Nachhaltigkeit, wo bist du? Heutzutage wird kaum ein Produkt ohne die Attribute „nachhaltig“, „fair“ oder „ressourcenschonend“ beworben. Doch weder sind diese Begriffe definiert oder standardisiert und die Produkte somit vergleichbar bezüglich ihrer Nachhaltigkeit, noch scheinen große Konzerne es sonderlich erst zu meinen mit ihren Werbeversprechen.
Oğuz Yılmaz kritisiert das Gebaren. Der ehemalige YouTube-Star – er war Mitglied des Comedytrios Y-Titty, mit dem er zwischen 2012 und 2015 den meistabonnierten YouTube-Kanal Deutschlands führte – ist heute einer der meinungsstärksten Vertreter zum Thema Nachhaltigkeit in der Marketing- und Kommunikationsszene. Mit dem Künstlermanagement YilmazHummel vertreten sein Geschäftspartner Felix Hummel und er Künstler*innen, denen Haltung wichtiger ist als Profitmaximierung.
Herr Yılmaz, Sie verlangen, dass große Unternehmen das umsetzen, womit sie jahrelang geworben haben – nämlich mit Nachhaltigkeit. Was meinen Sie damit?
Große Konzerne, die billig produzieren können und angesichts der akuten Krisen vielleicht ein Prozent weniger Marge machen, die sollten jetzt liefern. Mein Appell an die Marketingwelt, die etwas mit Nachhaltigkeit zu tun haben will: Die Zeit der Behauptungen ist vorbei, put your money where your mouth is! Dabei meine ich auch Maßnahmen, die über das Marketing hinausgehen. Ich stelle mir oft die Frage, was machen die wirklich konkret?
Haben Unternehmen in den letzten Jahren weniger in nachhaltige Werbebotschafter*innen investiert?
Die Spendings bleiben bei uns nicht aus. Aber es fällt schon auf, dass manche unserer Kund*innen ihr Geld weniger in Werbung investieren. Das hat sicherlich seine Gründe. So merken wir, dass Investments von Venture-Capital-Gesellschaften ausbleiben. Gerade junge Unternehmen, die nachhaltig wachsen wollen, leiden darunter. Dazu haben sie das Problem, dass die Nachfrage nach ihren Produkten derzeit geringer ist.
Erst kürzlich hat der Discounter Penny mit seiner Aktion „Wahre Preise“ auf die Probleme der Inflation hinweisen wollen. War die Aktion gelungen?
Die Frage bei Pennys „Wahren Preisen“ ist ja: Gehört es nicht zum gesunden Wachstum dazu, wenn sie dauerhaft eingeführt würden? Warum ist es scheinbar normal, dass Lebensmittel so günstig sind? Aber es ist auch leider so, dass sich nicht alle höhere Preise leisten können. Menschen denken nicht unbedingt direkt an die Umwelt, wenn es hart auf hart kommt. Das ist total verständlich. Aber um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, fand ich die Aktion schon spannend.
Ist das Thema Nachhaltigkeit aktuell nicht wichtig genug?
Das kann man nicht so einfach sagen. Viele Unternehmen, die die moralische Oberhand haben, müssen ihr Werbebudget zurückfahren, wenn sie überleben wollen. Ich weiß nicht, wie viele von ihnen diese Zeit überleben werden. Die großen Marken hingegen können wegen ihrer Marktmacht Krisen auch einfacher aussitzen. Dadurch eröffnen sich für sie mehr Möglichkeiten. Wenn kleine, nachhaltige Marken wegsterben, können Unternehmen wie Lidl dann eben eine sogenannte Kreislaufflasche herausbringen und behaupten, das sei nachhaltig.
Lidl hatte für die Kampagne ein Millionenbudget ausgegeben…
Es gibt gerade wenige, die dagegenhalten können. Unternehmen wie Lidl, Nestlé und Shell verwässern so den Begriff „Nachhaltigkeit“ komplett und er steht mittlerweile für nichts mehr so richtig. Ich fürchte, dass sie verbrannte Erde hinterlassen werden – im wahrsten Sinne.
Die Deutsche Umwelthilfe lässt derzeit über den Goldenen Geier abstimmen, ein Negativpreis für die „dreisteste Umweltlüge des Jahres“ – auch Lidl ist nominiert. Wer hat ihn Ihrer Meinung nach am ehesten verdient?
Ich finde, Lidl hat den Preis verdient. Die waren sehr laut mit dieser Aktion, dazu haben sie Günther Jauch als vermeintlich glaubwürdiges Testimonial ins Boot geholt. Mit dem Selbstverständnis, als Discounter volksnah zu sein, war das sehr dreist. Ich weiß nicht, ob man den Begriff Nachhaltigkeit noch einmal aufleben lassen kann.
Laut einer EU-Studie vertrauen Verbraucher*innen Siegeln und Labels, obwohl diese kaum kontrollierbar sind. Auch glaubten 40 Prozent der Befragten bei „klimaneutral“, dass CO2-Emissionen in der Produktion verringert würden und nicht nur Klimaschäden ausgeglichen werden. Wie sieht gelungenes Green Marketing aus?
Es muss glaubwürdig sein. Glaubwürdig ist es, wenn kleinere Unternehmen gesund wachsen wollen sowie transparent und offen auftreten und auch kommunizieren. Das machen Konzerne nicht. Die wissen, dass die meisten Kund*innen sich nicht mit nachhaltigen Produktionsweisen auseinandersetzen wollen. Es gibt aber auch wohlhabendere Menschen wie Christian Kroll (Gründer der Suchmaschine Ecosia, Anm. d. Red.), die die Welt verbessern wollen. Ich glaube, dass diese Menschen mehr bewegen können als Konzerne mit ihren festgefahrenen Strukturen.
Die Kommunikations- und Werbebranche will immer mehr Haltung zeigen, Sexismus bekämpfen und nachhaltig sein. Inwieweit nehmen Sie Agenturen beim Thema Greenwashing in die Pflicht?
Auf dem Papier ist die Antwort simpel: nicht mit Großkonzernen zusammenarbeiten. Deren Hauptziel ist es, immer weiter zu wachsen. Ob das einer nachhaltigen Wirtschaft zuträglich ist, glaube ich nicht. Es ist nicht gesund, dass Unternehmen schnell und groß wachsen wollen. Aber auch Agenturen müssen Geld verdienen, das müssen wir alle.
Wie ernst meinen Sie es mit der Nachhaltigkeit?
Wir sind gerade dabei, die Auswahl unserer Kund*innen nicht mehr zu starr zu bewerten, weil man Nachhaltigkeit auf verschiedene Weise interpretiert und umsetzt. Wir wollen nicht den übermäßigen Konsum und wollen keine Produkte bewerben, die Ressourcen und Menschen ausbeuten. Dann sehen wir uns in der Pflicht, unsere Talents zu beraten. Wir müssen realistisch sein und dürfen nicht auf die Luftschlösser der perfekten Firmen warten. Ambiguitätstoleranz müssen auch wir lernen. Es ist nicht einfach, aber ich denke, dass wir das gut machen.