Vor drei Wochen haben wir an dieser Stelle eine Person namens Madame Fu zitiert, die in einer Kommentarspalte meinte, es sei „übrigens auch sehr nervig, in der Werbung ständig zu sehen, wie ‚grün‘, ‚nachhaltig‘ und ‚divers‘ doch alle sind“.
Sowas zu lesen ist ja ein bisschen deprimierend, weil es daran zweifeln lässt, ob das Thema Nachhaltigkeit denn wohl wirklich so ernst genommen wird, wie man selbst glaubt, dass es ernst genommen werden sollte. Umso schöner, dass heute gleich vier Meldungen die Relevanz von Nachhaltigkeit belegen.
105 Marketingverantwortliche beteiligten sich an einer Umfrage von absatzwirtschaft und dem Handelsblatt Research Institut (HRI) zu den wichtigsten Marketing-Themen 2023. Und siehe da: Die Nachhaltigkeit rangiert auf Platz eins, der Klimawandel auf Platz zwei. Erst danach folgen Inflation und Künstliche Intelligenz. Das noch unlängst gehypte Metaverse findet sich abgeschlagen auf Rang 8. Bei der überwiegenden Mehrheit (65,5 Prozent) der Marketingverantwortlichen spielt die Nachhaltigkeit bereits „eine große Rolle“, weitere 19 Prozent schätzen die Relevanz des Themas als wachsend ein, nur 14 Prozent sprechen dem Thema „eher weniger“ Bedeutung zu.
Zu diesen Ergebnissen passt aufs Feinste die aktuelle Erhebung „Global Marketing Trends 2023“ von Deloitte. Laut der nimmt nicht nur die Bedeutung von Marketing innerhalb von Unternehmen zu, sondern die CMOs erweisen sich „bei den Nachhaltigkeitsstrategien der Firmen … als Treiber vor allem interner Veränderungsprozesse – 85 Prozent planen interne Nachhaltigkeitsinitiativen, da Kunden diese inzwischen von Unternehmen erwarten.“ Außerdem, so heißt es an anderer Stelle der Studie, biete das Wachstumsfeld Sustainability neue Märkte für fast alle Produkte und Services. Na also.
GWA veröffentlicht Green Guide für Nachhaltigkeit
Die Agenturszene spiegelt diesen Trend zur Nachhaltigkeit auf Auftraggeberseite wider: Der Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA) stellt ab sofort einen „Green Guide“ zur Verfügung. Das nahm Kollege Andreas Marx zum Anlass, die GWA-Vorständin für das Ressort Nachhaltigkeit Ina von Holly zu interviewen. Nun hängen gerade Agenturen zwischen Baum und Borke, schließlich sollen sie in aller Regel dafür werben, dass mehr konsumiert wird.
Ina von Holly sagt zur Nachhaltigkeit im Agentur-Business: „Aus meiner Sicht ist es ein Must-have, kein Nice-to-have. Uns ist schon bewusst, dass wir das Prinzip verfolgen: Kaufe mehr, kaufe schneller. Wir können aber im Bereich Ressourcenschonung für den qualitativen Aspekt sensibilisieren.“
Alte Marketingweisheit: Nachfrage schafft Angebot
Einen Trend, der sich unmittelbar positiv aufs Klima auswirkt – und mittelbar fürs Marketing interessant ist – beschreibt das Handelsblatt im Artikel Klimafreundlich erzeugter Stahl wird zum lukrativen Geschäft. Demzufolge wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Nachfrageüberhang für grünen Stahl geben – obwohl der sehr teuer ist.
Mit etwa sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen zähle die Stahlindustrie zu den größten Klimasündern, schreibt das Handelsblatt. Der herkömmlich produzierte Stahl wird nun aus zwei Gründen unattraktiver: Der Preis pro Tonne CO2-Emission steigt. Und, wichtig: Der Druck zu CO2-neutraler Produktion bei den Abnehmern steigt auch. Grund für die hohe Nachfrage nach grünem Stahl seien die ambitionierten Klimaziele, die sich die Kunden der Stahlhersteller selbst gesetzt haben. Die Folge: Die Stahlhersteller investieren viele Milliarden Euro in eine klimafreundliche Produktion.
Der Text ist schon deshalb lesenswert, weil er zeigt, wie eins zum anderen führt – und dass politische Hebel, wie etwa die CO2-Bepreisung, eben doch keine zahnlosen Tiger sind. Und außerdem, dass Unternehmen wie Miele oder Mercedes-Benz einen Unterschied machen können. „Nachhaltigkeit ist für uns zunächst kein reiner Kostenfaktor“, wird Mercedes-Benz zitiert. Hach.
Kommen wir zum guten Schluss noch fix auf einen anderen Lesetipp in Sachen Blech: „Der Spiegel“ erzählt in seiner bemerkenswerten Titelgeschichte „Vom Fetisch zum Feindbild“ von all den Dilemmata rund um das Autofahren (Autos werden mehr und größer), das Klima (leidet darunter), die Infrastruktur (im Eimer), neue Mobilitätskonzepte (müssten her, interessieren aber irgendwie keinen), den Öffentlichen Nahverkehr (ohne Worte) und die Menschen (je nach Mobilitätslager anders drauf, aber auf jeden Fall kompromisslos gegeneinander). Letzteres würde sich vermutlich auch nicht ändern, wenn sich nur noch lauter aus grünem Stahl gebaute E-Autos auf unseren Straßen bewegten. Die Sache mit der Nachhaltigkeit, sie bleibt kompliziert – aber nicht hoffnungslos, siehe oben.