Gebaut wird immer, sagt man. Die Baubranche allerdings hat künftig ein großes Problem. An Volumen mangelt es nicht. 12,3 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts (BIP) fließen in Bauinvestitionen. Mit 4,2 Prozent ist auch der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung hoch. Zum Vergleich: Für die Automobilindustrie liegt der Wert bei 4,7 Prozent. Gegenwärtig ist Bauen aber immer noch eine der energie- wie ressourcenintensivsten Branchen. Wo bleibt die Transformation?
Nachhaltiges Bauen ist zentral für den mühsamen Schwenk hin zu einer grünen Volkswirtschaft. Knapp 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen sind auf die Baubranche zurückzuführen. Bislang schwächelt sie in Sachen Innovation. Laut McKinsey liegt der Produktivitätszuwachs der Branche in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei jährlich nur rund einem Prozent. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim (ZEW) attestierte der Branche 2019 mangelnde Investitionen, besonders in digitale Lösungen.
Konkret fällt darunter auch Building Information Modelling, kurz BIM. Eine digitale Planungsform, die geometrische, ökonomische und ökologische Informationen in einem Modell darstellt. Während das für die Planung öffentlicher Infrastruktur inzwischen verpflichtend ist, hinkt der Rest der Branche hinterher. Laut dem BIM Monitor 2022 arbeiten lediglich 20 Prozent der Unternehmen mit BIM. Eine durchschlagende Wirkung sieht anders aus.
Baubranche hinkt weit hinter anderen zurück
Das kritisiert auch Peter Mösle, Partner bei Drees und Sommer und Geschäftsführer von EPEA, einem Beratungsunternehmen für kreislauffähiges Bauen: „Das Ziel der Digitalisierung war und ist, die Planungsprozesse und die Kommunikation zu vereinfachen.” Zwar würden Unternehmen BIM nutzen, viele allerdings nicht kollaborativ, sondern nur als „besseres CAD“. „Nicht einmal die Hälfte der BIM-Projekte verfügen über einen digitalen Zwilling“, so der Fachmann. Damit bleibt die Branche weit hinter anderen zurück.
Digital und nachhaltig greifen im Bausektor aber unmittelbar ineinander. Denn wer digital plant und baut, der spart Ressourcen. Das ist in Zukunft notwendig, schließlich sparen sich Emissionen nicht von alleine. Nicht umsonst hat die Bundesregierung für das Thema Bauen ein ganzes Ministerium eingerichtet. Und tatsächlich steigt der Druck auf die Baubranche. 2022 gingen laut Statistischem Bundesamt 9,6 Prozent weniger Aufträge ein als im Jahr zuvor. Woran scheitert es also?
An Start-ups mangelt es jedenfalls kaum. Für sie ist der schwach digitalisierte Markt oft ein gefundenes Fressen. Alasco beispielsweise, 2018 als Start-up gegründet, bietet eine Software für Finanzcontrolling und ESG-Management in der Baubranche. Alcemy wiederum sorgt mit digitalen Lösungen für eine weniger CO2-intensive Betonproduktion. An einem einzelnen Projekt ist dort immer eine Vielzahl von Stakeholdern beteiligt. Daher basteln Start-ups in der Baubranche oftmals an Lösungen für spezifische Probleme. „Eine Gesamtlösung gibt es nicht“, findet Hoang Nguyen, Head of Sustainable Construction bei Alcemy.
Das erschwert die Transformation ungemein und erhöht den Druck. „Jetzt muss man alles tun, man muss jetzt digitalisieren, man muss die Regulatorik verändern, man muss das Bauen verändern und das sozusagen auf allen Ebenen, also mit allen Stakeholdern. Deswegen beschweren jetzt auch viele, sie seien überlastet“, fasst Bau-Experte Peter Mösle die Lage zusammen.
Transformation in der Baubranche: „Man hat sich ausgeruht“
Dass die Branche nun in Bedrängnis gerät, liegt auch am fehlenden Druck der letzten Jahre. Schließlich hat der Bausektor erfolgreiche Jahre hinter sich. Mösle bringt es auf den Punkt: „Man hat sich ausgeruht, ganz klar“. Gerade deswegen scheine der Sektor hinsichtlich Digitalisierung und Nachhaltigkeit auf der Strecke zu bleiben. „Wir sind einfach 20 Jahre zu spät.“
Das spürt auch Benedict Marzahn, Head of Product bei Alasco. Oft entstehe dabei der Eindruck, die Branche wolle es „noch nicht so ganz wahrhaben“, erklärt er. Letztlich gehe es aber um nichts weniger als die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Jeder, der wettbewerbsfähig sein wolle, müsse sich mit diesem Thema beschäftigen, bekräftigt Marzahn.
Einige sehen darüber hinaus mangelndes Engagement der Politik. Teilweise fehlen eindeutige Regelungen zu neuen Innovationen, wie beispielsweise recycelten Baustoffen oder autonomen Baumaschinen. Als Bremsklotz gelten auch lange Wartezeiten für Zulassungen. „Es braucht eine massive Digitalisierungsoffensive in der Verwaltung“, fordert Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie. „Und zwar nicht aus Selbstzweck, sondern um Prozesse zu vereinheitlichen, effizienter zu arbeiten und politische Bau-Ziele schneller und nachhaltiger umzusetzen. Die Politik muss jetzt Druck machen, damit es schneller vorangeht.“ Es mangele immer noch an „Umsetzungsgeschwindigkeit“. Zur Eröffnung der internationalen Bau-Messe in München hat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) im April bereits Abhilfe durch mehr Digitalisierung in Aussicht gestellt.
Dass es so langsam geht, führen andere auf brancheninternen Gegenwind zurück. Hoang Nguyen von Alcemy spricht von einer „verschlossenen Branche“. Der Sektor gilt seit jeher als konservativ. Trotzdem fehlt der Branche nicht nur die Geschwindigkeit bei der Transformation. Außerhalb der Branche kriegt man zudem nicht viel von ihr mit. Ein wirksames Sprachrohr fehlt.
Verband plant Start-up-Strategie
Das soll sich in Zukunft ändern. Bald will der Hauptverband der deutschen Bauindustrie seine Start-up-Strategie vorstellen. So will er Start-ups und etablierte Unternehmen auf einer Plattform vernetzen. Es gehe darum, die Gründer*innen näher an den Markt zu bringen, insbesondere an kleine und mittelständische Unternehmen, sagt Hauptgeschäftsführer Müller. Denn gerade diesen fehlten oftmals der Überblick und die Ressourcen, um erfolgversprechende Start-ups zu identifizieren. Der Verband will den jungen Playern mehr Reichweite verschaffen, sie in Gremien platzieren und in Netzwerke etablierter Unternehmen einführen.
Schließlich scheint man von der Transformation, selbst wenn sie stattfindet, außerhalb der Branche nicht viel zu hören. Sie geschieht langsam und lautlos. Auch das zu ändern, nennt Müller als Ziel der neuen Start-up-Strategie. Denn eine starke Botschaft braucht immer jemanden, der sie ausspricht.