Problem?
Es gibt viele Widersprüche im Konsumverhalten. Auch wenn Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor ist, entscheiden sich Verbraucher*innen oft aufgrund von Preis oder Bequemlichkeit gegen nachhaltigere Optionen. Für Unternehmen bedeutet das eine Herausforderung, da sie sowohl der alten als auch der neuen Welt gerecht werden müssen – sie müssen also Produkte anbieten, die nachhaltig sind, aber gleichzeitig in die bestehenden Konsummuster passen.
Sie haben den wachsenden regulatorischen Druck durch Gesetze wie das Lieferkettengesetz oder die CSRD erwähnt. Sehen Sie diese externen Vorschriften eher als Treiber für den Wandel oder als notwendiges Übel?
Regulatorische Vorgaben sind meiner Meinung nach ein wichtiger Treiber, der den Wandel anschiebt, den wir durch freiwillige Maßnahmen allein nicht erreicht hätten. Es stimmt, dass diese Regelungen eine große Herausforderung darstellen, besonders weil sie viel Aufwand und Kosten mit sich bringen, gerade für Unternehmen, die sich erst spät auf den Weg der Nachhaltigkeit begeben haben. Allerdings schaffen sie die notwendige Verknüpfung zwischen wirtschaftlicher Leistung und sozial-ökologischen Auswirkungen.
Viele Unternehmen, insbesondere KMU, beklagen den bürokratischen Aufwand und die Kosten, die mit den neuen Regelungen verbunden sind. Wie bewerten Sie diese Herausforderung?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der bürokratische Aufwand und die damit verbundenen Kosten eine Belastung darstellen, insbesondere für KMUs. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, überhaupt erst einmal die nötigen Strukturen und Prozesse aufzubauen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Das bedeutet, dass sie ihre Datenmanagement-Systeme überarbeiten, eine umfassende Bestandsaufnahme ihrer Geschäftsprozesse machen und neue Berichterstattungsprozesse implementieren müssen. Das ist ein großes Brett, das diese Unternehmen bohren müssen.
Was sind die konkreten Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen sollten, um ihr Nachhaltigkeitsmanagement zu stärken?
Eine gute, wesentlichkeitsorientierte Strategie bildet das Fundament jeder Nachhaltigkeitstransformation. Unternehmen sollten eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchführen, um relevante Themen für sich und ihre Stakeholder zu identifizieren. Daraus folgt ein Maßnahmenprogramm mit klaren Zielen und Verantwortlichkeiten.
Wichtiger ist der Aufbau von IT-Systemen, um Daten effizient zu erfassen und zu verteilen. Regelmäßige Check-ins zwischen Nachhaltigkeitsteam und Abteilungen wie Einkauf und Vertrieb stellen sicher, dass Maßnahmen unternehmensweit umgesetzt werden. Nachhaltigkeitsteams sollten eng in die Unternehmensstrategie eingebunden sein, um Silos abzubauen und als Treiber für Veränderung zu wirken.
Nachhaltigkeit wird von vielen in Unternehmen oft als „rotes Tuch“ wahrgenommen. Wie ist Ihre Erfahrung dazu, und wie kann diese Einstellung verändert werden?
Derzeit sehe ich tatsächlich, dass Nachhaltigkeit bei vielen Unternehmen an Priorität verloren hat. Andere Themen, wie etwa die wirtschaftliche Unsicherheit, scheinen aktuell im Vordergrund zu stehen. Nachhaltigkeit wird von einigen sogar regelrecht abgelehnt. Das ist jedoch besonders kritisch, weil es sich nicht mehr um ein freiwilliges Thema handelt – die Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, sich damit auseinanderzusetzen.
Die Herausforderung liegt darin, dass das Thema langfristig nicht mehr von der Agenda verschwinden wird, da es durch Regulatorik verankert ist. Dies schafft einen Nährboden dafür, dass Nachhaltigkeit weiterhin präsent bleibt, auch wenn es momentan weniger populär ist.
Sie sprechen oft vom „systemischen Denken“ als Schlüssel zur erfolgreichen Nachhaltigkeitstransformation. Was verstehen Sie darunter und wie kann das in Unternehmen angewendet werden?
Systemisches Denken bedeutet, das Unternehmen als Ganzes zu betrachten, einschließlich aller Abhängigkeiten und Zielkonflikte. Es reicht nicht aus, Nachhaltigkeit isoliert in einzelnen Abteilungen zu betrachten. Vielmehr müssen Unternehmen analysieren, wo genau die Hindernisse liegen – sei es in der Struktur, der Unternehmenskultur oder den Prozessen.
Um diese systemischen Zusammenhänge zu verstehen, braucht es einen umfassenden Ansatz, der Zielkonflikte aufdeckt und Lösungen bietet, die auf allen Ebenen wirken. Beispielsweise kann der Vertriebsdruck auf eine Produktkategorie, die hohe CO2-Emissionen verursacht, mit den Nachhaltigkeitszielen des Unternehmens kollidieren. Hier ist es wichtig, klare Governance-Strukturen zu schaffen, die solche Konflikte frühzeitig identifizieren und adressieren können.